Block­rand mit Turm

Zweistufiger Studienauftrag Heinrich-Areal, Stadt Zürich

Im zweistufigen Studienauftrag für das Zürcher Heinrich-Areal setzte sich «compagnia» von jessenvollenweider Architektur durch. Die drei Projekte der zweiten Stufe verankern einen Wohnturm auf unterschiedliche Weise im Stadtblock.

Publikationsdatum
09-01-2020

Mit dem Wegzug der Elektro-­Material AG 2021, der bisherigen Ankermieterin und früheren Eigentümerin des Grundstücks, soll das Heinrich-Areal eine neue Bestimmung erhalten. Im Jahr 2017 führte die Tellco AG als neue Eigentümerin zusammen mit dem Amt für Städtebau der Stadt Zürich eine Testplanung durch, an der die Büros Futurafrosch, EM2N und Müller Sigrist teilnahmen.

Es wurde sowohl die Regel­bauweise als auch die Abweichung von der Bau- und Zonenordnung ge­prüft – das Resultat veranschaulichte, dass im städtebaulichen Kontext ein Hochhaus von maximal 70 m Höhe möglich ist. Am danach aus­geschriebenen Studienauftrag nahmen in einer ersten, anonymen Konzeptstufe zehn Teams teil, bestehend aus Architekten und Landschaftsarchitekten. Für die darauf folgende nicht anonyme zweite Stufe wurden drei Teams ausgewählt, die ihre Projekte in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitekten und Statikern weiterentwickelten und in einer Schlusspräsentation erläuterten.

Die Aufgabe bestand darin, hinter dem Blockrandfragment an der Limmatstrasse, das erhalten werden sollte, eine dichte Überbauung mit Wohn- und Gewerbenutzungen zu entwerfen. Auf diese Weise sollte die Viaduktstrasse gestärkt werden und ein lebendiges Quartier mit für die breite Masse der Bevölkerung bezahlbaren Mietwohnungen entstehen – ein Teil soll an eine Stiftung oder Genossenschaft im Baurecht abgegeben werden.

Das Projekt von jessenvollenweider Architektur wurde einstimmig mit dem ersten Rang ausgezeichnet: Es «erbringt den Beweis, dass an diesem Ort in Kombination mit einem sorgfältig entwickelten Aussenraum eine hohe bauliche Dichte bei gleichzeitiger hoher architektonischer und städtebaulicher Qualität erreicht werden kann».

Wohnhof

Das Siegerprojekt «compagnia» bindet den Turm in den Blockrand ein, sodass eine Staffelung aus vier ­Gebäuden entsteht. Während der Turm zur Viaduktstrasse mit seiner ge­falteten Fassade dominant in den Stadtraum auskragt und ein Gegenüber zu den Viaduktbögen aus Kalkstein bildet, schaffen die drei eigenständigen Hauseinheiten eine den den Hof umschliessende Silhouette. In den Erdgeschossen und dem Stadtraum entlang der Viaduktstras­se sind Gewerberäume angeordnet. Portale leiten Passanten von der Strasse in den Innenhof, der den Bewohnern dient und eine wilde Begrünung aus Büschen, Beeten und Baumgruppen erhält.

Die Planenden haben zwei Wohnformen ausgebildet: genossen­schaftliches Wohnen zum Hof hin und das Wohnen im Turm mit Blick in die Weite. Alle Häuser werden ­stras­senseitig erschlossen. Die ab Hochparterre über sechs Geschosse ­orga­nisierten, preisgünstigen Wohnungen an der Roggenstrasse fügen sich in den Massstab des Quartiers − die Durchschusswohnungen stellen eine Verbindung von der Strasse zum Hof her. Im sechsgeschossigen Eckhaus an der Heinrichstrasse sowie im fünfgeschossigen, als Kopfbau ausformulierten Stadthaus an der Viaduktstrasse liegen zwei bis drei Wohnungen je Geschoss. Die Wohnungen im Turm organisieren Küche, Essen und Wohnen um die Loggien entlang der gefalteten Fassade: Dies ermöglicht bei den grossen Wohnungen die Aufteilung in Wohn- und Essbereich. Das Hochhaus ist in Massivbauweise geplant: Flachdecken, tragende Kerne, Fassadenabschnitte sowie ein Teil der Innenwände werden betoniert. Die Auskragung im zweiten Obergeschoss wird durch dreigeschossige Schrägstützen ermöglicht.

Eine Klinkerhaut überzieht die Fassade. Während diese im Blockrand gemauert ist, wird sie beim Hochhaus mit den Betonfertigteilen vergossen, Brüstungen und Dachrand des Turms werden durch farbige Keramikplatten hervorgehoben. Die Materialisierung bindet den Turm in seine Umgebung ein: Backstein wie im Löwenbräu-Ensemble prägt das ehemalige Industriequartier bis heute. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Baukörper über Materialisierung, Farbigkeit und Befensterung sowie die rücksichtsvolle Einbettung und hohe Wohnlichkeit überzeugten die Jury.

Quartierhof

Das Projekt «Streetlife Serenade» von BS + EMI Architektenpartner schafft ein Ensemble aus drei leicht zueinander versetzten Baukörpern um einen öffentlichen, begrünten Innenhof. Der Turm mit seinem Vorbau – einem zweigeschossigen Restaurant – bildet eine lebendige Geste zur Viaduktstrasse. Der längliche sechseckige Grundriss, durch den die Fassade in unterschiedliche Facetten gebrochen wird, steht im Kontrast zu den beiden rechteckigen, fünf- bzw. sechsgeschossigen Randbebauungen an der Roggen- und Heinrichstrasse. Am Fuss des Turms an der Heinrichstrasse wird der Viaduktplatz ausgebildet – zwei Platanen prägen diesen. Die Viaduktstrasse weitet sich zu einem öffentlichen, mit Gleditschien besetzten Raum auf.

Die Eingänge zum Gebäude an der Heinrichstrasse und zum Turm erfolgen über Durchgangshallen, an der Roggenstrasse über strassenseitige Eingänge. Drei Grundrisstypologien prägen die Wohnungen: Allen gemein ist die Wohnhalle, von der alle Räume sowie Loggien erschlossen werden. Die Gebäude werden über ihre mineralische ­Materialisierung und strukturelle Ausformulierung zusammengebunden: Ein durchlaufender Gurt verbindet die drei Baukörper, die durch Lisenen und Pilaster sowie verschiedene Fensterformate und Oberflächen gegliedert sind.

Die Anordnung der Baukörper mitsamt der skulpturalen Volumetrie des Hochhauses vermochte die Jury zu überzeugen; der Wohnwert werde durch den öffentlichen Hof jedoch geschmälert.

Gassenraum

Das Projekt «Der grüne Heinrich II» von Meier Hug Architekten bildet zwei eigenständige Stadtstrukturen aus. Das Blockfragment an der Limmatstrasse wird mit einem ­genossenschaftlichen Wohnhaus abgeschlossen, das einen intimen Innenhof umschliesst. Zwischen diesem und dem rechteckig in die Höhe gestaffelten neuen Stadtblock samt Turm bildet sich ein Gassenraum aus. Durch eine Gebäudeschicht mit Gewerbegeschoss und zwei Wohngeschossen springt der Turm vom Viadukt zurück; er öffnet sich mit seinen beiden Zugängen zur Heinrichstrasse und zur neuen Passage. An der Viaduktstrasse entsteht ein grosszügiger Aufenthaltsbereich, der durch Baumgruppen aus Kiefern strukturiert wird.

Wohnateliers an der neuen Gasse, in Wohn- und Schlafbereich gegliederte Wohnungen im Hochhaus, von Strasse zu Dachgarten organisierte Wohnungen an der Roggenstrasse sowie unterschiedliche genossenschaftliche Wohnungen prägen das Projekt. Die Fassaden des neuen Stadtblocks samt Turm werden durch einen Wechsel von horizon­talen Natursteinelementen und Photovoltaikpaneelen sowie durch vertikale Lisenen gegliedert, die Ausrichtung des Turms wird mittels einer Überhöhung des Dachrands an den Schmal­seiten betont. Der Ge­nossenschaftsbau wird durch eine Faser­zementfassade in hellem Ton materialisiert. Ausmass und räumliche Qua­lität der Freiräume sowie die stadträumliche Durchgrünung ­vermochten die Jury trotz der über­raschenden städtebaulichen Setzung nicht zu überzeugen: Der fehlende Hof könne durch die Gasse und die Dachgärten nicht kompensiert werden.

Weitere Pläne und Visualisierungen zum Wettbewerb finden sich auf competitions.espazium.ch

Siegerprojekt

«compagnia»: jessenvollenweider, Basel; Stauffer Rösch, Basel; ­Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Gruner, Basel

Projekte 2. STUFE

«Streetlife Serenade»: BS + EMI Architektenpartner, Zürich; S2L, Zürich; EBP Schweiz, Zürich; Ponnie Images, Aachen (D)
«Der grüne Heinrich II»: Michael Meier und Marius Hug Architekten, Zürich; André Schmid Landschaftsarchi­tekten, Zürich; Synaxis, Zürich; Studio Durable Planung und Beratung, Zürich; Polke, Ziege, von Moos, Zürich; BIQS Brandschutzingenieure, Zürich; BS2, Schlieren; Dr. Lüchinger + Meyer, Zürich

Konzepte 1. STUFE

«Eckstein»:Buchner Bründler Architekten, Basel; antón & ghiggi landschaft architektur, Zürich;
«High Line»: Felix Partner Architektur, Zürich; Enea, Rapperswil; Anderes-Näf, Kreuzlingen; Mühlebach, Wiesendangen
«George»: huggenbergerfries Architekten, Zürich; raderschallpartner, Meilen; Ingeni, Zürich
«fünf plus eins»: Enzmann Fischer Partner, Zürich; Skala Landschaft Stadt Raum, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich; Bakus Akustik & Bauphysik, Zürich
«Tsumiki»: Miller & Maranta, Basel; Hager Partner, Zürich
«Der grüne Heinrich I»: LoeligerStrub Architektur, Zürich; Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich
«Der grüne Heinrich III»: Masswerk Architekten, Zürich; Raymond Vogel Landschaften, Zürich; RSP Informatik, Luzern; PB P. Berchtold Ingenieurbüro für Energie und Haustechnik, Sarnen

FachJury

Caspar Bresch, Amt für Städtebau, Zürich; Rainer Klostermann, Architket, Zürich; Vittorio Magnago Lampugnani, Architekt, em. Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich; Franziska Schneider, Architektin, Zürich; Martina Voser, Landschaftsarchitektin, Zürich

SachJury

Roman Wiget, Tellco, Leiter Immobilien; Daniel Fässler, Tellco, Leiter Entwicklung / Planung / Ausführung; Marlene Wiget, Tellco, Leiterin Sales; Ulrich Tränkner, Tellco, Teamleiter Planung; Marion Stirnimann, Tellco, Projektentwicklung

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