Bas­so con­ti­nuo im bau­li­chen All­tag

Baurechtstagung Fribourg

Zwei Vorträge an der Baurechtstagung im Januar und Februar in Freiburg beschäftigten sich mit den finanziellen Folgen bei Abweichungen im Bauprozess.

Publikationsdatum
18-03-2015
Revision
06-10-2015

Insgesamt füllten knapp 2000 Teilnehmende aus Bau, Verwaltung und Rechtssprechung die Auditorien. An jeweils zwei Tagen kamen unterschiedliche Themen zur Sprache – zwei Vorträge zum immer wiederkehrenden Problem der Vergütung seien im Folgenden zusammengefasst. 

Nachträge: gerechtfertigt oder nicht 

Hubert Stöckli, Dozent an der Universität Freiburg und Leiter der Tagung, nahm das Thema der Vergütung auf, und zwar das spezielle und etwas leidige Thema der Nachträge infolge von Mehraufwendungen. Seine Ausführungen sieht er als Arbeitspapier, um in der alten Diskussion um Nachträge und deren Kalkulation Gedankenanstösse zu geben.

Wo treten Nachträge überhaupt auf? Bei allen Festpreisen, also bei Global- oder Pauschalpreisen, aber auch bei Einheitspreisen. (Einheitspreise sind ebenfalls Globalpreise, gelangen aber entsprechend der ausgemessenen Menge zur Anwendung, die Randbedingungen sind dabei genauso detailliert formuliert wie bei Globalpreisen.)

Die Frage ist nun: Hat sich die Menge oder der Aufwand geändert, und wenn ja, warum? Ursachen gibt es viele: ungenaue Ausschreibung, ungenügende Terminplanung, geänderte oder zusätzliche Wünsche des Nutzers, schlechte Arbeitsvorbereitung des Auftraggebers oder deren Vertreter, aber auch mangelhafte Pläne.

Oft basieren Ausschreibungen auf unrealistischen oder zu optimistischen Annahmen, um möglichst geringe Kosten auszuweisen und eine (politische) Akzeptanz zu erreichen. Nachforderungen aus solchen Ausschreibungen sind sozusagen systembedingt und können Auftragnehmern kaum zugemutet werden.

Im Allgemeinen beruft sich der Forderer eines Nachtrags auf einen Vertrag   was aber ist darin genau festgehalten? Der Vertrag kann auf dem OR oder den SIA-Normen beruhen, im Speziellen auf der SIA 118 oder der LHO 102 ff. Oft werden auch in gut gemeinter Absicht verschiedene Artikel speziell auf­geführt oder wegbedungen sowie festgelegt, in welcher Rangfolge sie anzuwenden sind – ohne das Resultat auf Kohärenz zu überprüfen. Teilweise widersprechen sich einzelne Artikel oder die Normen lassen den Anwender im Unklaren. Man könnte hier auch sagen: «Es gilt das geschriebene und nicht das gedachte Wort».1

Es stellen sich weitere Fragen: Sind die Punkte, die zum Nachtragsbegehren führen, auch Gegenstand des Vertrags? Liegt der Ausschreibung oder dem Vertrag ein Bauprogramm zu Grunde oder ist es eine sogenannte «Bauablaufstörung»  Es kann sein, dass die beanstandete Leistung detailliert umschrieben und nun anders aufzuführen ist   es kann aber auch sein, dass sie nicht speziell definiert wurde, nur haben der Unternehmer oder der Planer gedacht, sie anders auszuführen und deshalb auch anders kalkuliert.

Auf eine «Bauablaufstörung» kann man sich also nur berufen, wenn dieser Störung ein tatsächlich im Vertrag festgehaltener Ablauf zu Grunde liegt. Oder, wie es Stöckli formuliert: «Entscheidend ist die rechtliche (vertragliche) und nicht die betriebswirtschaftlich wünschbare Situation».

Stöckli erkennt zwei entscheidende Punkte, um dem Nachtragswesen Meister zu werden:
- Ansetzen bei den Ursachen, vor allem bei den Bestellungsänderungen und dem Bauherrenverschulden
- Ansetzen bei der Qualität der Regeln, die zur Bewältigung solcher Fälle in die Verträge aufgenommen werden.

Nachtragskalkulation

Wie sollen nun die vom Bauunternehmer oder Planer geforderten zusätzlichen Aufwendungen entschädigt werden – falls überhaupt ein Anspruch besteht   und wie soll der Zusatzaufwand kalkuliert werden? Gemäss Stöckli ist die SIA-Norm 118 hier zu unbestimmt. Entscheidend ist, ob die Bauherrschaft ein volles Verschulden trifft, ob zusätzliche Aufwendungen z.B. für eine Beschleunigung vereinbart werden oder ob Kosten zu decken sind, die durch «unvorhergesehene Umstände» zu tragen sind.

Welcher Fall auch immer eintritt: die in den  verschiedenen Norm- und Gesetzesartikeln definierten Begriffe und Fälle sind oft unbestimmt. Wenn auf der Basis eines bereits bestehenden Preises ein Nachtragspreis festzulegen ist, bleibt noch zu definieren, wie er festgelegt werden soll. Soll nun aber ein «schlechter» Preis, den der Unternehmer unter anderem aus marktwirtschaftlichen Gründen festgelegt hat, bis zum Ende gelten 

Die normativen Regeln und Festlegungen lassen, wenn man den Ausführungen Stöcklis folgt, oft nicht nur das als «richtig» zu, was man sich beim Aufsetzen des Vertrags gedacht hat; es gibt zu viele Widersprüche in den verschiedenen Grundlagen und deren Auslegungen.

Preisbildung bei «besonderen Verhältnissen»

«Besondere Verhältnisse» kommen oft vor, wenn die Ausschreibungsunterlagen auf «mangelhaften Angaben» basieren. Dies betrifft häufig Angaben zum Baugrund, aber auch zur vorhandenen Bausubstanz, z. B. bei Umbauten (vgl. nächster Abschnitt). Entscheidend ist, ob der Unternehmer ein Risiko über­nommen hat oder wie weit die Bauherrschaft oder ihre beauftragten Vertreter (Geologen, Ingenieure etc.) falsche Angaben geliefert haben.

Nachträge sind oft vermeidbar: Durch gute und durchdachte Vertragsredaktion, kombiniert mit baulicher Erfahrung und juristischem Blick und Sachverstand lassen sich viele Stolpersteine vor Baubeginn beseitigen. Nach den neusten SIA-Normen 102ff gehört das Aufstellen von Verträgen mit den Unternehmern und Lieferanten sowieso zum Standardrepertoire des Planers und der Planerin.

Der Baugrund – Ursache vieler Konflikte

«Das Baugrund-Risiko liegt beim Bauherrn» – ein oft zitierter Satz, der aber nur bedingt richtig ist. Rechtsanwalt Peter Reetz aus Zürich ging in seinem Vortrag auf die häufigsten Probleme und die darauf gründenden Nachtragsforderungen infolge von Änderungen im Baugrund ein.

Zwischen den verschiedenen Parteien (Bauherrschaft, Geologe, Ingenieur/Geotechniker, Bauunternehmer) können verschiedene Rechtsbeziehungen entstehen. Die üblichen Konstellationen sind: Bauherr /Geologe, Bauherr /Ingenieur oder Geotechniker, Bauherr/Bauunternehmer oder GU/TU. Mit der Wahl eines GU oder TU ergibt sich dann auch die Konstellation Unternehmer/Geologe resp. Unternehmer/Ingenieur. Die verschiedenen Vertragskonstellationen liefern die möglichen Adressaten für Nachtragsforderungen.

Ergänzend zu den üblichen Planern gehören oft Geologen und Geotechniker ins Team, die den Bauherrn beraten und ihn mit fachspezifischen Informationen versorgen (dem geologischen Bericht). Dieses Hinzuziehen einer fachlich kompetenten Person macht den Bauherrn zum Sachverständigen – und somit trägt er das Risiko des Baugrunds. Der Bauherr beauftragt auch oft den Bauunternehmer direkt mit der Lösung der dem Baugrund innewohnenden Probleme. Dies kann bei kleinen Aufträgen oder bei einem GU- oder TU-Auftrag der Fall sein. Damit geht das Risiko im Allgemeinen auf den Bauunternehmer über.

Wann liegt ein Anspruch auf einen Nachtrag vor 

Wenn Unterlagen zum Baugrund in den Ausschreibungsunterlagen oder dem geologischen Bericht zwar vorliegen, sich aber als unrichtig oder ungenügend herausstellen, liegen gemäss SIA 118 besondere Verhältnisse vor, woraus sich Forderungen nach zusätzlichen Vergütungen auf Grund  der Sachverständigkeit des Bauherrn ableiten lassen.

Wenn weder den Bauherrn oder seine sachverständigen Be­rater noch den Bauunternehmer eine Schuld an den falschen Angaben zum Baugrund treffen, ist entscheidend, bei wem das Risiko des Baugrunds liegt. Ist der Bauherr sachverständig oder hat er den Baugrund abklären lassen, trägt er das Risiko.

Im Fall von fehlenden Angaben zum Baugrund in den Ausschreibungsunterlagen wird der Unternehmer implizit zur Abklärung des Baugrunds verpflichtet. Bei ausserordentlichen Umständen ist dies allerdings wieder umstritten, denn wenn keine Angaben zum Baugrund vorliegen, sind – gemäss verschiedenen juristischen Ansichten – dennoch Mehrvergütungen beanspruchbar: In diesem Fall wäre nämlich die Ausschreibung mangelhaft.

Diese Darlegung der komplexen und nicht ganz widerspruchsfreien Problematik ist nur eine unvollständige Kurzfassung der wichtigsten Aussagen von Reetz’ Vortrag. Auf eine genaue Ausschreibungs-, Offert- und Vertragsredaktion darf also nicht verzichtet werden. 

Anmerkung

  1. Die Erfahrung des Schreibenden zeigt, dass Bauunternehmer und Planer in der kurzen ihnen zur Verfügung stehenden Zeit zur Ausarbeitung einer Offerte kaum alle in der Ausschreibung stehenden Widersprüche finden können. Sie müssen darauf vertrauen können, dass eine Ausschreibung klar, eindeutig und durchdacht ist. Ungenauigkeiten werden zwar oft erkannt, kommen aber erst im Nachhinein im Rahmen von Nachtragsforderungen zur Sprache.

 

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