Mit Me­tho­dik zu Net­to-Null

Ein Innovationsprojekt ermöglichte dem Tiefbauamt der Stadt Zürich erstmals eine quantitative Treibhausgas- und Umweltbilanzierung seiner Bauprojekte. Das hilft einerseits der Stadt auf ihrem Weg zu Netto-Null, andererseits dem Tiefbauamt bei der Definition und Ausschöpfung von klimarelevanten Handlungsspielräumen.

Data di pubblicazione
17-09-2024

Ausgehend von ihren Klimaschutzzielen will die Stadt Zürich die Treibhausgasemissionen in ihrem eigenen Einflussbereich bis 2035 reduzieren: diejenigen, die innerhalb des Stadtgebiets entstehen, auf netto null und alle indirekten (d. h. durch Aktivitäten in der Stadt Zürich ausgelöste Umweltwirkungen ausserhalb der Stadtgrenzen) gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 30 %. Zuständig für die Erfolgskontrolle ist der Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich (UGZ); ihm obliegt laut Beschluss des Stadtrats zur Einführung der Umweltstrategie das Monitoring und die Umweltberichterstattung. Während also in den kommenden zehn Jahren im Verantwortungsbereich der operativ tätigen Departemente allerlei Klimaschutzmassnahmen eruiert und umgesetzt werden, muss der UGZ probate Werkzeuge und Hilfsmittel entwickeln, um ein Monitoring der direkten, indirekten und negativen Emissionen der Stadt Zürich und der Stadtverwaltung zu bewerkstelligen.

Innovationsprojekt schliesst eine Lücke

Wie alle übrigen Dienstabteilungen der städtischen Departemente ist auch das Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ) gefordert, seine direkt und indirekt verursachten Treibhausgasemissionen aufzuzeigen und Reduktionsmassnahmen zu erörtern. Anders als im Hochbau fehlten aber bislang praxiserprobte Werkzeuge, um mittels einer ökologischen Lebensweganalyse die Umweltwirkungen von Tiefbauprojekten zu quantifizieren. Um diese Lücke zu schliessen, taten sich der UGZ und das TAZ im Jahr 2022 zusammen. Mit finanzieller Hilfe aus dem von Smart City Zürich verwalteten Innovationskredit starteten sie ein Innovationsprojekt und beauftragten das Institut für Bau und Umwelt der Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil und das Ingenieurbüro F. Preisig mit der Entwicklung eines Instruments zur Ökobilanzierung von Projekten im kommunalen Tiefbau. Damit wollten das TAZ und der UGZ einerseits eine methodische und systematische Grundlage erlangen, um die direkten und indirekten Umweltwirkungen von konkreten Bauprojekten zu messen und zu reduzieren, und andererseits eine verlässliche Datenbasis für das weitere Treibhausgasmonitoring ihres Portfolios schaffen. 

Wie bei der Durchführung von Ökobilanzen üblich, definierten der Auftraggeber und der Auftragnehmer zunächst das Ziel und die Systemgrenzen der Untersuchung, um mittels einer Sach- und Wirkungsbilanz die Umweltwirkungen quantifizieren zu können. Die Sachbilanz stellt sämtliche Material- und Energieflüsse innerhalb der Systemgrenzen fest, die Wirkungsbilanz verknüpft diese mit unterschiedlichen Wirkungsfaktoren und liefert quantitativ interpretierbare Ergebnisse nach unterschiedlichen Bewertungsansätzen wie etwa Treibhausgasemissionen oder Umweltbelastungspunkten (ökologische Knappheit). Die zuvor erwähnte methodische Lücke bestand insbesondere bei der Sachbilanzierung: So gibt es zwar zahlreiche Datenquellen für die Ökobilanzierung von Bauprojekten, jedoch sind die dort inventarisierten Materialien vorwiegend auf den Hochbau ausgerichtet. Für die vorliegende Anwendung galt es also, diese Inventardaten mit Datensätzen aus anderen Quellen zu ergänzen (z. B. für Asphaltmischgut) oder eigene Daten zu erheben (z. B. für Randabschlüsse). 

Umfangreiche Portfolioanalyse

Zur Entwicklung des Instruments und Erprobung der Methodik stellte das TAZ total 17 repräsentative Tiefbauprojekte aus dem Jahr 2020 zur Verfügung, die sich bezüglich Bausumme, technischem Umfang und Bauverfahren unterscheiden. Diese Projektdiversität half schliesslich mit, die Haupttreiber für Umweltbelastungen im Tiefbau zu identifizieren und daraus spezifische Handlungsfelder abzuleiten. 

Als wesentliche Grundlage für die Sachbilanzierung dienten Projektunterlagen wie Pläne oder Leistungsverzeichnisse, punktuell (z. B. in Bezug auf die verwendete Zementsorte im Beton) waren Annahmen zu treffen. Die Synthese zur Ökobilanz erfolgte auf Stufe der Gesamtprojekte sowie innerhalb von drei Systemteilen (Strassenbau, Werkleitungsbau und Gleisbau) detailliert nach Elementgruppen (z. B. Randabschlüsse oder Asphalt beim Strassenbau; Grüntrasse oder konventionelle Trasse beim Gleisbau) und Modulen im Lebensweg der Bauwerke (Herstellung, Transport, Einbau und Entsorgung), jeweils quantifiziert in Treibhausgasemissionen und Umweltbelastungspunkten. 

Das Fazit des Projektteams aus dieser umfangreichen Portfolioanalyse umfasst zahlreiche Erkenntnisse. An erster Stelle steht die nicht ganz unerwartete Einsicht, dass der grösste Teil der Treibhausgasemissionen ausserhalb der Stadtgrenze anfällt – also indirekte Emissionen umfasst. Demzufolge trägt insbesondere die Herstellung von Baumaterialien entscheidend zur Umweltbelastung bei. Die beiden Module Einbau und Transport im Lebensweg der Bauwerke sind hingegen nur von Bedeutung, wenn grosse Mengen an Schüttgut anfallen. Als Haupttreiber unter den Elementgruppen identifizierte die Studie Asphaltbelag und Randsteine (Strassenbau), Fahrbahn (konventioneller Gleisbau) und Betonteile (z. B. Hüllbeton) beim Werkleitungsbau; alle zumindest in Bezug auf Treibhausgasemissionen. In der Betrachtung der Umweltbelastungspunkte dominieren die Herstellung bestimmter Bauteile (z. B. Stahl für Schienen) oder deponiebedürftige Elementgruppen (z. B. Aushub für den Werkleitungsbau). 

Spannend war letztlich die Frage, ob sich aus der Portfoliobetrachtung verlässliche Projektwerte für das künftige Treibhausgasmonitoring ableiten lassen. Im Rahmen des eigenen Einflussbereichs interessierten das TAZ speziell die Projektwerte für den Strassenbau. Diesbezüglich zeigten die 17 Projektbeispiele ein relativ homogenes Bild. Die Spannweite der Ergebnisse lag zwischen 0.038 und 0.081 t CO2-eq / m2 Strassenfläche (inkl. Trottoir und Grünflächen) bei einem bereinigten Mittelwert von 0.047 t CO2-eq / m2, der aufgrund der vergleichsweise geringen Streuung der einzelnen Projektwerte aktuell als repräsentativer Wert für Strassenbauprojekte erachtet wird. Die Ermittlung eines mittleren Projektwerts für die verschiedenen Werkleitungen erwies sich als unrealistisch. Hier müssen in einem weiteren Detaillierungsschritt mehrere werkleitungsspezifische Projektwerte gebildet werden, um belastbare Ergebnisse zu erhalten.

Erkenntnisse als Innovationstreiber

Soweit also die Analyse. In seinem Schlussbericht hält das Projektteam zudem vier wesentliche Handlungsfelder zur Verminderung der Treibhausgasemissionen fest: weniger bauen, schlanker bauen, Material ersetzen/optimieren sowie die Verbesserung in den Bereichen Transport, Logistik und Verfahren. 

Erste Erkenntnisse liegen damit auf dem Tisch, ebenso grobe Handlungsempfehlungen – wie also weiter, um die Klimaschutzziele zu erreichen? Angesprochen auf diese Frage verweist Markus Rausch, Fachbereichsleiter des TAZ und Mitglied des Projektteams, als Erstes auf den aufgezeigten Handlungsspielraum, der nun mit der Studie sichtbar geworden ist. So bekam man im Rahmen der Untersuchung nicht bloss Datengrundlagen für Überschlagsrechnungen an die Hand, sondern ein leistungsfähiges Excel-basiertes Berechnungstool zur detaillierten Ökobilanzierung von konkreten Tiefbauprojekten. Dieses erlaubt dem Tiefbauamt einerseits, selbständig die Projektwerte aus seinem Portfolio für eine beliebige Periode zu ermitteln und im Rahmen des Monitorings zu aktualisieren, andererseits aber auch einzelne Projekte und ihre Varianten zu untersuchen oder zu optimieren. 

Durch die Erkenntnisse der Projektauswertungen sieht Rausch zudem erstmals die Möglichkeit, verschiedene im Kontext der Klimaschutzpolitik relevante Aspekte – zum Beispiel CO2-Emissionen auf einfache Art und Weise abzuschätzen und diesen Aspekt bei den Umsetzungsentscheiden für Projekte (zuhanden der Verwaltung, des Parlaments und des Volks) neben den finanziellen und inhaltlichen Punkten einfliessen zu lassen. Kurzum sieht er die vorliegenden Ergebnisse und das niederschwellig anwendbare Tool als grosse Innovationstreiber und als Motivation für Besteller, den Handlungsspielraum in ihren jeweiligen Dienstabteilungen zu analysieren und auszuschöpfen. Sobald im Rahmen der Digitalisierung der Planungsbranche die erforderlichen Grundlagen geschaffen sind, liessen sich auf dieser Basis überdies Umweltattribute als Modellparameter hinterlegen und die BIM-Planung könnte Ökobilanzen als wertvolle Nebenprodukte abwerfen. 

Weitere Informationen und der Antrag zum kostenfreien Bezug des Tools sind hier zu finden.