Die «Va­lue app» erhält wett­bewerb­sre­ch­tlich ein po­si­ti­ves Si­gnal

Lange war es still nach den Turbulenzen rund um den Rückzug der Honorarberechnung nach den Baukosten. Nun werden die Delegierten des SIA an ihrer Versammlung am 28. April über die weitere Zukunft der «Value app» – eine der Ersatzmassnahmen – befinden. Die Einschätzung der eidgenössischen Wettbewerbskommission stimmt zuversichtlich.

Data di pubblicazione
19-04-2023

Die Geschichte ist bekannt: Nachdem der SIA aus wettbewerbsrechtlichen Gründen seine Ordnungen für Leistungen und Honorare (LHO) vom bekannten Zeitaufwandmodell loslösen und in der Folge auch die zeitweiligen Kalkulationshilfen per Ende 2019 zurückziehen musste, arbeitet er an Alternativen und bietet zudem ­Kurse zur Honorarermittlung an. Eine dieser Alternativen – die «Value app» – wurde ursprünglich an der Professur für Architektur und Bauprozess der ETH Zürich entwickelt, um Architekturstudierenden ein Werkzeug zur Ermittlung des Werts einer Planungsaufgabe an die Hand zu geben.

In seiner Ernüchterung nach den wettbewerbsrechtlichen Turbulenzen erkannte der SIA in diesem Instrument indes das Potenzial, um die Lücke der weggefallenen Hono­rarberechnung nach den Baukosten zu füllen, und schloss sich der ETH partnerschaftlich an. Inzwischen ist aus dieser Zusammenarbeit eine praxisfähige Beta-Version der «Value app» zur Anwendung für Architekten entstanden. Geplant ist nun, für die Bereiche Ingenieurbau, Gebäudetechnik und Landschaftsarchitektur ebenfalls entsprechende Anwendungen zu entwickeln.

Statistisch referenziert und geprüft

Auf dem aktuellen Entwicklungsstand besteht die App im Wesentlichen aus den drei Bausteinen «Beschrieb», «Projekt» und «Leistung», die im Zusammenspiel den Umfang einer Planungsleistung quantifizieren. In den Bereichen «Beschrieb» und «Projekt» bildet die Geschossfläche als determinierende Grösse zusammen mit weiteren Faktoren wie dem Standort, der Aufgabe, der Nutzungsart, der Komplexität, einer Risikoabwägung und den Qualitätsanforderungen das Vorhaben ab.

Dafür ist das Aufwandmodell der App in der Entwicklungsphase mit rund 900 Datensätzen der Referenzdatenbank «werk-material.online» validiert worden und leitet so das planungshandwerkliche Mengen­gerüst her. Im Bereich «Leistung» greift die App auf die etablierten Organisationsformen, Rollen und die Leistungsbeschriebe der LHO zurück und quantifiziert – zusammen mit den Grundlagen aus den beiden anderen Bereichen – die Planungsleistung als Stundenaufwand. Abschliessend kommt diese Grösse mit einem individuell und unabhängig von der App zu veranschlagenden Stundenansatz zusammen und kann so beispielsweise zur Vertragsgestaltung führen.

Zu diesem Entwicklungsstand trugen auch rund einhundert SIA-Mitglieder bei, die vor gut einem Jahr im Rahmen einer Testphase die Methodik auf Gebrauchstauglichkeit prüften und zwecks Validierung der Datengrundlagen eigene, ab­geschlossene Projekte in der An­wendung abbildeten. Dank dieser Mitwirkung gelang es dem App-Entwicklungsteam, die Stunden­aufwandschätzung für spezifische Objekte besser zu fundieren und beispielsweise bauliche Eigenheiten wie Erschliessungen mit Laubengängen, die nicht in der Geschossfläche erfasst werden, einzubeziehen. Dennoch zeigt die App bei sehr kleinen und speziellen Projekten teilweise noch grosse Abweichungen zu den tatsächlichen Aufwänden und ist in diesem Bereich auf zusätzliche Referenzdatensätze angewiesen.

Einschätzung der Weko

Aufgrund der ursprünglichen Rüge der Wettbewerbskommission (Weko), die zum Rückzug der Honorarberechnung nach den Baukosten führte, gilt es für den SIA jedoch, seinen Mitgliedern mehr als nur ein praxistaugliches Hilfsmittel zu bieten. So greift die «Value app» im Gegensatz zur ehemaligen LHO-Honorarberechnung dank einer Datenerhebung und -auswertung künftig im Hintergrund auf statistische Grundlagen zurück und fördert mit individuell festzulegenden und nachvollziehbaren Einflussfaktoren die Diskussion und Transparenz zwischen Auftraggebenden und Auftragnehmenden beim Vertragsabschluss. Die Festlegung sämtlicher Wettbewerbsparameter liegt damit bei den Vertragspartnern. Auch soll in Zukunft die bestehende Datenbasis mithilfe der Nutzenden und eines «Datentreuhänders» (der die Daten anonym verwaltet) noch weiter ausgebaut werden, um die verwendeten Parameter fortwährend zu validieren.

Damit stand bei der Entwicklung der App die Wettbewerbskonformität an erster Stelle. Um diese zu klären und weitere Fragen zu diskutieren, setzte der SIA vergangenen Herbst eine Taskforce ein und reichte Anfang Jahr eine entsprechende Beratungsanfrage bei der Weko ein. Mit Erfolg: In ihrer dieser Tage publik werdenden Antwort schätzt die Weko die App als wettbewerbsrechtlich legal ein. Konkret kommt sie zum Schluss, dass die Absicht des SIA, die «Value app» weiterzuentwickeln und sie der ­Planungsbranche ohne Bevor­zugung eigener Mitglieder zugänglich zu machen, mutmasslich zu keiner Wettbewerbsbeeinträchtigung führt und stuft das Vorhaben demnach nicht als Verstoss gegen das Kartellgesetz ein.

Dies bestätigt eine vom SIA bei der Anwaltskanzlei Kellerhals Carrard in ­Auftrag ge­gebene juristische Er­läuterung, die die Einschätzung der Weko als sehr positiv wertet und dem Verein empfiehlt, das Projekt «Value app» weiterzu­verfolgen. Diese Empfehlung kommt gewissermassen just zur rechten Zeit: Denn an ihrer Versammlung vom 28. April 2023 haben die SIA-Delegierten zu entscheiden, ob der Verein sein Engagement in der­ ­Weiterentwicklung der App – unter anderem auch für die Disziplinen Ingenieurbau, Gebäudetechnik und Landschaftsarchitektur – fortführen soll.