Ein Wald-Ex­pe­ri­ment für 100 Jah­re

Direkt neben dem ETH-Campus Hönggerberg ging Anfang September das Waldlabor Zürich in Betrieb. Die Gründer wollen es als Versuchs- und Vermittlungsfeld zum Kulturwald nutzen. Man hofft auf langfristige Erkenntnisse und den Dialog mit der Bevölkerung.

Data di pubblicazione
24-09-2020

Der Zeitpunkt hätte nicht idealer sein können. Bei schönstem Spätsommerwetter wurde das Waldlabor Zürich auf dem Hönggerberg Anfang September offiziell eingeweiht. Es soll 100 Jahre existieren, was in unserer schnelllebigen Zeit eigenartig an­mutet. Denkt man aber an das langsame Wachstum von Bäumen, ergibt der lange Zeitraum Sinn.

Die Idee zu einem Waldlabor entstand letztes Jahr anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums von Wald­Zürich, dem kantonalen Verband der Waldeigentümer. «Wir wollten etwas Einzigartiges und Bleibendes für unsere Nachkommen schaffen», sagt Kaspar Reutimann, Präsident von WaldZürich. Zuerst sei es ein Projektbegriff gewesen, aus dem eine Vision und ein Projekt wuchs, und nun sei es Realität. Ein Lehr­buch dafür gebe es nicht; in ­dieser Art wie jetzt in Zürich existiere ein Waldlabor noch nicht, so Reutimann.

Nutzung als Hauptthema

Das Waldlabor sei ein Ort zum Experimentieren. Das Projekt beabsichtige aber auch, die Bevölkerung für die vielfältigen Leistungen des Walds zu sensibilisieren. Dazu gehöre auch die Holznutzung. Das Waldlabor ist deshalb kein Reservat, sondern ein Ort, an dem der durch den Menschen bewirtschaftete und genutzte Wald thematisiert wird, mit folgenden Aspekten: Gesellschaft und Wald, Bewirtschaftungsformen, Biodiversität und Ökosystemleistungen, Klimawandel und Querschnittsthemen.

Den Dialog suchen

Erster Geschäftsführer ist Martin Brüllhardt: «Der Lern-, Erlebnis- und Forschungsort bezweckt, Gesellschaft, Forschung und Praxis zusammenzubringen, um gemeinsam zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.» Die Forstwirtschaft rühme sich, den Nachhaltigkeits­gedanken auf den Weg gebracht zu haben. Nun biete sich die grosse Chance, diesen weiterzuentwickeln.

Das Arbeitsprogramm des Labors ist allerdings noch mit Inhalt zu füllen. 37 Projekte sind in Planung oder befinden sich in der Umsetzung. So etwa ein Arboretum, das rund 400 Baum- und Straucharten präsentieren will. Etwas mehr als die Hälfte soll im Wald selbst stehen, die restlichen auf dem angrenzenden offenen Gelände der ETH Hönggerberg. Bereits im Frühjahr begann das Pflanzen der ersten Bäume.

Informationen für Interessierte und Besuchende werden vorerst via einer App vermittelt, die zur Eröffnung des Waldlabors Anfang September aufgeschaltet wurde. An den wichtigsten Zugängen des städtischen Naherholungsgebiets sind zudem Informationstafeln aufgestellt.

Spezielle Nutzungsformen

Der Standort Hönggerberg in Zürich stand rasch im Vordergrund. Für ihn sprachen zum einen die Nähe zum ETH-Campus und die gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Zum anderen teilen sich Stadt und Kanton eine Waldfläche von 150 ha, die nun grosszügigen Raum für das Labor bieten soll. Die Ini­tianten hoffen darauf, angrenzende Privatwaldbesitzer ebenfalls zur Teilnahme bewegen zu können.  

Zum Waldlabor passt auch die Fläche mit Mittelwald-Bewirtschaftung, um die sich Grün Stadt Zürich (GSZ) jetzt schon kümmert und die die ETH vor rund 30 Jahren initiierte. Speziell daran ist: Die historische Nutzungsform deckte verschiedene Ansprüche gleichzeitig ab. Mächtige Eichenstämme dienten als Bauholz, während kleinere und aus Stockausschlägen hervorgegangene Bäume im Abstand von rund 25 Jahren als Brennholz genutzt wurden. Nutztiere liess man weiden. Ein «Mittelwald» ist zudem wertvoller Lebensraum für spezielle Vogelarten wie den Mittelspecht. Grün Stadt Zürich will deshalb an dieser Bewirtschaftungsform festhalten.

Die Initianten vereinbarten den Zuspruch der Fläche von Stadt und Kanton für 100 Jahre. Laut GSZ-Leiterin Christine Bräm sei eine solche Projektdauer für die Juristen der Stadtverwaltung knifflig gewesen. «Im Waldlabor ist Experimentieren und Scheitern erlaubt» – nur so komme man zu neuen Erkenntnissen und Lösungen. Für die Stadt Zürich sei der Wald vor allem als Erholungsraum wichtig. Dies habe sich besonders während der ersten Phase der Corona-Pandemie gezeigt, so Bräm.

Breite Trägerschaft

Das Waldlabor kann sich auf eine breite Trägerschaft abstützen. Sie besteht aus Grün Stadt Zürich, dem Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons, dem Waldeigentümerverband WaldZürich, dem Verband Zürcher Forstpersonal, der ETH Zürich sowie der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Bei der Eröffnung pflanzten die Vertreter des Wald­labors auf ­einer Lichtung sieben Stieleichen.

Für den Erfolg des ersten Waldlabors in Zürich dürfte entscheidend sein, ob daraus auch ein Ort für Begegnungen wird, der Raum und Zeit für aktuelle Themen und Debatten geben kann.

Weitere Informationen auf www.waldlabor.ch