Ge­ht der Ge­bäu­de­nu­tzer ver­ges­sen?

Selbst nachhaltige Bauten sind nur dann gut genug, wenn sie gefallen und die Erwartungen der Nutzer erfüllen. Letzteres scheint jedoch keine Selbstverständlichkeit zu sein, war an der Fachtagung Nachhaltiges Bauen zu vernehmen.

Data di pubblicazione
09-04-2019

Man stelle sich vor: Die Gemeinde X baut ein neues Schulhaus und fragt zuvor die Schülerinnen und Schüler nach ihren Wünschen. Oder: Hausbesitzer K. plant eine Verschönerung des Aussenraums und sammelt dazu Ideen aus der Bewohnerschaft. Wäre man selbst Teil einer dieser Nutzergruppen, hätte man sicher schnell eigene Vorstellungen parat.

Doch die Realität funktioniert anders; die meisten werden nie gefragt. Obwohl die Nutzerbedürfnisse für Gebäudelabels wichtige Kriterien sind, ist die Beteiligung derer, die dereinst täglich ein und aus gehen, selten. Auch partizipative Verfahren sind für die Immobilienwirtschaft ein Ausnahmefall. An der nationalen Fachtagung zum nachhaltigen Bauen (vgl. Kasten) wurde deshalb nachgefragt, ob der Gebäudenutzer eigentlich vergessen geht. 

Beat Wüthrich vom Hochbauamt des Kantons Zürich wagte die These, dass man «zu oft die Augen vor Nutzerfragen verschliesst und das Wissen der Nutzer zu wenig berücksichtigt wird». Bedauerlicherweise wusste die Tagung darauf keine befriedigende Antwort zu geben. Sämtliche Inputs und Diskussionen waren Immobilienmachern vorbehalten: Private und öffentliche Bauherren referierten über Bestellerkompetenz und phasengerechtes Planen, Architekten über Entwurfsthemen und produktivitätssteigerndes Bürodesign. Aber was nie zur Sprache kam, war die Sicht der Betroffenen. Es waren weder Gebäudebetreiber noch Vertreter aus der Facility-Management-Branche präsent. 

Wie wichtig ein Dialog zwischen Besteller und Ersteller ist, bestätigte derweil Stephan Wüthrich von der Berner Fachhochschule: «Ein Gebäude muss dem Nutzer erklärt werden», sonst wisse dieser nicht, welche Qualitäten zu erwarten sind.

Was muss erklärt werden?

Ulrich Schramm, Forscher an der Fachhochschule Bielefeld, verdeutlichte, dass ein solcher Informationsbedarf nicht mit operativen Erklärungen oder detaillierten Betriebshandbüchern befriedigt werden kann. Vielmehr brauche es dazu eine «nutzerorientierte Bedarfsplanung» vom Anfang bis zum Ende. Um unzweckmässige Gebäude zu verhindern und Unzufriedenheit seitens der Nutzer zu vermeiden, seien umfassende Verbesserungen erforderlich, «in allen Prozessphasen von der Entwicklung über die Planung bis zur Qualitätssicherung im Betrieb». Sonst zeige sich erst im Nachhinein, wie wenig die Ziele der Bauherrschaft und die Bedürfnisse der Nutzer übereinstimmten. Die Nutzer stärker zu beteiligen sei ein Gewinn für sich. «Wenn diese stärker als bisher mitsprechen dürfen, nehmen sie das neue Arbeits- oder Wohnumfeld besser an», ist Schramm überzeugt. 

Dass sich Methoden zur Beteiligung künftiger Immobiliennutzer längst etabliert haben, wurde im Workshop «Ein Gebäude bitte! Die Bestellung macht es aus» vertieft. Die Debatte bestritten zwei Architektinnen, Michaela Kunze, «Die Baupiloten», und Christine Steiner Bächi, Immobilienberaterin bei EBP Schweiz, gemeinsam mit Matthias Heinz, Pool Architekten.

Michaela Kunze leitet selbst partizipative Verfahren, etwa wenn neue Schulhäuser oder Siedlungsgärten realisiert werden sollen. «Berücksichtigt man die Nutzer in einer Entscheidungsfindung systematisch, gewinnt man daraus ein bedarfsgerechtes Programm.» Ein Aber gibt es auch: Alle Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer warnten davor, die Büchse der Pandora zu weit zu öffnen. Denn gewünscht werde oft viel, umsetzen lasse sich davon höchstens ein Teil. «Niemals kann all das erfüllt werden, was die Nutzer möchten», schränkte auch Architekt Heinz ein. Limitierend wirkten sich etwa die detaillierten Baunormen oder die häufigen Widersprüche im Wunschprogramm der Besteller aus. Steiner ergänzte, dass «Bauherrschaften oft Angst vor der Mitsprache haben». 

Heinz, Steiner und Kunze kümmern sich zwar täglich darum, Nutzerbedürfnisse zu konkretisieren oder zu antizipieren. Was ihnen jedoch fehle, ist ein systematisches Feedback, wie gut das Gebaute effektiv funktioniert. Nach der Schlüsselübergabe komme ihnen kaum mehr zu Ohren, wie sehr die Nutzer damit zufrieden sind. Auch dazu kann man sich leicht vorstellen: Ein solches Feedback wäre des Öfteren angebracht.

Breit abgestützter Anlass


Die nationale Fachtagung Nachhaltiges Bauen hat in der diesjährigen Austragung nicht nur ein weites Themenfeld, die Gebäudenutzung aufgegriffen, sondern auch ihr Fundament verbreitern können. Neu bilden fünf Organisationen die gemeinsame Trägerschaft, die vornehmlich aus Vertretern privater und öffentlicher Bauherrschaften in der Schweiz besteht. Neben dem Verein Ecobau und dem Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz NNBS gehören nun auch die Berner Fachhochschule, der Verein Minergie und die Schweizerische Zentralstelle für Baurationalisierung CRB dazu.


Die Referate finden Sie hier.