Von Be­ben und Bau­mei­stern

Ein Uhr in der Nacht: drei heftige Erdstösse, kurz hintereinander. Die Erschütterungen reissen die Bevölkerung aus dem Schlaf. Das Epizentrum des Bebens mit der Stärke 5.4 liegt im Wallis, im Ort Birgisch. Es ist der 24. Januar 1837 – heute wird der SIA gegründet.

Data di pubblicazione
28-06-2017
Revision
28-06-2017

Dienstag, 24. Januar 1837, 10 Uhr morgens – 57 Baufachleute versammeln sich im kleinen Saal des Casinos Aarau. Eingeladen hat sie der aus Halle an der Saale stammende Carl Ferdi­nand von Ehrenberg. Der an der ­Berliner Bauakademie zum «königlich-preussischen Baukondukteur» ausgebildete Ehrenberg ist Privatdozent für angewandte Mathematik und Baukunst an der soeben eröffneten Universität Zürich. Die aus der ganzen Schweiz Angereisten werden ihn heute zum ersten Sekretär der neuen «Gesellschaft Schweizerischer Ingenieure und Architekten» wählen, jener Vereinigung, aus der später der SIA hervorgehen wird.

Das Beben in der Nacht hat in mehreren Städten zu leichten Schäden an Gebäuden geführt. Giebel haben gekracht, Mauern wurden beschädigt, vereinzelte Kamine sind eingestürzt. Die Baukundigen hat an diesem Vormittag in Aarau aber keineswegs das Erdbeben oder die erlittenen Bauschäden zusammengeführt – wahrscheinlich ist es nicht einmal Thema an ihrer Versammlung gewesen. Vielmehr haben sie die beschwerliche Anreise zu Pferde oder mit der Postkutsche nach Aarau auf sich genommen, um den Grundstein für besagte neue Gesellschaft zu legen. Ihr Zweck: «Die Beförderung von Kenntnissen in den Fächern Architektur und Ingenieurwissenschaften.» 

Fernes Beben und News-Alarm

Samstagmorgen, 29. April 2017 – wieder ein Beben, ein gewaltiges diesmal, 7.2 auf der Richterskala. Anders als 1837 passiert es diesmal auf den 10 000 km entfernten Philip­pinen. Millionen Menschen kommen mit dem Schrecken davon: zahlreiche beschädigte Gebäude, wenige Verletzte, keine Toten. Vor 180 Jahren hätten die 62 Delegierten von SIA-Sektionen und Berufsgruppen, die sich an diesem Morgen in Winterthur versammeln, von diesem Beben gar nichts erfahren. Wollte man sich dazumal gegenseitig informieren, musste man physisch präsent sein, oder man schrieb sich einen Brief. 2017 genügt der News-Alarm des Smartphones.

Seit knapp 50 Jahren gibt es die Vorschriften des SIA für erdbebensicheres Bauen in der Schweiz. Die Vereinsvertreter beschäftigen daher an ihrer Zusammenkunft heute nicht die Naturgefahren, sondern die Zukunft der Schweiz. Zu Zeiten der Gründung ihrer Gesellschaft lebten lediglich rund 2.4 Millionen Menschen im Gebiet der heutigen Schweiz. 2017 sind es 8.4 Millionen. «Bauen für die 10-Millionen-Schweiz» ist die Herausforderung, der sich die Planer stellen müssen. Politiker und Bürger erwarten heute hierzu von ihnen Antworten. Die Diskussion, wie man eine Vision der Schweiz im Jahr 2050 entwickeln kann, prägt die Jahresversammlung der Delegierten im 181. Vereinsjahr. 

Wissen und Visionen fördern

Mittag des 24. Januar 1837 – der Vormittag ist planmässig verlaufen: Herr von Ehrenberg eröffnet die ­Versammlung, Oberst Pestalozzi, Bau­inspektor aus Zürich, wird zum Präsidenten gekürt, hält eine – wie überliefert – «gehaltvolle» Rede, die Statuten werden verabschiedet. Die neue Gesellschaft ist gegründet. ­Danach folgt der gesellige Teil des Tags: «Ein freundschaftliches, durch höchst anziehende Unterhaltung über technische Gegenstände gewürztes Mittagsmahl im Casino vereinigte manche aus der Nähe und Ferne gekommene Kollegen zu Freunden», wird der «Schweizerische Republikaner» eine Woche später über die Versammlung schreiben. Dem eigentlichen Vereinszweck, der «Beförderung des Wissens», werden die Mitglieder allerdings erst 1838 bei ihrer zweiten Versammlung in Luzern nachkommen: Zahlreiche Baukundige werden Abhandlungen über ihr Schaffen verlesen. Denn eine schweizerische Ingenieurschule, die diese Fachkenntnisse vermittelt, gibt es noch nicht.

«Neue Zürcher-Zeitung» vom 25. Januar 1837: «An die Architekten, die vor wenigen Tagen in Aarau zusammentraten, möchten wir ei­nige Worte und Wünsche richten. Wir kennen mehrere unter ihnen als fachkundige, besonnene und vaterländisch gesinnte Männer. Wir dürfen daher der Hoffnung Raum geben, dass sie und ihre Kollegen dieser Vereinigung eine gemeinnützige Richtung geben werden, und dass dadurch jeder Versuch auf den Geldbeutel der Unkundigen durch geschwätzige Baumeister beseitigt bleibt.» Wie es um die Geschwätzigkeit der heutigen Baumeister und deren Blick auf die Geldbeutel der «Unkundigen» steht, sei dahingestellt. Die gemeinnützige Richtung des Vereins ist im Jahre 2017 unbestritten. Ob es dem 180-jährigen SIA auch gelingt, die Vision einer lebenswerten Schweiz zu zeichnen?

 

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