Ge­nos­sen­schaft­li­cher Spa­zier­gang

Seit einigen Jahren entstehen in Zürich exemplarische Genossenschaftsbauten. Damit auch die allgemeine Baupraxis davon profitieren kann, haben vier Genossenschaften und der Dachverband WBG Zürich die Veranstaltungsreihe «Plattform Genossenschaften» ins Leben gerufen. Der erste Anlass fand am 28. Mai 2014 statt.

Publikationsdatum
30-05-2014
Revision
01-09-2015

Zürich ist ein teures Pflaster. Wäre nicht ein Viertel der Wohnungen städtisch oder genossenschaftlich, hätte die Stadt längst die Probleme, die gegenwärtig reiche Gemeinden vom Zürichsee melden. Dort finden normalverdienende Familien keine Wohnungen mehr, und da es vor allem dieses Bevölkerungssegment ist, das sich in Behörden und Vereinen engagiert, bricht den Gemeinden die Substanz weg, die das Gemeinwesen trägt und die Institutionen am Leben hält. Dass auch Tramchauffeusen und Sandwichverkäufer in Zürich wohnen können und morgens nicht von weit her zupendeln müssen, trägt zur hohen Lebensqualität der Stadt bei. Die soziale Durchmischung ist auch ein wichtiger Faktor für die politische Stabilität. Seit 1907 fördert darum die Stadt den gemeinnützigen Wohnungsbau, indem sie Land im Baurecht an Genossenschaften abgibt und mit Darlehen der städtischen Pensionskasse dafür sorgt, dass diese trotz wenig Eigenkapital bauen können. Weil die Genossenschaften keinen Gewinn machen dürfen, liegen die Mieten im Schnitt bei etwa zwei Dritteln von vergleichbaren privaten Mietobjekten. 2011 hat das Stimmvolk die Stadt verpflichtet, den Anteil der gemeinnützigen Wohnungen auf ein Drittel zu steigern. 

Der gemeinnützige Wohnungsbau diente immer wieder als Experimentierfeld für zeitgemässe Architektur- und Wohnformen. Ihm verdankt Zürich die Gartenstadt-Siedlungen der 1920er-Jahre, die Werkbundsiedlung Neubühl von 1932, A.H. Steiners Siedlung Heiligfeld von 1955 oder Karl Flatz’ Lochergut von 1966. Heute ist Zürichs Genossenschaftsbewegung erneut im Aufbruch. Junge Gründungen wie Kraftwerk1, Mehr als Wohnen oder Kalkbreite bringen Projekte hervor, die einer nachhaltigen Entwicklung über den Wohnungsbau und die Architektur hinaus Impulse verleihen können. Typisch für diese Bauten ist die Verzahnung von Architekturprojekt, Stadtentwicklung und partizipativer Planung.

Damit auch die allgemeine Baupraxis davon profitieren kann, haben nun vier Genossenschaften und der Dachverband WBG Zürich die Veranstaltungsreihe «Plattform Genossenschaften: neue Wohnformen, urbane Kultur, innovative Konzepte» ins Leben gerufen. Die Anlässe sind öffentlich und gratis, sie sollen innovative Bauten und Planungsprozesse bekannt machen, Wissen und Erfahrungen vermitteln, Behörden und Öffentlichkeit informieren und gemeinnützige wie private Bauträger inspirieren. 

Den Auftakt machte am 28. Mai 2014 ein Spaziergang durch Genossenschaftssiedlungen aus verschiedenen Epochen in Wiedikon und Aussersihl. Bewohnerinnen und Bewohner gaben kurze Einblicke in die Geschichte und den Alltag ihrer Siedlung. Ein Fokus lag auf der Frage nach Mitsprachemöglichkeiten. Denn von den Innovationen der letzten Jahre sind viele in Planungsprozessen mit engagierten Laien entstanden. Der Rundgang zeigte anschaulich, dass die Entstehungszeit die Architektur der Siedlungen, aber auch die politische Kultur der jeweiligen Genossenschaft geprägt hat – und beides bis heute fortwirkt.

Die Siedlung Sihlfeld der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) prägt als monumentaler Bau den Bullingerplatz (siehe Abbildung). Er entstand 1929 im Rahmen einer städtischen Quartierplanung, ist denkmalgeschützt und wurde neulich renoviert. Mitsprache beim Bau gibt es in der ABZ nicht, die Mitglieder können sich in der Siedlungskommission engagieren und Ideen anbringen. So sind etwa die Pflanzbeete im Innenhof entstanden. Ein Paar aus der Siedlung betreibt ein beliebtes neues Café am Platz. 

Die Siedlung Hellmutstrasse der Wogeno, die Genossenschaften Karthago (ebd.) und Dreieck waren Stadtreparaturprojekte, die in den 1980er-Jahren in Opposition gegen die städtische Politik erstritten und Mitte der neunziger Jahre anerkannt wurden. Kleine im Quartier verankerte Gruppen entwickelten hier Alternativen zur offiziellen Stadtentwicklung und schufen Lebensräume für sich (Helmutstrasse, Karthago) und andere (Dreieck). Der erste Bau der Genossenschaft Kalkbreite, der im August 2014 eingeweiht wird, ist wiederum ein monumentaler, quartierprägender Bau, der in Partnerschaft mit der Stadt entstand, diesmal aber von einer grossen Gruppe engagierter Laien und Profis geplant und voller Nutzungen, die dem ganzen Quartier zugute kommen (ab 27. Juni in TEC21 26-27/2014). 

Weitere Infos: http://plattform-genossenschaften.ch

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