In­nere Sied­lung­sent­wi­ck­lung

Seit einiger Zeit prägt das Schreckgespenst der Zersiedelung die Debatte um Stadt- und Raumplanung –gemeinsam mit dem Gegenrezept der Verdichtung oder attraktiver: der inneren Siedlungsentwicklung. Während für die Zersiedlung eine Berechnungsformel (1) existiert, gibt es für gelungene Verdichtungen keine Rezepte. Ideen präsentierten Planer und Behördenvertreter am 20. Januar 2012 an der Swissbau.

Date de publication
22-01-2012
Revision
25-08-2015

Den Beginn der Veranstaltung machte Patrick Gmür, Direktor des Amts für Städtebau der Stadt Zürich. In seinem Input-Referat präsentierte er aktuelle Beispiele von Quartierentwicklungen aus Zürich.

Diskrete Urbanität

Seit zehn Jahren wächst Zürich: 28 000 neue Bewohner und Bewohnerinnen sind in dieser Zeit in die Stadt gezogen, das bedeutet eine Zunahme an Wohnfläche von 1.5 Mio. m2, ein Grossteil davon (1 Mio. m2) sind Ersatzneubauten. Zwar gibt es heute in der Stadt kaum mehr zu bebauende Freifläche, aber die Bau- und Zonenordnung bietet noch Spielraum. Die Stadt kann in einen begrünten und einen kompakten Stadtkörper unterteilt werden, letzterer ist einfacher zu verdichten, weil sich der Charakter des Quartiers damit nicht ändert. Aktuelle Beispiel dafür sind die Planungen an der Europaallee, am Leutschenbach oder beim Löwenbräu-Areal. Im Gegensatz dazu stehen die Aussenquartiere, die oftmals als Gartenstädte entstanden sind. Sie sind geprägt von maximal dreigeschossigen Zeilenbauten und viel Grünraum, einer Typologie, die zwar grosses Verdichtungspotenzial bietet, aber die durch die Erhöhung der Geschosszahl ihren Charakter komplett ändern würde: Aus dem siebten Stock ist der Bezug zum Garten nicht mehr vorhanden. Gmür sprach auch ein weiteres Problem an: Zwar gibt es bereits einige realisierte Quartierverdichtungen, mit der Menge der Wohnungen erhöht sich die Zahl der Bewohner und Bewohnerinnen aber nicht im gleichen Masse. Der Flächenbedarf pro Person steigt – ein Zeichen für den zunehmenden Individualismus einerseits, für den wachsenden Wohlstand andererseits. Gmür betonte, Verdichtungen auch als Chance zu begreifen – vor allem wenn diese mit hochwertigen Aussenräumen verknüpft seien, stellen sie eine echten Mehrwert für das gesamte Quartier dar.

Gute Absichten allein bringen nichts

An diesen Gedanken knüpfte Hans-Georg Bächtold, Generalsekretär des SIA und ehemaliger Leiter der Raumplanung im Kanton Basel-Land, mit seinem Referat an. Das Potenzial von Verdichtungen sei ebenso bekannt wie der Handlungsbedarf – allein die Umsetzung, die viel zu langsam von statten gehe, hapere. Am Beispiel von Verdichtungen in Bahnhofsnähe (Schaffhausen, Liestal, Salina Raurica) erläuterte Bächtold Verdichtungsprojekte, die er in seiner Eigenschaft als Leiter der Basel-landschaftlichen Raumplanung begleitete. Auffallend bei allen war die lange Projektdauer, die bspw. in Schaffhausen bis zu 25 Jahren reichte. Aus diesen Erfahrungen nannte Bächtold vier Fakten, die – neben der Bedeutung von Testplanungen – essenziell seien für erfolgreiche Verdichtung:

  1. Der richtige Zeitpunkt
  2. Die Wahl des Perimeters (gross genug)
  3. Die Kooperation der Politik 
  4. Jedes Projekt braucht einen «Kümmerer» mit Autorität und Kompetenz 

Als problematisch sah Bächtold das bestehende Bodenrecht, das es bei vielen Einzeleigentümern nahezu unmöglich mache, eine Siedlungsentwicklung zu realisieren.

Weg mit dem «Claim-Fetischismus»

In der anschliessenden Diskussion erörterten die Referenten sowie Peter Gugger (Arbeitspsychologe), Wilhelm Natrup (Kantonsplaner Zürich) und Pascal Gysin (Landschaftsarchitekt) das Vorgehen bei Verdichtungsprojekten – die Notwendigkeit war unbestritten. Thematisiert wurde die Unsicherheit, die bei den Bewohnern und Bewohnerinnen aufkommt, wenn eine Verdichtung zur Debatte steht. Auffangen könne man diese über gute Kommunikation, interdisziplinäre Zusammenarbeit und mit Best-practice Beispielen: Die Menschen müssen vom Mehrwert der Verdichtung überzeugt werden. Und: dieser Mehrwert sollte nicht nur über die Fläche definiert werden, sondern auch über architektonische Qualitäten wie hohe Raumhöhen, gute Lichtführung oder variable Aussenräume.
Ein wichtiger Faktor für eine lebendige Siedlung ist ihre Diversität. Diese lässt sich über gesetzliche Regelungen2 ebenso regeln wie mit einem Angebot an unterschiedlichen Wohnungstypen für unterschiedliche Lebensphasen: Während immer noch Wohnungen gebaut werden, deren Grundriss auf die Bedürfnissen der 1950er-Jahre Kleinfamilie ausgerichtet war, entspricht dieses Lebensmodell heute nur noch einer Minderheit in eine bestimmten Lebensabschnitt.

Anmerkung

  1. Gudrun Sachse, «Los Angeles in den Alpen», NZZ Folio 01/12  
  2. Im November 2011 beschloss das Zürcher Stimmvolk, dass der Anteil gemeinnütziger Wohnungen an der Gesamtheit der Mietwohnungen von heute 25 % bis 2050 auf 30 % zu erhöhen sei

Angaben zur Publikation


Mitte Januar ist eine Dokumentation des Zürchers Hochbaudepartements mit 30 Verdichtungen seit den 1990er-Jahren erschienen. Sie ist im Buchhandel sowie im Amtshaus IV und im Baugeschichtlichen Archiv erhältlich.
Hochbaudepartement der Stadt Zürich, Amt für Städtebau (Hrsg.):
Dichter. Eine Dokumentation der baulichen Veränderung in Zürich, 30 Beispiele
86 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Format 21 x 30, 25.– Fr., 
ISBN 978-3-905384-14-7 

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