Die Zu­kunft des Waldes

Vom Waldsterben zur Waldkrise

In Mitteleuropa verändern sich gegenwärtig die Wälder augenfällig. Das zeigen auch wissenschaftliche Studien und Forstinventare. Klimaerwärmung und extreme Ereignisse machen den Bäumen zu schaffen. Was ist zu tun, damit die Wälder ihre vielfältigen Leistungen auch in Zukunft erbringen können?

Date de publication
24-09-2024

In den 1980er-Jahren war das Waldsterben das grosse Thema der Umweltpolitik. Das Phänomen bezeichnete damals neuartige Waldschäden, die die Wissenschaft der Luftverschmutzung und dem sauren Regen zuschrieb. Die Politik reagierte und erliess wirksame Vorschriften zur Luftreinhaltung für Kraftwerke und den motorisierten Verkehr. Der Katalysator wurde obligatorisch. Die deutsche Bezeichnung «Waldsterben» fand damals Eingang in andere Sprachen. 

Nun ist seit einigen Jahren in Deutschland vermehrt von einer «Waldkrise» die Rede. Vor allem die Forstbranche verwendet die neue Wortkombination. Die Anlehnung an den Begriff Klimakrise kommt nicht von ungefähr und beschreibt Hauptursache und Herausforderung gleichermassen. Aber auch die Politik begreift zunehmend den Zusammenhang. So liess sich etwa Cem Özdemir, der deutsche Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, mit folgenden Worten zitieren: «Die Klimakrise hat unseren Wald fest im Griff, lang andauernde Trockenheit und hohe Temperaturen der letzten Jahre haben bleibende Schäden hinterlassen. Nur noch jeder fünfte Baum ist vollständig gesund. Der Wald entwickelt sich zum Dauerpatienten.»

In unserem nördlichen Nachbarland gibt es ­Regionen, wo es dem Wald augenfällig nicht gut geht. Das vielleicht prominenteste Beispiel ist der Harz. In diesem bewaldeten Mittelgebirge im Grenzgebiet von Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen veränderte sich das Waldbild in den letzten Jahren dramatisch. Die trockenen und heissen Jahre setzen insbesondere den Fichten zu. Der Borkenkäfer hat ein leichtes Spiel. Der «Spiegel» berichtete kürzlich in einer Reportage über «gespenstische» Landschaften.2

Grosse Waldschäden im Jura

Auch in der Schweiz gibt es Regionen mit grossen Waldschäden. Der heisse und trockene Sommer 2018 machte vor allem den Wäldern im Jura zu schaffen. Besonders stark betroffen waren die Buchenwälder in der Ajoie im Kanton Jura. Im Sommer 2019 rief die Kantonsregierung den Zustand der Waldkatastrophe aus. So wurden etwa Wanderwege wegen der Gefahr umstürzender Bäume gesperrt. «Nach dem Notfall- und Krisenmana­gement besteht die Herausforderung nun darin, den Übergang zu klimaangepassten Wäldern zu bewältigen», sagte David Eray, der jurassische Umweltminister im Mai 2023.

Wie einst das Waldsterben, beschäftigt der gegenwärtige Zustand der Wälder wiederum die Wissenschaft. Im Fokus stehen heute der Klimawandel und Extremereignisse. Aber auch andere Einwirkungen wie Schädlinge und hohe Stickstoffeinträge, die den Nährstoffhaushalt der Böden aus dem Gleichgewicht bringen, werden untersucht. 

Dass sich Europas Wälder verändern, konnten Wissenschaftler der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL eindrücklich aufzeigen.4 Anhand von Satellitenbildern ermittelten die Forscher die «Grünheit» der Wälder in Europa in den Sommermonaten von 2002 bis 2022. Ein «grüner» Wald steht dabei für einen mehr oder weniger gesunden Wald, während in einem «braunen» Wald etwas geschehen ist. Gründe für ein reduziertes Waldgrün im Sommer können Borkenkäfer­befall, Windwurfflächen, Waldbrandflächen, Blattverfärbung im Sommer oder allenfalls auch die Waldbewirtschaftung sein. 

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Der Vergleich der einzelnen Jahre zeigt im trockenen Jahr 2003 eine Abnahme der «Grünheit», damals aber noch auf wenige Gebiete begrenzt. Flächenhaft sticht das Phänomen in Mitteleuropa erstmals 2018 hervor. Im Jahr 2022 erreicht es schliesslich ein Maximum. Und etwas besorgt fragt man sich, wie die Entwicklung in den nächsten Jahren wohl weitergeht und ob wir tatsächlich mit einer verbreiteten Waldkrise konfrontiert sind, auch hierzulande.

Landesforstinventar rüttelt auf

Für die Schweiz liefert das Landesforstinventar vertiefte Einblicke. Anhand von Stichproben erhebt es den Waldzustand, derzeit bereits zum fünften Mal. In einer ersten Zwischenbilanz wird für die Jahre 2018 bis 2022 eine höhere Zahl von toten oder geschädigten Bäumen aufgrund von Trockenheit oder Schädlingen festgestellt.5 Regional änderte sich die Baumartenzusammensetzung. So ist die wirtschaftlich wichtigste und häufigste Baumart der Schweiz, die Fichte, im Jura, im Mittelland und in den Voralpen zurückgegangen. 

Vor allem im Jura erhöhte sich die Nutzung der Buche nach dem trockenen Sommer 2018. Der Bestand der Eschen ist wegen einer eingeschleppten Pilzerkrankung stark rückläufig. Auf der Alpensüdseite erleidet vor allem die Edelkastanie Einbussen (vgl. «In den Schutzwäldern werden wir Probleme bekommen», ). Teilweise zeichnet sich auch beim Holzvorrat – das Gesamtholzvolumen der lebenden Bäume und Sträucher mit einem Durchmesser von mehr als 12 cm auf Brusthöhe – eine Trendwende ab. Nur noch in den Alpen und auf der Alpensüdseite nimmt dieser zu. In den Vor­alpen blieb er im Vergleich zur vorherigen Erhebungsperiode gleich, während er im Jura erstmals und im Mittelland erneut abnahm. Hier macht sich vor allem auch der kontinuierliche Rückgang der Fichte bemerkbar.

Das Landesforstinventar weist noch auf einen anderen wunden Punkt hin. In immer mehr Wäldern wachsen wenig  junge Bäume nach. Ein wichtiger Grund für die ungenügende Verjüngung sind die hohen Bestände der wildlebenden Huftiere: Rehe, Hirsche oder auch Gämsen. Durchschnittlich ein Viertel der Wälder sind davon betroffen – in den Alpen und insbesondere auf der Alpensüdseite jedoch wesentlich mehr. 

Ein weiteres Phänomen ist der Vormarsch invasiver Neophyten. Augenfällig ist das vor allem in der Südschweiz. Der Götterbaum und die Chinesische Hanfpalme breiten sich vor allem in siedlungsnahen Wäldern aus (vgl. TEC21 48/2018 «Das Dilemma mit den neuen Arten»). Immer mehr dürfte das diesen Arten auch auf der Alpennordseite gelingen. Der Bundesrat verschärft deshalb dem Umgang mit invasiven Arten und ergänzt die Liste mit einigen Pflanzen, die nach dem 1. September 2024 nicht mehr verkauft und angepflanzt werden dürfen. Dazu zählen etwa der Kirschlorbeer oder auch die Chinesische Hanfpalme. Aus diesem Grund versuchen die Händler in den letzten Monaten, noch möglichst viele Restbestände der Palmen zu verkaufen.

Politische Ziele für den Wald

Das flächige Absterben der Wälder im Jura war ein Weckruf. Claude Hêche, ehemaliger Ständerat des Kantons Jura, forderte 2019 mit einer Motion vom Bundesrat, dass dieser eine Strategie für die Anpassung des Waldes an den Klimawandel vorlegt. Die Landesregierung verabschiedete den bestellten Bericht im Dezember 2022.6 Als Hauptziel legte der Bundesrat fest, dass der Schweizer Wald als vielfältiges, resilientes und damit anpassungsfähiges Ökosystem mit seinen Leistungen erhalten bleibt und seine Funktionen für Gesellschaft und Wirtschaft auch unter veränderten Klimabedingungen erfüllen kann (Anpassung). 

Daneben sollen eine erhöhte Sequestrierung respektive CO2-Bindung im Wald, eine langfristige Speicherung von CO2 in Holz und eine Substitution von fossilen Materialien und Energien einen wesentlichen Beitrag zur Minderung des Klimawandels leisten (Minderung). Zudem sollen aufgrund zunehmender Wetterextreme vermehrt auftretende Waldschäden bewältigt werden und die betroffenen Wälder soweit erforderlich in ihrer Regeneration unterstützt werden können.

Wald, Holznutzung und Klimaschutz

Gelingt die Anpassung der Wälder an den Klimawandel nicht, sind verschiedene Waldleistungen gefährdet. Etwa die Beiträge der Wald- und Holzwirtschaft zur Minderung des Treibhauseffektes. 

Mittels Photosynthese wandeln Bäume CO2 in Kohlenstoff um und lagern diesen in ihre Biomasse ein. Dieser Prozess wird auch als Sequestrierung oder Speiche­rung im Wald bezeichnet. Wird Holz geerntet, ist dessen ­Verwendung entscheidend. In langlebigen Holzpro­dukten bleibt der Kohlenstoff gebunden. Ein Substitutionseffekt entsteht, wenn Holz anstelle von energie­intensiven Materialien wie Zement, Kunststoffen oder Stahl eingesetzt wird oder als Ersatz für fossile Brennstoffe dient. Eine nachhaltige Nutzung des Waldes sowie das Abschöpfen des jährlichen Holzzuwachses ist aus Sicht des Klimaschutzes sinnvoll. Holz soll, wenn immer möglich, stofflich genutzt werden. 

Der Holzbau sowie eine mehrfache Verwendung des Holzes sind hierfür der Schlüssel. Doch die Zusammenhänge zwischen Wald, Holznutzung und Klimaschutz sind äusserst komplex. Zu beachten sind der Kohlenstoffspeicher im Wald und in Holzprodukten, deren Veränderungen sowie die Substitutionseffekte der materiellen und energetischen Verwendung von Holz. 

Die Bundesverwaltung erhebt die nationale Treibhausgasbilanz jährlich. Diese entscheidet, ob die Schweiz die international vereinbarten Ziele zur Reduktion der Treibhausgase erreicht. Weil bei der Treibhausgasbilanz des Wald- und Holzsektors sowohl diejenige des Waldes als auch der Holzprodukte betrachtet wird, ist es nicht zielführend, die Holznutzung massiv zu steigern und dabei gleichzeitig den im Wald gespeicherten Kohlenstoff stark zu reduzieren.

Wie verschiedene Studien zeigen, liegt der Schlüssel in einer optimalen Kombination. Auch die Studie «Klimaschutzleistung der Waldbewirtschaftung und Holzverwendung in der Schweiz» des Bundesamtes für Umwelt, deren Ergebnisse derzeit mit der Branche diskutiert werden, bestätigt diesen Befund.7 Die Erkenntnisse der Studie werden im Rahmen einer allgemein verständlichen BAFU-Publikation Ende 2024 veröffentlicht werden.

Klimastrategie und Netto-Null 2050

Einen neuen Aspekt bringt die Klimastrategie 2050 der Schweiz mit dem Ziel Netto-Null 2050. Ab 2050 soll die Schweiz nicht mehr Treibhausgasemissionen ausstossen, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden. Um auf Netto-Null zu kommen, ist eine Kompensation der unvermeidbaren Restemissionen, die auf rund 12 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr geschätzt werden, mit negativen Emissionstechnologien (NET) unumgänglich.8  

Wald und Holz können dabei einen wertvollen Beitrag leisten, auch wenn dieser nicht überschätzt werden darf. Denkbar wären Aufforstungen oder eine nachhaltige Holznutzung mit anschliessender Ver­wendung des Holzes in langlebigen Produkten. Für Aufforstungen im grossen Stil stehen in der Schweiz allerdings keine Flächen zur Verfügung. Beim Holzbau stellt sich mittelfristig die Herausforderung, dass er fast ausschliesslich auf Nadelholz ausgerichtet ist. 

Der Klimawandel aber wird zu deutlich höheren Laubholz­anteilen vor allem im Schweizer Mittelland führen. Und wie lange muss das Holz überhaupt erhalten bleiben, damit es als negative Emission wirklich einen dämpfenden Effekt auf die Klimaerwärmung hat (Permanez)? Eine spätere Verbrennung des Holzes macht den Speichereffekt nämlich wieder zunichte, da das CO2 wieder in die Atmosphäre gelangt. Es geht nicht um eine Speicherung von zwanzig bis dreissig Jahren, sondern um mehrere Jahrhunderte.9

Letztlich ist die Anpassung des Waldes an den Klimawandel zentral. Dass Baumarten mit dem künftigen Klima zurechtkommen, ist die erste Voraussetzung für eine spätere Holznutzung. Doch das allein ist nicht ausreichend. Zur besseren Ausschöpfung des ­Potenzials muss die Nutzung von Holz gesellschaftlich akzeptiert sein und sich die Bewirtschaftung der ­Wälder für Forstbetriebe und Eigentümer lohnen. Und die Waldwirtschaft muss Holzsortimente liefern, die der Markt auch nachfragt. Keine leichte Aufgabe unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen. 

Nachdenklich stimmt diesbezüglich die kürzlich publizierte Forststatistik für das Jahr 2023, die durch das Bundesamt für Statistik erhoben wird. Demnach hat die Holzernte in den Schweizer Wäldern nach einer stetigen Zunahme in den letzten vier Jahren 2023 erstmals wieder abgenommen, und zwar um knapp sechs Prozent. Besonders ausgeprägt mit einem Minus von 12 Prozent war dies beim Stammholz (Sägeholz) der Fall. Zugenommen hat hingegen das Hackholz, das für die Bereitstellung von Energie verwendet wird. Der Anteil des Energieholzes an der gesamten Holzernte hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt.10

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 17/2024 «Wald im Wandel».
 

Anmerkungen
1 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Pressemitteilung Nr. 43/2024 – Waldzustand: 
Nur jeder fünfte Baum ist gesund, 13. Mai 2024.
2 Der Spiegel / Claus Hecking: Waldsterben durch den Borkenkäfer – Tod aus der Rammelkammer, 25/2024.
3 Medienmitteilung Bundesamt für Umwelt: Unter wachsendem Druck – Der Schweizer Wald soll sich 
dem Klimawandel anpassen, 4. Mai 2023.
4 Mauro Hermann et al: Meteorolgical history of low-forest-greenness events in Europe in 2002–2022. Biogeosciences 20, 11554-1180, 2023. WSL-News vom 31. März 2023. 
5 Medienmitteilung zu den Zwischenergebnissen des fünften Landesforstinventars – Der Schweizer Wald leidet unter den Wetterextremen, 30. Mai 2023. WSL-News vom 30. Mai 2023.
6 Schweizerische Eidgenossenschaft: Anpassung des Waldes an den Klimawandel. Bericht des Bundesrats, 
2. Dezember 2022. Medienmitteilung.
7 www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Wald und Holz > Fachinformationen > Funktionen und Leistungen > Wald, Holz und CO2.
8 Schweizerische Eidgenossenschaft: Langfristige Klimastrategie der Schweiz. Bundesrat, 27. Januar 2021, Website BAFU.
9 Stadt Zürich / Amt für Hochbauten / Fachstelle Umweltgerechtes Bauen: Bilanzierung von Negativemissionen (NET) im Bauwesen, März 2023.
10 www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/medien­mitteilungen.assetdetail.32030498.html
 

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