«Ein­hei­mische» Pflan­zen?

Auch typisch heimische Arten haben einen Migrationshintergrund

«Einheimische Pflanzen» ist ein unbrauchbarer Begriff, obwohl er auch in der Fachwelt immer mehr Verbreitung findet. Aber nicht nur der Ausdruck ist fragwürdig, sondern auch das Konzept dahinter, denn damit wird der ganze Reichtum der Gartenkultur negiert.

Date de publication
12-01-2012
Revision
01-09-2015

Polentamais stammt nicht aus dem Tessin, sondern aus Amerika, und die ersten Röstikartoffeln wuchsen nicht im Emmental, sondern auf einer peruanischen Hochebene. Nicht einmal das Rüebli stammt aus dem Aargau, sondern aus Afghanistan. Würden wir auf die Vielfalt unserer Lebensmittel verzichten wollen, weil sie aus eingeführten Pflanzen stammen? Es bliebe eine trostlos schmale Auswahl an Getreide und Gemüse übrig. Ebenso eintönig und langweilig sähen unsere Gärten und Parks aus, wenn wir auf eingeführte und züchterisch veränderte Pflanzen verzichten würden. Trotzdem taucht der Begriff in Wettbewerbsausschreibungen1 oder Bauprogrammen immer häufiger auf und formuliert einen Anspruch, den niemand einlösen kann. Wenn stattdessen «standortgerecht» benutzt und im weitesten Sinn ernst genommen wird, wird er zum Mittel, um nicht nur ökologische, sondern auch soziale und wirtschaftliche Faktoren in der Pflanzenverwendung zu berücksichtigen und zu einer ganzheitlicheren Sicht des Themas zu gelangen.

Pflanzen wandern, z. B. die Waldföhre

Alle Pflanzen haben einen «Migrationshintergrund». Sie wandern mittels Ablegern, Ausläufern und Samen und erreichen dabei erstaunliche Geschwindigkeiten. Die schnellsten sind Pioniere wie die Waldföhre (Pinus sylvatica), deren Bestände Wandergeschwindigkeiten von 1.5 bis 2 km pro Jahr erreichen.2 Pflanzen sind seit Beginn des Ackerbaus auch mit dem Menschen gewandert. Eine Sippe, die weiterzog, nahm ihr Saatgut und ihre Pfropfhölzer mit, Samen von Getreidepflanzen, die grössere Körner als die Wildform hervorbrachten, und Zweige von veredelten Obstsorten, die am neuen Siedlungsort auf wilde Unterlagen gepfropft wurden. Ausser mit wandernden Volksstämmen verbreiteten sich Pflanzen auch in den Satteltaschen von Kriegshelden. So brachte Alexander der Grosse die Baumwolle aus Kleinasien nach Griechenland. Die Römer verbreiteten nördlich der Alpen nicht nur ihre Sprache, sondern auch Süsskirsche, Buchs und Wein. Die Kreuzritter zogen ins Morgenland und brachten von dort die Linse und die Quitte nach Hause. Mit der Ausbreitung des Islam gelangten Zitronen, Orangen, Flieder und Tulpe nach Europa. Und schliesslich brachten Menschen auch aus Freude an fremden Gewächsen Samen mit nach Hause und säten sie in Gärten und Parks.

Pflanzen auf hoher See, z. B. der Tee

Das älteste Bildzeugnis für einen Pflanzentransport ist ein 3500 Jahre altes Relief im Tempel der ägyptischen Königin Hatschepsut. Es zeigt 31 Myrrhebäume, die per Schiff aus dem heutigen Somalia3 nach Ägypten reisten. 1494 landete Christoph Kolumbus in Amerika und brachte auf der Rückreise die ersten lebenden Pflanzen auf den alten Kontinent. England, Frankreich, Spanien und Portugal züchteten in ihren Kolonien verschiedene Nutzpflanzen wie Hanf, Zucker, Kaffee, Tee, Gummi und Chinarinde und versuchten immer wieder, deren Setzlinge per Schiff von einer Kolonie in die andere zu bringen, um dort den Anbau auszuweiten. Auf den oft mehr als sechs Monate langen Reisen gingen die Setzlinge jedoch wegen Wassermangels, durch Rattenverbiss oder wegen der Salzgischt ein. 1830 machte der Londoner Arzt Nathaniel Ward eine Erfindung, die den Pflanzentransport revolutionierte, den wardschen Kasten. In diesen verglasten und luftdicht versiegelten Behältern überlebten auch empfindliche Setzlinge Schiffsreisen ohne jegliche Pflege. Wards Erfindung4 machte exotische Zierpflanzen für jedermann erschwinglich und revolutionierte alle auf Pflanzen basierenden Wirtschaftszweige. Bisher gab es beispielsweise Tee (Camellia sinensis) in Indien nur in ganz kleinen Vorkommen, die kommerziell unbedeutend waren. 1848 erreichte die erste Sendung Teepflanzen das Land. Der schottische Botaniker Robert Fortune hatte sie in China gesammelt und in wardschen Kästen nach Indien verschifft. So wurde England von chinesischen Exporten unabhängig, und der Tee, der heute aus Indien zu uns gelangt, stammt praktisch ausschliesslich von diesen Pflanzen ab.

Pflanzen mit Gartenwert, z. B. der Roseneibisch

Warum setzen wir eingeführte Pflanzen in unsere Gärten? Weil sie etwas bieten, was es bei uns in der Natur nicht gibt: Sie haben «Gartenwert». Der Roseneibisch (Hibiscus syriacus) kam vor 1600, also lange vor dem wardschen Kasten, nach Europa. Er blüht im Juli und August in auffallenden, grossen, roten, weissen oder violetten Blüten. Fast alle in Mitteleuropa beheimateten Sträucher blühen zwischen Anfang April und Ende Juni, und mit Ausnahme der Heckenrose (Rosa canina) reicht die Farbe ihrer Blüten von Reinweiss über Crème bis Hellgelb. Ein Strauch also, der spät im Jahr noch mit roten oder lila Blüten aufwarten kann, hat einen besonderen Gartenwert – bestimmendes Kriterium für die Aufnahme einer Pflanze in eine Gartengestaltung, seit es Ziergärten gibt. Drei Arten von Pflanzen sind aussergewöhnlich genug, um wegen ihrer Besonderheit im Garten gepflegt zu werden: 1. eingeführte Pflanzen, 2. Mutationen von einheimischen Pflanzen und 3. züchterisch veränderte einheimische oder eingeführte Pflanzen. 

Mutationen, z. B. die Säuleneibe

Die eingeführten Pflanzen wurden erst nach und nach erschwinglich. Vorher suchte man in der Natur nach interessanten Abweichungen für den Garten. Dazu gehörten Mutationen wie zum Beispiel die Rotlaubigkeit, die es bei vielen unserer heimischen Gehölze, so bei Buche, Ahorn, Birke, Hasel, Holunder, Berberitze und vielen anderen, gibt. Mutationen haben in der Regel aus ökologischer Sicht keine andere Wirkung auf ihr Umfeld als die Normalform. Sie wachsen aber meist langsamer, sind deshalb gegenüber der grünlaubigen Form im direkten Konkurrenzkampf unterlegen und darum selten. Auch die Säulenform ist eine Mutation, die es bei vielen Gehölzen gibt. Eine besonders spektakuläre ist die der Eibe (Taxus baccata «Fastigiata»). 1780 fand man in der irischen Grafschaft Fermanagh eine wilde Eibe, deren Zweige eng anliegend nach oben strebten und so dem Baum eine sehr schlanke und grafisch reizvolle Form gaben. Die Pflanze wurde über Stecklinge vegetativ vermehrt und trat wegen ihrer faszinierenden grafischen Erscheinung als «Irish Yew» einen Siegeszug um die halbe Welt an. Nach dem strengen Kriterium «einheimisch» dürfte sie nirgends mehr verwendet werden, obschon es den Vögeln ziemlich egal ist, auf welcher Form von Eibe ihre Beeren wachsen. 

Züchtungen, z. B. die Aurikel

Die Beschränkung auf «einheimische» Pflanzen schliesst auch die Verwendung züchterisch veränderter, ursprünglich einheimischer Arten aus und negiert damit oft hunderte Jahre Gartenkultur. Viele bekannte Arten wie zum Beispiel das Veilchen, die Rose oder die Iris mutieren gern und lassen sich leicht kreuzen und vermehren. Die Alpenaurikel (Primula auricula) gehörte einmal zu den bekanntesten Gartenblumen in Europa. Das Pflänzchen, das in der Natur eine unscheinbare, gelbe Blüte zeigt, lässt sich zu den unglaublichsten Farben und Formvarianten heranzüchten. Bauern im Tirol hatten das schon im 16. Jahrhundert entdeckt und genutzt. Im Biedermeier erreichte der Aurikel-Boom bei den Blumisten5 seinen Höhepunkt mit Katalogen, die über 1000 Sorten nannten, gefüllte und ungefüllte, in allen Farben. Mitte des 19. Jahrhunderts erlosch die Mode, aber noch heute werden die spektakulärsten Varianten auf Züchtershows gezeigt.6 

Zurück zur Natur, z. B. die Wiesenmargerite

Der wichtigste Grund für die Verwendung einheimischer Pflanzen ist ihre Funktion als Futter für die einheimischen Tiere. Sie sind darauf angewiesen, um zu überleben, vor allem die Spezialisten unter ihnen. Deshalb steht es auch ausser Frage, dass in der freien Natur Anpflanzungen ausschliesslich mit einheimischen Arten erfolgen sollen – und müssen, denn das Ausbringen anderer Arten ist dort gesetzlich nicht zulässig.7 Warum aber in Gärten und Parks nur Einheimisches verwendet werden soll, ist schwer zu verstehen. Denn hier geht es nicht nur um ökologische Anliegen, sondern auch um soziale. Es geht um den Erhalt der Gartenkultur und um die Freude an den aussergewöhnlichen Gewächsen, die seit Jahrhunderten im geschützten Raum der Gartenanlagen gehegt wurden. Will man den Gärtnerinnen und Gärtnern wirklich die Lust an der gezüchteten Rose, an der Korkenzieherhasel und am aus dem nahen Osten stammenden Flieder verbieten, weil sie allesamt nicht «einheimisch» sind 8 Wann immer viel gebaut wird, blüht die Wiesenmargerite auf. Nicht weil sie in verdichteten Siedlungsgebieten besonders gut gedeihen würde – sie liebt volle Sonne –, sondern weil als Reaktion auf die überhitzte Bautätigkeit allerorten der Ruf nach Magerwiesen ertönt.
Man versucht den Verlust an wirklicher Naturnähe durch Bilder zu ersetzen, die Naturnähe suggerieren, und sät Magerwiesen in die Vorgärten. Die einem breiten Publikum als «Blumenwiese» angepriesenen Saatmischungen zeigen unfehlbar immer ein Bild mit einer Wiesenmargerite als Vordergrund. Auffällig ist, dass die heutige Tendenz zu einheimischen Pflanzen eine Parallele zur Schweizer Naturgartenbewegung der 1970er-Jahre aufweist: Beiden gemein ist der Hang zu gesicherten Werten, dem Bekannten und Vertrauten in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen.1973 erscheint in der Schweiz «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder», die bekannte Serie von Zeichnungen, mit denen Jörg Müller zeigte, wie sich eine idyllische Agrarlandschaft in eine übel verbaute Agglomerationsszenerie verwandelt. In dieser Zeit gewinnen Umweltthemen eine hohe Aufmerksamkeit, und die Naturgartenbewegung findet ein enormes Echo. Zu Koryphäen dieses Trends werden der Holländer Luis le Roy und der Solothurner Urs Schwarz, deren Publikationen weite Verbreitung fanden. Vor allem Schwarz war in seiner Forderung nach der ausschliesslichen Verwendung von einheimischen Pflanzen rigoros. 

Die «heimische» Pflanze, z. B. die Stileiche (Quercus robur)

Was in England «English Oak» heisst, ist in Deutschland die «Deutsche Eiche», nämlich die Stileiche, Quercus robur. Dass Pflanzenverwendung politisch instrumentalisiert werden kann, ist überraschend, aber nicht neu. Besonders der Begriff «heimische Pflanzen» und die Forderung danach haben einen unangenehmen geschichtlichen Beigeschmack. Im Dritten Reich waren rassische Reinheit und die Forderung nach «heimischen» Pflanzen Blüten aus derselben Wurzel. Joachim Wolschke-Bulmahn beschreibt in einem lesenswerten Aufsatz die Zusammenhänge zwischen Nazi-Ideologie und Gartengestaltung sehr eindrücklich, unter anderem auch die Forderung, nur heimische Pflanzen zu verwenden. Er schreibt: Joseph Pertl (1899 –1989), von 1935 bis 1945 Stadtgartendirektor von Berlin (…), diffamierte die Verwendung ausländischer Pflanzen in der Gartenarchitektur als quasi »entartete» Gartenkunst. Er schrieb 1939: «Die kulturellen Schaumschläger waren es, die das Volk einmal anlernten, nur noch nach exotischen Reizen zu jagen und die heimischen und bodenständigen und daher wirklichen Werte gering schätzend beiseite zu schieben. Vom Exotischen bis zum gänzlich Abnormen ist aber nur noch ein ganz kleiner Schritt, und tatsächlich sind wir auch durch den Exotenfimmel in eine wahre Abnormitätspsychose verfallen, von der wir noch lange nicht geheilt sind.»9 

Einheimisch, seit wann? Z. B. die Sonnenblume

Pflanzen haben sich verbreitet und wurden transportiert; die Definition, was eine einheimische Pflanze ist und was nicht, erfordert also eine zeitliche Grenzziehung. Auch der Mädchenhaarbaum (Ginkgo biloba) war hierzulande einmal einheimisch, es ist aber schon lange her, etwa 150 Millionen Jahre. Schönste Versteinerungen von Ginkgoblättern finden sich zum Beispiel im Solnhofer Plattenkalk. Ist diese Grenzziehung absurder als andere? Vielleicht. Beliebte andere Zeitschwellen sind das Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren, als die Flora in Mitteleuropa mit noch etwa 1000 Arten übersichtlich war und die Rotbuche etwa nur in Habitaten südlich der Alpen vorkam. Näher an unserer Zeit liegt die Invasion der Römer, die für die Verbreitung von vielen Pflanzenarten sorgten, die wir heute als einheimisch ansehen. Nach dieser Logik wären weder Buchs noch Wein oder Süsskirsche einheimisch. Die Entdeckung Amerikas 1492 ist ein weiteres historisches Ereignis, das oft als Zeitschwelle dient, d.h., dass alles, was später eingeführt wurde, nicht einheimisch ist. Als «Neophyten» bezeichnet die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen Arten, die nach 1500 eingeführt wurden. Aus einem korrekten einheimischen Garten entfernt werden müsste dann auch die Sonnenblume (Helianthus annus), die 1596 aus Amerika eingeführt wurde.10 Weitere wichtige Ereignisse wären die Erfindung des wardschen Kastens (1830) oder die Öffnung Chinas (1856), die neue Schübe von Pflanzeneinführungen brachten.
Absurd sind alle diese Einteilungen, denn man weiss nur von den wenigsten Pflanzen zuverlässig, wann und woher sie eingeführt wurden oder eingewandert sind.

Wo einheimisch? Z. B. die Heckenrose

Arbiträr bis absurd ist auch der Versuch, eine räumliche Eingrenzung für den Begriff «einheimisch» zu finden. Einige Gutachten fordern deshalb die Verwendung von sogenannten regionalen Ökotypen. Der Begriff ist ungenau definiert, meint aber im Grunde, dass Pflanzen verwendet werden, deren Saatgut aus regionalen Beständen stammt. Das lässt sich meist aber nicht mehr herleiten, weil beispielsweise hochstämmige Bäume, die gross genug sind, um als Strassenbaum Verwendung zu finden, oft schon durch mindestens drei spezialisierte Baumschulen in mehreren Ländern gewandert sind. Oder man müsste jeden einzelnen Baum gentechnisch auf seine Verwandtschaft mit regionalen und überregionalen Beständen vergleichen. Beides ist in der Realität völlig unpraktikabel. In Deutschland versucht man das Problem gesetzlich zu lösen: Das am 29. Juli 2009 revidierte Bundesnaturschutzgesetz fordert, dass ab März 2020 nur noch Pflanzen in der freien Natur ausgebracht werden dürfen, deren genetischer Ursprung in dem betreffenden Herkunftsgebiet liegt. Dafür wird das Land nun in solche Herkunftsgebiete aufgeteilt. Genetische Untersuchungen an verschiedenen Arten zeigten, dass Herkunftsgebiet und genetische Identität bei weitem nicht immer übereinstimmen. Populationen der Hundsrose (Rosa canina) in Brandenburg zeigten etwa, dass einzelne Pflanzen unter sich weniger eng verwandt waren als mit Individuen aus Vergleichspopulationen in der Türkei, Spanien, Algerien und Griechenland. Beim roten Hartriegel (Cornus sanguinea) zeigten solche Untersuchungen, dass die 637 untersuchten Proben aus ganz Europa genetisch so ähnlich waren, dass sie kaum durch die natürliche Verbreitung einer nacheiszeitlichen Wanderung entstanden sein konnten.11 Die Vermutung liegt nahe, dass die Pflanzen ihre Verbreitung dem Menschen verdanken. 

Spezialisten, z. B. die Herbstanemone

Wir brauchen eingeführte Pflanzen nicht nur, weil sie Träger einer langen Gartentradition sind, sondern auch, weil es viele Aufgaben gibt, besonders im urbanen Umfeld, die mit einheimischen Pflanzen nicht zu lösen sind. Ein Beispiel sind die Strassenbäume. Mit dem Effekt der globalen Erwärmung können immer weniger einheimische Bäume in unseren ohnehin schon heissen und trockenen Städten gedeihen. Deshalb braucht es eingeführte Gehölze, die mit dem Hitzestress fertig werden. Ein anderes Beispiel sind schwierige Situationen wie Hauseingänge auf der Nordseite von hohen Gebäuden. Das ist der Ort der Aussenanlage, der am meisten genutzt wird und wo Blumenschmuck meist erwünscht wäre. Eher trockene Standorte im tiefen Schatten sind bei uns in der Natur aber selten, und aus dem heimischen Artenspektrum gibt es kaum attraktiv Blühendes dafür, mit Ausnahme des Waldgeissbartes (Aruncus dioicus). Deshalb muss es erlaubt und möglich sein, mit eingeführten Pflanzen zu arbeiten. Dafür bietet sich der Mittelmeerschneeball (Viburnum tinus) an (Abb. 6), der immergrün ist und vom Spätwinter bis in den Frühling mit duftenden zartrosa Blütendolden aufwartet. Ihm könnten im Sommer die Blüten von Waldgeissbart und Hortensie (Hydrangea) und im September jene der Herbstanemonen (Anemone hupehensis) folgen. Diese anspruchslosen Stauden hat der englische Botaniker Robert Fortune 1844 in China gefunden und nach England gebracht.12 Ihr überragender Gartenwert hat sie zu einer der beliebtesten Neueinführungen des 19. Jahrhunderts gemacht. Mit der geschilderten Bepflanzung hätten die Bewohner und Bewohnerinnen während der ganzen Vegetationsperiode einen sich immer wieder verändernden Gartenschmuck. 

Standortgerecht statt einheimisch, z. B. Forsythie vs. Schlehe

Statt des Begriffs «einheimisch» sollte der Begriff «standortgerecht» Verwendung finden. Dafür muss er über seine konventionelle Verwendung hinaus erweitert werden. Heute meint er die Berücksichtigung von pH-Wert, Feuchtigkeit des Bodens und der Besonnung des Ortes. Eigentlich gehören aber auch weitere ökologische sowie ökonomische und soziale Aspekte dazu. Wer die einheimischen Singvögel fördern will, wird eine Eberesche (Sorbus aucuparia) pflanzen und dabei bedenken, dass ihre Blüten stinken und dass der Abwart laubende Pflanzen hasst … Auf die invasiven Neophyten13 wird man verzichten und auf einem Kinderspielplatz keinen Seidelbast (Daphne mezereum)14 pflanzen, auch wenn er noch so hübsch blüht und duftet. Wohl ist es ökologisch verdienstvoll, in einer Siedlung eine Wildhecke aus Schlehen (Prunus spinosa) anzulegen, aber man tut gut daran, den Standort mit Bedacht zu wählen. Schlehen sind eigenwillige Gesellen, und manche Mieterschaft wird sie am falschen Ort als Gestrüpp empfinden und ihre Ablehnung durch «Littering» kundtun. Was ökologisch wünschbar ist, kann sozial und wirtschaftlich falsch, also nicht standortgerecht sein. In der freien Natur dagegen kann man Schlehen an vielen Orten pflanzen – zumal sie eines der wertvollsten Vogelschutz- und Nährgehölze sind, die es hierzulande gibt. 
Das Goldglöckchen, besser bekannt unter seinem Namen Forsythie (Forsythia), der wohl verbreitetste Zierstrauch, scheidet die Geister wie kaum ein anderer.15 Wer die Forsythie liebt, beschreibt die Überfülle von gelben Blüten als «goldgelb» und rühmt ihre faszinierende Herbstfärbung. Wer sie hasst, findet das gelb ordinär, weil knallig, und verteufelt die Blüten, da sie unserer einheimischen Fauna nichts zu bieten haben. In der freien Natur ist sie falsch platziert. «Standortgerecht» hingegen ist der Strauch als grosse frei wachsende Gruppe in einem städtischen Park, wo er ungehemmt die Eleganz seiner zweijährigen Triebe und deren feurige Herbstfärbung zeigen darf – und vor allem natürlich, wo er als goldgelbe Blütenwolke den Frühling ankündigt. 

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