So­lid die Bau­subs­tanz, fra­gil die Rechts­lage

Das Wohnen ersetzt das Fernsehprogramm. Wo derzeit die Schweizer Fernseh- und Radiosendungen geplant werden, sollen in zwei Jahren gemeinschaftliche Wohnformen das Quartier beleben. Diese Umnutzung steht auch für eine Trendwende im Wettbewerbswesen.

Date de publication
28-12-2023

Überrschüssige Büros, fehlende Wohnungen? Die Lösung scheint auf der Hand zu liegen: Büros zu Wohnungen umnutzen! Im Quartier Leutschenbach, nahe der Zürcher Tramhaltestelle «Fernsehstudio» gegenüber dem Glattpark und der Vorortsgemeinde Opfikon schreitet eine unter­nehmungslustige Stiftung in einer der grössten ihrer insgesamt 175 Liegenschaften (Stand Januar 2023) zur Tat.

Die Stiftung PWG zur Er­haltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt ­Zürich will zeigen, wie aus einem auf einem strengen Raster aufge­bauten Bürohochhaus ein wohnliches, preisgünstiges und ökologisch vorbildliches Zuhause für gut 200 Menschen werden kann. Und darüber hinaus auch ein einladender Ort für die Nachbarschaft. Statt der einförmigen Schweizer Fernsehprogrammierung also vielfäl­tiges gemeinschaftliches Wohnen: Die Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR zieht 2024 aus, 2025 sollen die Umbauarbeiten beginnen.

Zum Gebäudekomplex aus den zwei sechsgeschossigen, über eine Passerelle verbundenen, in Skelettbauweise erstellten Bürohochhäusern aus den frühen 1960er-Jahren, die die PWG 2021 erwarb, heisst es im Jurybericht, er verfüge über eine robuste Bausubstanz und sei ausgezeichnet unterhalten. Wie robust allerdings die Rechtslage sei, wenn dieser Stahlbetonkoloss dauerhaft zu Woh­nungen umgeformt werden soll, darf gefragt werden. Da das Grundstück der Adressen Schärenmoosstrasse 115 und 177 nach heutigen Regeln übernutzt ist, sind die juristischen Grundlagen für die Machbarkeit der geplanten Umnutzung entscheidend

Juristische Abklärungen

Die Bestandesgarantie ist ein elementarer Teil der Versuchsan­ordnung. Nicht nur im Sinn einer Wiederverwendung dieser robusten Bausubstanz, sondern auch bezüglich der hohen Ausnützung des Grundstücks. «Gemäss § 357 Abs. 1 PBG ist die Bestandesgarantie auch bei Übernutzung des Bestandes bei einer Umnutzung von Nicht-Wohnen zu Wohnen gültig.» Diese Auskunft des Kreisarchitekten zitiert der Jurybericht prominent, denn eine Baubewilligung kann nur unter bestimmten Bedingungen erteilt werden. Diese Bedingungen wurden genau geprüft, schliesslich wäre eine Umnutzung ohne Bestandesgarantie nicht halb so attraktiv.

Die hohe Ausnutzung führte also auch zu einer hohen Motivation, einen – vorhersehbar – nicht unkomplizierten Planungsprozess zu beginnen. Beweggründe, sich auf diese Bauaufgabe einzulassen, gibt es viele. Nicht umsonst reichten 57 Generalplanerteams ihre Bewerbung zur Präqualifikation ein.

Ausser dem Genius Loci dieses ersten Bürohochhauses im einstigen Riet der Glatt besagt die Schätzung der Fachleute, dass die graue Energie und die Treibhausgas­emissionen bei der Umnutzung der Bestandesbauten rund 30 bis 40 Prozent tiefer lägen als bei einem Ersatzneubau. Der Umbau könnte ein Leuchtturmprojekt des nachhaltigen Bauens werden und gleichzeitig der Marker einer Trendwende im Wettbewerbswesen, wo bis anhin mehrheitlich Neubauten gefordert und bevorzugt werden.

Fragile Bestandesgarantie

Dass es auf dem Weg zum umgenutzten Bürohochhaus Stolpersteine geben könnte, war den Beteiligten wohl klar: Die Bestandesgarantie gelte für diesen Umbau nur, so lautete die Auskunft des Kreisarchitekten weiter, falls «der Eingriff nicht als neubauähnlich zu qualifizieren ist». Weitere Hinderungsgründe seien eine hohe Eingriffstiefe, die beispielsweise die Statik des Gebäudes betreffe, oder Umbaukosten von mehr als 70 Prozent der Neubaukosten. Immerhin, so ist auch festgehalten, sei der Einbau von neuen Wänden für die Zimmereinteilung oder Balkone gestattet.

Die Richtlinie bleibt mit der Formulierung, die Baueingabepläne sollten «nicht zu stark gelb (abbruchlastig) sein» ziemlich vage. Die Ausgangslage ist also solid und fragil in einem: Solid die Bausubstanz, fragil die Rechtslage. Abschrecken liessen sich davon die wenigsten. Von den 57 Teams wurden schliesslich 16 zum Wettbewerb zugelassen. Gewonnen hat das Team des in Zürich vor allem für seinen Wettbewerbserfolg auf dem Koch-Areal bekannten Studios Trachsler Hoffmann zusammen mit Seforb Bauingenieure und Mettler Landschaftsarchitektur.

Unterschiedliche Strategien

Die Eingriffstiefe der prämierten Projekte bleibt, der Ausgangs- und Rechtslage angepasst, gering. Trotzdem nähern sich die verschiedenen Entwerferteams der Bauaufgabe vollkommen unterschiedlich an. Während die einen, so das erstrangierte Projekt, dem Bestand einen (unbeheizten, weil er nicht zur Ausnutzung zählen darf) Zwischenbau anfügen, bricht das zweitrangierte Projekt in ebendiesem Zwischenraum die Bausubstanz auf. Beide Varianten verfolgen dasselbe Ziel, nämlich Wohnlichkeit und Nachbarschaft zu schaffen, die eine mit einer Addition, die andere mit einer Subtraktion.

«Ménage à trois», der Name des Siegerprojekts, spielt mit den Möglichkeiten einer solchen Addition. Dabei wird aber nicht festgelegt, welche drei Dinge bezeichnet sind: Bezieht dieser Titel sich auf die beiden Gebäudeteile und den neuen Zwischenbau, auf die zukünftigen Wohnformen, auf die Zusammensetzung der Generalplaner:innen oder gar auf die kombinierten Heizsysteme aus neuer Bodenheizung, bestehenden Radiatoren und PV auf dem Dach? Ebenso könnte mit der Dreierkiste auch das Gelb-Rot-Schwarz der Baueingabepläne oder die für die Baubewilligung nötigen Paragrafen der Bauordnung gemeint sein.

«Ménage à trois» erfüllt den Wunsch der Jury, mit dem Umbau vielseitige Begegnungen im und um das Haus zu ermöglichen, mit einer sanften Aneignung und Adaption des Bestands. Dem Beitrag sei es vorbildlich gelungen, die Anforderungen an preisgünstiges Wohnen zu übersetzen und ein räumlich vielfältiges Angebot zu generieren. Weiter seien die Grundrisse gut geschnitten und proportioniert und eigneten sich, entsprechend dem Stiftungszweck der PWG, auch für eine hohe Belegung.

Eine Collage aus vorhandenen Teilen

Das Lob des Preisgerichts stellt die zentrale Eingangshalle in den Vordergrund: Sie verschmelze die beiden Gebäude zu einem. Oder vielleicht sind es aber doch drei, die beiden Bürotürme und diese zusätzliche, die Bestandesgarantie aber nicht infrage stellende «Halle für alle», die sich wie das Futter eines Mantels sachte zwischen die groben Büroklötze legt. Allerdings, und dies ist in der weiteren Projektierung noch zu lösen, darf dieser riesige Wintergarten den angrenzenden Wohnungen im 1. und 2. OG nicht zu viel Licht und Aussicht wegnehmen, wie es derzeit noch der Fall ist. Der unbeheizte Zwischenbau soll ein Raum für Begegnungen sein und, ganz im Sinn des nachhaltigen Bauens, aus wiederverwendeten Bauteilen aus einem aktuellen Rückbauprojekt des UBS-Rechenzentrums in Altstetten gewonnen werden.

Den Entscheid (mit einer Gegen­stimme) für «ménage à trois» begründet der Jurybericht mit der hohen Wohnqualität im Sinne der Ausschreibung und den überge­ordneten, vielfältigen räumlichen Qualitäten, die hier aus den bestehenden Gegebenheiten und mit wenigen neu hinzugefügten Elementen generiert werden: «Mit dem Mittel der Collage werden die beiden bestehenden Gebäude zu einem neuen Ganzen zusammengebunden, was eine besondere Identität an diesem Ort und einen Mehrwert für das ganze Quartier schafft.» Dieser Mehrwert beruht nicht zuletzt auf dem vielfältigen Angebot von Erschlies­sungstypen, die auch Möglichkeiten der informellen Begegnung eröffnen.

Räumliche Befreiung dank Reduktion

Von den Erschliessungs- und Begegnungszonen wird viel erwartet: Sie sollen nicht nur dem ehemaligen Bürokomplex, sondern auch den Aussenräumen und der Nachbarschaft neues Leben ein­hauchen. Für den Aussenraum wiederum bewirkt die Subtraktion des zweit­rangierten Projekts einen Befreiungsschlag: Für «sticks and stones» spricht die offene Mitte, die eine neue Adresse für das Gebäudeensemble zu bilden vermag: Dank einem Teilabbruch könnte ein neuer Hof für das Quartier entstehen. Vielmehr hätte die durch diesen Abbruch geschaffene Raumskulptur der belassenen Gebäudefragmente sich beidseitig, zum Katzenbach und zum Quartier hin, geöffnet. Allerdings, und dies ist nicht wegzureden, gibt es hier auch eine stark befahrene Strasse, an der ein wohnlicher und wirtlicher Aussenraum derzeit vielleicht noch Zukunftsmusik ist.

Die vorgeschlagene Etappierung der energetischen Sanierung von «sticks and stones» hätte die Lebensdauer möglichst vieler Bauteile ausgeschöpft. Auch diese Herausforderung wagte das Wettbewerbsteam ins Auge zu fassen. Die «sticks» im Namen übrigens deuten auf die Spriessungen der Decken aus Baumstämmen, die auch nach der Bauphase integraler Teil des Gebäudes geblieben wären, ähnlich wie es Esch Sintzel Architekten im ehemaligen Basler Weinlager kürzlich taten.
Das von der PWG durchgeführte Verfahren zeigt, dass sich auch in Wettbewerbsausschreibungen der Zeitgeist zugunsten einer bestmöglichen Erhaltung des Bestands durchzusetzen beginnt. Die von der Schweiz mitgetragenen «Sustainable Development Goals» der Vereinten Nationen be­deuten eben nicht nur, die Nachhaltigkeit von Neubauten schönzurechnen. Zuallererst muss all das, was schon da ist, mit Sorge behandelt und weiterentwickelt werden.

Umnutzung Büro zu Wohnen
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen
 

ménage à trois (1. Rang)
Studio Trachsler Hoffmann, Seforb, Mettler Landschaftsarchitektur

 

sticks and stones (2. Rang)
Specht, ARGE Stücheli Pestalozzi Schiratzki Architekten, Jonger Architekten, Perita, HallerIngenieure, Ganz Landschaftsarchitekten

 

hundskommuna (3. Rang)
ARGE CRRA KK, CRRA Studio, Jens Knöpfel, Tamino Kuny, Pillet, Marcel Fürer Landschaftsarchitekt

 

Dicro + Mixa (4. Rang)
Enzmann Fischer Partner, HKP Bauingenieure, koepflipartner Landschaftsarchitekten

 

Der Mensch erscheint im Holozän (5. Rang)
Steib Gmür Geschwentner Kyburz Partner, Pérez Schmidlin Bauingenieure, Andreas Geser Landschaftsarchitekten

 

Matta (6. Rang)
Esch Sintzel Architekten, Freihofer & Partner, KOLB Landschaftsarchitektur

 

Fachjury
Andreas Wirz, Architekt ETH (Vorsitz)
Elli Mosayebi, Architektin ETH
Dominique Salathé, Architekt ETH (Mitwirkung Präqualifikation)
Jacqueline Pauli, Bauingenieurin ETH
Lukas Schweingruber Landschaftsarchitekt
Bettina Satzl, Architektin TUM (Ersatz)

 

Sachjury
Andreas Billeter, Architekt / Stiftungsrat Stiftung PWG
Ueli Keller, Architekt / Stiftungsrat Stiftung PWG
Andreas Gysi, Geschäftsführer Stiftung PWG
Andreas Schmuki, Bereichsleiter Bewirtschaftung Stiftung PWG
Alexandra Banz, Bereichsleiterin Portfolio- und Bauprojektmanagement Stiftung PWG (Ersatz)
 

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