Ope­ra­tio­nen am Her­zen der Stadt

Wie soll das Gebiet rund um den Zürcher Hauptbahnhof im Jahr 2050 funktionieren – mit nochmals deutlich mehr Passagieren und Passanten? Eine Testplanung für das gesamte Gebiet und ein Strategieprozess für das Papierwerd-Areal sind Teil der laufenden planerischen Schritte Richtung Zukunft.

Date de publication
24-01-2023

Die Umgebung des Zürcher Hauptbahnhofs wird sich in den nächsten Jahrzehnten stark verändern. Auto- und Velo­verkehr werden anders fliessen, es wird mehr Platz und Freiräume für Fussgänger und Fussgängerinnen brauchen. Und das Papierwerd-Areal, auf dem seit über sechzig Jahren das Globus-Provisorium steht, wird sich womöglich bald auch anders als gewohnt präsentieren. In all diesen Bereichen wurden die Planungen im letzten Jahr vorangetrieben.

2022 haben (endlich, muss man sagen) die Bauarbeiten für den Velotunnel unter dem Zürcher Hauptbahnhof begonnen. In einen nicht mehr gebrauchten Tunnelstummel, der einst für die Autobahnverbindung mitten durch Zürich vorgesehen war, wird eine grosszügige Veloverbindung eingebaut – mit einer Rampe auf der Seite der Sihlpost und zwei Zugängen auf der anderen Seite, zum Kreis 5 hin. 2014 hätte das Projekt vollendet sein sollen, nun wird es 2024. Und auch der Preis hat sich vervierfacht. Dafür wird die Eröffnung eine gewaltige Erleichterung für Velofahrerinnen und Velofahrer bringen. Sie können sich künftig die gefährliche Umwegfahrt um den ganzen Bahnhof herum sparen.

Mehr Grün, mehr Platz

Abgeschlossen wurde 2022 auch die Testplanung für das Zukunftsbild des gesamten Raums rund um den Hauptbahnhof bis zum Landesmuseum und zum Central. Zwei Zürcher Teams haben in der zweiten Phase der Planung Ideen entworfen für die Mobilitätsdrehscheibe HB Zürich, die künftig weniger Platz für Autos, dafür mehr für Fussgängerinnen und Fussgänger, neue Routen für Trams und grosszügige Plätze und Parkanlagen bieten soll.

Das Team rund um das Studio Vulkan Landschaftsarchitektur belässt rund um den Bahnhof einige Verbindungsstücke des motorisierten Individualverkehrs (MIV), während jenes um Van de Wetering, Atelier für Städtebau, den Fokus ganz auf Fussgängerinnen und Fussgänger legt und einen vollständig vom Autoverkehr befreiten Bahnhofplatz vorschlägt. Interessant ist die Idee des Teams Vulkan, die Tramlinien auf die Postbrücke direkt beim Bahnhof zu verlegen – womit eine Haltestelle unmittelbar bei der Europa-Allee möglich wäre. All dies ist allerdings Zukunftsmusik, Ziel der Testplanung war es, «Visionen» für die Zeit nach 2050 aufzuzeigen. Der Stadtrat wird die Ergebnisse der Testplanung dieses Jahr zu einem Masterplan bündeln und zur Diskussion stellen.

Die Planung soll koordiniert werden mit den Ideen zur Zukunft des sogenannten Papierwerd-Areals, auf dem seit 1961 das Globus-Provisorium steht. Der Gemeinderat, das lokale Parlament also, hat sich – nach einem missglückten Anlauf vor vier Jahren – eine sorgfältige Auslegeordnung gewünscht. Diese wurde nun ebenfalls 2022 vorgenommen – in einem Strategieprozess mit breit angelegtem Dialogverfahren, an dem sich ausgewählte Personen aus Politik, Vereinen und aus der Be­völkerung mit Fachleuten aus verschiedenen Planungsbereichen über den städtebaulichen Dauerbrenner Zürichs unterhielten.

Viel war eigentlich nicht zu erwarten. Umso erstaunlicher ist die im dicken Schlussbericht des «Forums Papierwerd» dokumentierte Einigkeit der Teilnehmenden darüber, dass weder der Abbruch des von vielen als Schandfleck empfundenen Baus noch dessen integrale Erhaltung als Baudenkmal im Vordergrund stehen. Es hat sich herauskristallisiert, dass es wohl auf eine wie immer geartete Transformation mit möglichem Teilabbruch hinauslaufen wird.

Ein Aufschrei von Fachleuten

Immerhin ist damit die Idee vom Tisch, den Bau von Karl Egender vollständig abzubrechen und lediglich durch ein paar Bäume, Bänke und einen Pavillon zu ersetzen. Bezeichnenderweise hatte 2018 das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement (und nicht das Hochbaudepartement) dem Gemeinderat die entsprechenden Pläne vorgelegt. Der Aufschrei war verständlicherweise gross.

Die Idee eines totalen Rückbaus ist aus städtebaulicher, denkmalpflegerischer und historischer Sicht völlig verfehlt – was verschiedene Fachverbände umgehend in Medienmitteilungen und in Debattenbeiträgen in der Neuen Zürcher Zeitung klarstellten.

Zürichs Innenstadt ist schliesslich seit Jahrhunderten durch die Bauten auf und an der Limmat geprägt. Das Herz der Stadt war seit je die Rathaus- oder Gemüsebrücke, auf der schon damals
der Markt abgehalten wurde. Als Brückenköpfe dienten auf der einen Seite das bekannte Hotel Schwert, auf der andern das Rathaus, die Hauptwache und die Fleischhalle. Weiter unten am Fluss verbanden der obere und der untere Mühlesteg die Ufer; beide Übergänge waren dicht mit Gewerbebauten bestückt. Das Areal, auf dem heute das Globus-Provisorium steht, war bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch eine Insel, die auf beiden Seiten von der Limmat umflossen wurde. Dann kam das grosse Abbruchfieber: Damit die Limmat besser reguliert werden konnte, mussten sämtliche Bauten der beiden Mühlestege weichen: Ab 1943 war der obere Steg dran, ab 1949 der untere. Vielen Zürcherinnen und Zürchern gefiel die ausgeräumte Limmat offenbar.

Als das Warenhaus Globus auf dem Papierwerdareal sein altes Gebäude durch einen Neubau er­setzen wollte, wurde dies 1951 per Volksabstimmung verhindert. «Freie Limmat, freie Sicht», hatte es in Inseraten der Befürworter geheissen. Es war eine populistische Kampagne: Man wolle den Kindern lieber eine schöne Grünanlage hinterlassen als den geplanten «Betonkoloss», hiess es. Das durchaus elegante Projekt Karl Egenders war etwas grösser ausgefallen, als man es versprochen hatte. Dies hat wohl den Zorn der Zürcher Stimmbürger angeheizt.

Nach dem Ja zur freien Limmat war auf dem Papierwerd­areal nur noch der Bau eines Pro­visoriums möglich. Darin befand sich der Sitz des Warenhauses, bis deren Betreiber den heutigen Neubau an der Bahnhofstrasse beziehen konnten. 1968 hätte das Provisorium eigentlich abgebrochen werden sollen. Mit einer neuen Abstimmung wurde dessen Weiterbestehen aber ermöglicht.

1992 hätte es klappen können

Seither wird lebhaft über die Zukunft des Globusprovisoriums diskutiert. Zahlreich sind die Ideen und Projekte, die für das Areal ersonnen worden sind: einfache Zweckbauten, ausladende Zeltdächer, durch Brücken verbundene Gebäudekomplexe, ein Hochhaus. Und Nutzungen aller Art wurden geprüft – vom Tourismusbüro bis zum neuen Parlamentsgebäude. 1992 wurde über ein neues «Haus im Fluss» abgestimmt, ein Begegnungszentrum mit Markthalle. Die Idee war einleuchtend, es kam aber zu einer klaren Ab­lehnung. Ein Grund war, dass die umstrittene humanistische Partei die entsprechende Initiative lanciert hatte. Ausserdem fehlte zu jener Zeit das Geld für alles.

Der laufende Strategieprozess der Stadt Zürich markiert nun also einen weiteren Neu­anfang: Die rund sechzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer des «Forums Papierwerd» haben selbstverständlich keine fertige Projektidee abliefern können, sondern lediglich Handlungs­anweisungen für die Politik, die nun weitere Schritte ­einleiten muss. Als erstes ist der Stadtrat an der Reihe, der im laufenden Jahr seine Vorstellungen präsentieren wird. Im Schlussbericht sind elf Punkte formuliert, die ihm dabei als Leitplanken dienen sollen.

Unter anderem wird in diesem Bericht postuliert, dass aus dem Papierwerd-Areal ein öffentlicher Ort mit starkem Bezug zur Lage und zur Geschichte entstehen soll. Ein Neubau steht nicht im Vordergrund, weil es keine zwingenden Nutzungen gebe, die einen solchen an diesem bedeutenden Ort legitimieren würden. Auf der anderen Seite wird aber auch das integrale Erhalten des Provisoriums von Karl Egender als «nicht sinnvoll» erachtet – warum, führt der ­Bericht nicht weiter aus.

Im Zentrum steht also die Veränderung und Anpassung des Baus: «Eine Transformation des Gebäudes mit sub­stanziellen baulichen Eingriffen ist erwünscht», heisst es da. Angeregt wird unter anderem auch, das Dach öffentlich zugänglich zu machen (was allerdings bauliche Probleme birgt) oder das Gebäude zum Teil abzubrechen oder in gewissen Teilen aufzustocken, um mehr Freiraum in der Umgebung zu ermöglichen. Und schliesslich wird die Idee vom Projekt aus dem Jahr 2018 aufgegriffen, die Autounterführung Richtung Urania-Hauptwache hin zu verlängern. Auch damit könnte der Freiraum erweitert werden.

Das Globusprovisorium ist jetzt über sechzig Jahre alt. Es wird, wenn es im selben Tempo wie bisher weitergeht, auch den siebzigsten Geburtstag noch ohne Veränderungen überstehen. Das ist weiter kein Unglück, denn das, was da an zentraler Stelle in Zürich steht, ist ja tatsächlich ein spezieller Bau, der so mancher Idee und so manchem Projekt widerstanden hat – was durchaus auch ein Argument für seine Qualität ist.

Den Schlussbericht des Forums Papierwerd gibt es hier.

Den Schlussbericht zur Testplanung Masterplan HB / Central finden Sie hier.

Adi Kälin hat als Journalist über Jahrzehnte für den Tages-Anzeiger und die Neue Zürcher Zeitung die Zürcher Stadtentwicklung beobachtet. Seit Ende 2022 tut er dies in freischaffender Tätigkeit.

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