Lego-Bau­ten in Bil­lund

Seit 2017 stehen in Billund, der dänischen Spielzeug-Hauptstadt, zwei markante Lego-Gebäude. Entworfen von dänischen Architekturbüros, gelang die herausfordernde, konstruktive Umsetzung des Lego House dank der Mithilfe von Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure.

Date de publication
09-10-2022

Nach Billund verirrt man sich nicht einfach so. Die Ortschaft liegt im Landesinnern der Halbinsel Jütland – demjenigen Teil Dänemarks, der direkt mit dem europäischen Kontinent verwachsen ist. Bei der Ankunft merkt man schnell: Hier steht alles im Zeichen des Familienurlaubs. In einem Umkreis von weniger als 2 km rund um das Stadtzentrum liegen ein internationaler Flughafen, mit «Lalandia» der grösste Wasserpark Skandinaviens, das älteste Legoland der Welt und der Firmenhauptsitz von Lego.

Dass der Konzern vor 90 Jahren an diesem Ort gegründet wurde, lässt sich auch nicht übersehen – an jeder Ecke lassen sich Bezüge zum weltbekannten Spielzeughersteller entdecken. Auch der rege Flugverkehr über der Stadt ist den bunten Klemmsteinen geschuldet: ­Mitte der 1960er-Jahren ursprünglich als privater Flughafen für Lego geplant, schlossen sich Nachbargemeinden dem Vorhaben an, und über die Jahre entstand der zweitgrösste Flughafen des Landes.

Farbige Stapel für die Stadt

Ein wenig abseits der Hauptattraktionen setzte Lego in den vergangenen Jahren gleich zwei gut sichtbare Farbtupfer in die Stadt. Vor fünf Jahren eröffnete das Lego House und dieses Jahr der Lego Campus. Beide Bauten stammen aus der Feder dänischer Architekten und lassen optisch keine Fragen bezüglich der Eigentümerschaft offen.

Der Campus von C.F. Møller Architekten besteht aus insgesamt acht miteinander verbunden Baukörpern, trägt zwei gelbe, den Spielsteinen nachempfundene Quader auf der Dachlandschaft, unzählige graue 2×4-Steine in der Fassade und bietet Platz für rund 2000 Mitarbeitende des Konzerns. Er liegt unmittelbar südwestlich des Legoland-Resorts, versteht sich als zweites Zuhause für alle Mitarbeitenden weltweit und bietet verschiedene, auch spielerische Möglichkeiten für den beruflichen und ausserberuflichen Austausch.

Begrüsst von einer überdimensionalen Lego-Figur beim Eingang finden Lego-Kollegen hier neben einem Ar­beitsplatz unter anderem ein Fitnessstudio, kreative Werkstätten, Unterkunft, ein Kino, ein Parkanlage mit Aktivitätsbereich, eine Küche für gemeinsames Kochen und Networking sowie ein Gesundheitszentrum. Die Familien der Mitarbeiter sind ebenfalls willkommen. Kurzum: ein bisschen Google für Billund.

Der Campus ist selbstredend nicht öffentlich; anders das von der Bjarke Ingels Group entworfene Lego House. Es steht rund zehn Gehminuten von Legoland und Campus entfernt direkt im Stadtzentrum. Von aus­sen manifestiert es alles, wofür Lego steht: ein bunter Stapel aus Quadern – das «Home of the Brick», wie es Lego selbst nennt.

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Das Haus bietet den ultimativen Zugang zur Lego-Erlebniswelt. Durch die Eingangstüren gelangt man als Erstes in ein rund 2000 m2 grosses Atrium, das sich – da das Haus an der Stelle des ehemaligen Rathauses steht – als neuer, zentraler Stadtplatz versteht. Dieser frei zugängliche Raum soll als Treffpunkt für die lokale Bevölkerung dienen und lässt sich an regnerischen Tagen zudem als Abkürzung über den Ole-Kirks-Platz (dem ehemaligen Rathausplatz) nutzen.

Umfasst wird das Atrium von acht Quadern. Teils im Raum selbst und teils in den Quadern untergebracht finden sich hier im Erdgeschoss ein Café, ein Lego-­Store, Ticketschalter, Garderoben, sanitäre Einrichtungen, Konferenzräume, Büros und Umschlagsinfrastrukturen. Im Atrium besteht gar die Möglichkeit, drei Generationen der Gründerfamilie (Ole Kirk, dessen Sohn Godtfred und seinen Enkel Kjeld Kirk) persönlich zu treffen; sie verweilen, aus Lego-Steinen gebaut, auf einer Bank. Um hingegen das um ein Vielfaches grössere Kunstwerk, den «Tree of Creativity», aus der Nähe zu betrachten, braucht es dann ein gültiges Eintrittsticket für den Ausstellungsbereich.

Um diesen aus über sechs Millionen Lego-Steinen bestehenden und 15 m hohen Baum – der Aufbau hat mehr als 20000 Arbeitsstunden in Anspruch genommen – führt auch die Haupttreppe zu den Ausstellungen des Hauses. Die Ausstellungsflächen umfassen Spiel- und Erlebnisbereiche, Exponate, eine Bibliothek sowie im Untergeschoss ein Museum zur Firmengeschichte, das die wesentlichen Informationen für dieses Heft lieferte.

Schweizer Ingenieure am Werk

Das Lego House ist jedoch nicht nur für Lego-Fans jeden Alters interessant, sondern auch gestalterisch und baulich bemerkenswert. Das 23 m hohe Gebäude besteht optisch aus 20 an den Aussenflächen weissen, gestapelten Steinen unterschiedlicher Formen und wird von einem symbolischen 2×4-Stein, dem «Keystone», gekrönt. Die Dachflächen der Steine sind mit Ausnahme des Key­stone in Grün-, Gelb-, Rot- und Blautönen gefärbt – der Keystone ist rundum weiss und mit Oberlichtern ausgestattet. Die überschnittenen Stapelflächen tragen eine Reihe von Dachflächen, die – teilweise ebenfalls öffentlich und über Treppen zugänglich – Möglichkeiten zum Verweilen und Spielen bieten.

Selbstredend ist das Lego House mittlerweile als Baukastenset erhältlich. Während der Nachbau mit Plastiksteinen nur einige Stunden beansprucht, benötigte das Originalbauwerk rund drei Jahre und ist das Ergebnis einer herausfordernden konstruktiven Planung. Seit Veröffentlichung der ersten Visualisierungen des Architektenteams der dänischen Bjarke Ingels Group hielt man am Konzept der gestapelten Steine fest.

Was sich mit Kunststoffspielsteinen vergleichsweise leicht bauen lässt, stellte das Planungsteam jedoch vor grosse Herausforderungen. Besonders das 2000 m2 grosse Atrium in der Mitte des Gebäudes, das ohne Stützen oder andere tragende Elemente ausgeführt werden sollte, verlangte nach massgeschneiderten ingenieurtechnischen Lösungen. Hinter der spielerischen, wenn auch komplexen Fassade verbergen sich daher knapp 2000 t Stahl in Form von Fachwerkverbänden.

Letztlich entstand dadurch ein gestapeltes Skelett, das die Illusion gekoppelter Bausteine vermittelt. Diese Illusion wird konsequent bis zur Fassade nach aussen getragen: Um Fugen zu vermeiden und die Logik der Lego-Steine zu wahren, kamen handgefertigte Eckziegel zum Einsatz. Sie legen einen makellosen Raster um das Gebäude und nehmen in ihrem hellen Ton die unterschiedlichen Farben der Dacheindeckung auf.

Mehr zu Lego in TEC21 32/2022 «Spielsteine im Dienst der Konstruktion»

Gesamthaft fällt es einem beim Lego House auf den ersten Blick schwer zu bestimmen, wo die simple Lego-Logik aufhört und das Ingenieurwissen und die Architektur beginnen. So wurden beispielsweise alle Möbel und Einrichtungsgegenstände zunächst als Lego-­Modelle entworfen und dann in vergrössertem Massstab umgesetzt. Das tut der Sache allerdings keinen Abbruch: Das Gebäude bleibt technisch interessant und wäre ohne Schweizer Ingenieurwissen so nicht entstanden. Dr. Lüchinger+Meyer Bauingenieure nahmen sich als beratende Ingenieure an der Seite der lokalen Kolleginnen und Kollegen von COWI den Herausforderungen des stützenfreien Raums an und waren zudem an der Fassadenplanung beteiligt.

Am Ende ist alles Technik – und ein bisschen Wissenschaft

Im Lego House steht das Spielerische im Vordergrund. Angefangen bei der nach aussen hin locker wirkenden Umsetzung einer komplexen Konstruktion über die exakt geplanten, aber wie ein Kinderzimmer anmutenden Ausstellungsbereiche bis hin zur Raumbeleuchtung, die aus der Sicht der Besuchenden als selbstverständlich wahrgenommen wird, aber nur dank raffinierten architektonischen Mitteln grossen Anteil an natürlichem Licht liefert und von viel künstlichem Licht mit ausgeklügelter Steuerungstechnik unterstützt wird.

So landen alle, die den kostenpflichtigen Bereich des Hauses besuchen – sei es gedanklich oder physisch –, letztlich wieder auf dem Boden der Technik. Genauer gesagt neben einer Spritzgussmaschine beim Ausgangsbereich im Atrium, die ein exklusives Set mit sechs roten 2×4-Steinen für jede Besucherin und jeden Besucher produziert. Dieses Produkt steht stellvertretend für die schier unendlichen Spielmöglichkeiten mit Lego. Denn im Jahr 2004 berechnete der dänische Mathematiker ­Søren ­Eilers an der Universität von Kopenhagen mithilfe einer Computersimulation, in wie vielen unterschiedlichen Kombinationen sich ein derartiges Set zusammensetzen lässt: Er ermittelte die astronomische Anzahl von 915103765 Kombinationen. Diese Zahl belegte er in einer wissenschaftlichen Schrift und revidierte damit die Anzahl von 102981500 Kombinationen, die Lego im Jahr 1974 selbst ermittelt hatte.

Die grosse Differenz beruht darauf, dass Lego in seinen Berechnungen (neben einem kleinen Rechenfehler von 4) lediglich Kombinationen berücksichtigte, bei denen die sechs Steine aufeinander gestapelt sind. ­Eilers’ Berechnungen schliessen jedoch auch Kombinationen ein, bei denen ein Stein zwei oder mehr unter ihm liegende Steine verbindet.

So verlässt man schliesslich Billund nicht nur mit dem einen oder anderen Souvenir aus dem Lego-Shop, sondern auch mit einem Happen Wissen im Gepäck.

Lego House, Billund (DK)
Bauherrschaft
Kirkbi, Billund (DK)

 

Architektur
Bjarke Ingels Group, Valby (DK)

 

Tragkonstruktion
COWI, Esbjerg (DK)

 

Beratende Ingenieure, Fassadenplanung
Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich

 

Lichtgestaltung
Jesper Kongshaug, Kopenhagen

 

Fertigstellung
2017

 

Grundfläche
12 000 m2

 

Baukosten
unbekannt

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