Fel­ders Ex­pe­ri­ment mit der Wiese

Lorenzo Felder hat mit Alessandra Angelini und David Frey in Lugano die Pärke Roncaccio und del Conservatorio umgestaltet. Die Projekte zeichnen sich trotz minimalem Ressourceneinsatz und bescheidenen finanziellen Mitteln durch Kraft und Leichtigkeit aus und überzeugen durch Alltagstauglichkeit und Poesie.

Date de publication
31-05-2022

Die Gärtner im Parco Ciani am See im Stadtzentrum Luganos legen mit Tausenden Blumen farbassortierte Beete im fein säuberlich gemähten Rasen an. Jedes Frühjahr beeindrucken und erfreuen sie die Touristen aufs Neue damit. Doch so effektvoll das Ergebnis ist, so kostenintensiv ist es. Eine naturnähere und bescheidenere Bepflanzung weisen der etwas versteckte Parco Roncaccio und der ein Jahr später angelegte Parco del Conservatorio aus.

Der Parco Roncaccio über dem Bahnhof, der eigentlich kein Park, sondern eine Passage ist, umfasst ein rund 6000 m2 grosses Grundstück. Viele Jahre blieb er der Öffentlichkeit vorenthalten, bis 2008 eine neue Fussgängerverbindung zwischen den Quartieren Besso und Loreto entstand.

Während der Pandemie im Frühling 2020, als alle öffentlichen Anlagen im Tessin geschlossen waren, schaute der Architekt und Landschafts­gestalter Lorenzo Felder, der in einem Haus etwas erhöht am Rand der Grünanlage wohnt, oft aus dem Fenster auf die Wiese am Fussweg. Das Gras wuchs, weil es nicht gemäht wurde, immer höher. Er machte sich Gedanken über eine Gestaltung. Dabei entschied er sich für die vermeintlich einfachste – er nahm kurzerhand den Rasenmäher und begann, grosse fliessende Muster in die Wiese zu schneiden. Sie erinnern entfernt an Freiübungen mit dem Kurvenlineal und entwickeln dabei eine Poesie wie die Bilder von Hans Arp mit ihren farbigen, wolkenförmigen Flächen.

Schon bald beteiligten sich die Landschaftsplanerin Alessandra Angelini und der Biologe David Frey an dem Experiment. Ihre Wiesenmuster sind kein statisches Bild wie die Beete am See, deren Blumen, sobald sie verblüht sind, entfernt werden. Verschiedene Pflanzen folgen einander im Lauf der Jahreszeiten auf den ungemähten Stellen – im Frühling spriessen Gräser und Kräuter, im Sommer bilden sie, in die Höhe geschossen, schmale Gassen, im Herbst vertrocknen sie und werden goldbraun, um schliesslich im Winter unter dem Schnee oder der Nässe zu Strohmatten zu werden, und darum herum führen die gemähten Stellen in barocken Kurven als Wege.

Die Spaziergänger begegnen den Formationen unterschiedlich. Einige gehen mitten durch die hohen Magerwiesenstellen, andere folgen sorgsam den Schleifen. Auch Schulklassen unter der Führung von David Frey besuchen den Ort, die Kinder wählen eine Blume, und er erklärt deren Biologie und Geschichte. Zu Hause erzählen die Kinder ihren Eltern von dem, was sie gelernt haben, und diese ergänzen die Geschichten mit dem, was sie über die Pflanzen wissen. Ein Ort der Biodiversität also, aber auch einer, der der Erinnerung auf die Sprünge hilft.

«Früher, als die Stadt die Wiese, wenn sie eine gewisse Höhe erreicht hatte, nach konventionellen Prinzipien schnitt, gab es fast nur Klee», erinnert sich Lorenzo Felder. «Als wir mit dem Projekt begannen, verschwand er, stattdessen wuchsen Waldbeeren, Gräser und Wildkräuter. Man hatte den Eindruck, die Samen waren schon in der Erde und warteten auf ihre Gelegenheit.»

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Der Boden im Parco Roncaccio ist an manchen Stellen trockener und an anderen feuchter. Dies ist wohl auf die Restfeuchtigkeit zurückzuführen, die von einem ehemaligen Bach stammt. Die verschiedenen Pflanzen wachsen so an unterschiedlichen Stellen. «Wenn ich von meiner Wohnung aus hinunterschaue, sehe ich dichte Wolken mit gewissen Blumenarten. Das ist wie eine zweite Ordnung neben den gemähten Grossformen. Von Woche zu Woche entdecke ich andere Formationen», erzählt Lorenzo Felder.

Mit Felders handlichem Rasenmäher war es einfach, an den geschwungenen Rändern entlangzufahren. Die vier Gärtner der Gemeinde, die das jetzt tun, sind zwar zufrieden, endlich etwas Besonderes machen zu dürfen, sie kurven aber mit grossen Maschinen durch die Wiese und müssen nachher die Ränder stellenweise umständlich von Hand nachschneiden.

Frei und ungebändigt

Lorenzo Felder ist Architekt. Doch er hat auch eine Ausbildung als Landschaftsplaner. Auf die Frage, weshalb er das nachträglich studiert hat, antwortet er, dass Architekten klare Ideen hätten und sich mit fünf Materialien – Beton, Glas, Holz, Stein und Stahl – beschäftigten, und wenn ein Bau dann fertig sei, wendeten sie sich etwas Neuem zu. Eine Landschaft sei dagegen etwas, das sich ständig verändere.

Felder studierte in Venedig Landschaftsarchitektur, wo vor allem historische Anlagen wie die der Lagunenstadt ein Thema waren. Jetzt, anlässlich einer Weiterbildung in Florenz, lernt er eine Haltung zu finden und umzusetzen. Man konzentriere sich auf Fragen des öffentlichen Raums und dessen neue Definitionen, auch was den Raum als soziale Umgebung angehe. Seitdem der erste öffentliche Park, der Central Park in New York, entstand, gebe es unzählige Deklinationen, und heute spreche man nicht mehr über den Renaissance- oder den englischen Garten. Stile sind etwas für Historiker, so Felder. Ein Garten bleibe aber auf jeden Fall eine Antwort auf den Ort. Darum habe seine Anlage auch mit Gefühl zu tun. «Als Architekt fühle ich mich ein bisschen verloren in der Landschaftsgestaltung. Aber das ist auch schön», meint er. Zum Beispiel inspirierten ihn die Bilder von Hans Arp, er hatte aber zuerst nicht den Mut, sie als formale Vorlage für die Wiese zu nehmen, denn als Architekt müsste er das begründen. Und dann hat er es trotzdem gemacht. Diese Freiheit fasziniert ihn, und er wünscht sich, sie eines Tages auch in der ­Architektur umsetzen zu können.

Ab dem Moment, wo etwas angelegt ist, muss man bereit sein zu reagieren, denn die Natur hat ihre eigene Kraft, die es oft zu bändigen gilt. Das zeigen ­die mannshohen, senkrechten Schösslinge, die am Rand der Wiese aus dem Boden ragen. «Wir haben etwas ­weiter oben einen Baum gepflanzt, der im hohen Schnee abstarb. Und diese Äste schossen dann zwei Jahre später weiter unten aus der Erde. Ich weiss nicht, ob wir sie schneiden sollen oder einfach beobachten, was passiert.»

«Es gibt Überraschungen», so Felder. Im Winter verschwinden die Formen, aber sobald der Frühling kommt, ist es faszinierend zu beobachten, wie Gänseblümchen an den im Jahr zuvor gemähten Stellen wachsen und die ungeschnittenen von gelbem Löwenzahn bedeckt werden. Trotz der Taktik, die Pflanzen wachsen zu lassen, wie sie gedeihen, gibt es auch solche, die zu invasiv sind. Felder, Angelini und Frey wählten zusätzliche Wildblumen, um sie an den Rändern der Schleifen zu säen und so das Gleichgewicht etwas abzustimmen. Sie sind neugierig, was im Frühjahr wachsen wird.

Das am Anfang einfach wirkende Experiment entwickelt sich und berührt auch die Leute im Quartier. Selbst im Winter vollführten die Kinder ihre spielerischen Slalomläufe entlang der hohen, eingeschneiten Stellen. Das alles gefällt Felder an der Landschafts­architektur.

Der trockene Parco del Conservatorio

Dass das Modell mit den Mustern in der Wiese auch auf andere Situationen anpassbar ist, zeigt ein Nachspiel: Nachdem Felder im Parco Roncaccio die Muster in die Wiese gemäht hatte, schrieb er der Stadtverwaltung, um sie über den Eingriff in Kenntnis zu setzen. Die Antwort überraschte ihn, denn anstelle einer Rüge für sein eigenmächtiges Handeln fanden die Beamten die Idee ausgezeichnet. Man bot ihm, Alessandra Angelini und David Frey an, die Gestaltung auch im Parco del Conservatorio umzusetzen. Bei dem 2300 m2 grossen Grundstück hinter dem Hauptbau der Musikschule handelt es sich um einen sonnenexponierten, ehemaligen Fussballplatz, auf dem seit dem Einzug des Konservatoriums niemand mehr spielte.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 17/2022 «Einfache Landschaften».

Parco Roncaccio und Parco del Conservatorio, Lugano

 

Landschaftsgestaltung
Lorenzo Felder, Archi­tektur und Landschaftsplanung, Lugano; Alessandra Angelini, Architektur und Landschaftsplanung, Teramo; David Frey, Biologe, Melano

 

Auftrag
Privatinitiative mit Unterstützung und in Zusammenarbeit mit der Stadt Lugano, Spazi pubblici, Verde pubblico, Capo sezione arch. paesaggista Christian Bettosini

 

Städtisches Gärtnerteam
Francesco Fieni, Nicola Besomi, Emilio Grespi, Diego Sassi

 

Zeitraum
seit 2020

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