Qua­dra­tur des Kreises

Studienauftrag Gesamtsanierung Schule für Gestaltung Bern/Biel

Die denkmalgeschützte Gebäudehülle der Schule für Gestaltung in der Stadt Bern soll saniert werden. Das Siegerprojekt sieht einen Totalersatz vor. Der minimalste Eingriff scheitert an Normen und Gesetzen.

Date de publication
30-09-2021

Die Schule für Gestaltung Bern und Biel SfG BB wurde aus den beiden Kunstgewerbeschulen Bern und Biel gegründet. Um dem entstandenen Kompetenzzentrum genug Raum für die Zukunft zu geben, wurde in den Jahren 1968 bis 1971 an der Schänzlihalde 31 in Bern ein neuer Gebäudekomplex errichtet. Der Bau wurde zuletzt 1988 erweitert und weist heute an der Gebäudehülle erheblichen Sanierungsbedarf auf. Deshalb suchte das Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern AGG exemplarische Lösungen für die wirtschaftliche ­Ertüchtigung der Gebäudehülle.

17 Teams reichten einen Antrag zur Präqualifikation bei der Verfahrensbegleitung Emch + Berger ImmoConsult ein. Die erwünschten Kompetenzen eines Teams wurden in den Bedingungen formuliert: Architekt als Gesamt­leiter, Koordinator Nachhaltigkeit, Kostenplaner, Bauingenieur, Fassadenplaner, HLKSE-Planer, Bauphysiker und Brandschutz­planer. Das Beurteilungsgremium wählte aus diesen Angeboten vier für die Teilnahme am Studienauftrag aus. Es ist anzunehmen, dass vor allem die Vollständigkeit der Zusammensetzung der Teams zur getroffenen Auswahl geführt hat.

Carte blanche

In der Aufgabenstellung wurde bewusst darauf verzichtet, Zielwerte für die Fassadensanierung, Standards für die Haustechnik oder Auflagen für das Errichten von energiegewinnenden Anlagen vorzugeben. Hier stellt sich die Frage, inwieweit dies zu Konflikten mit den formulierten Beurteilungskriterien führt – Behaglichkeit, Brandschutz und baurechtliche Bewil­ligungsfähigkeit, um drei da­von herauszuheben. Diese Begriffe gehen einher mit expliziten Ge­setzen und Normen. Behaglichkeit ist ein Thema aus der SIA-Norm 180, die Auflagen an Wärmeschutz, Feuchteschutz und Raumluftqualität ­for­muliert. Dazu kommen die Grenz­werte aus der Kantonalen Energieverordnung KEnV. Die darin geforderten U-Werte von opaken Bauteilen und Fenstern bei Um­bauten und Umnutzungen können mit Bauprodukten aus den 1970er-Jahren nicht erfüllt werden. Das müsste ein Veranstalter erkennen und im Programm dokumentieren. Anderenfalls werden, wie in diesem Wettbewerb geschehen, Vorschläge eingereicht, die nicht bewilligungsfähig sind, da sie auf den maximalen Erhalt der Fassade fokussieren. Das ist schade um die Arbeitszeit der betroffenen Parteien und auch ärgerlich für Teams, die in der Vorauswahl ausgeschieden sind und bewilligungsfähige Ansätze verfolgt hätten.

Totalersatz

Das Team der ARGE Bünzli & Courvoisier Architekten und BGS & Partner Architekten hat mit dem Total­ersatz der Gebäudehülle am Kubus und dem Fensterersatz mit Brüstungsertüchtigung im Sockelbau die richtige Strategie verfolgt. Bei einem Gebäude dieser Art spielt die Erhaltung des Bestands im Bereich der Fassade insofern keine Rolle, als die Architektur nicht verändert wird. Ein damals uni­soliertes Fenster­profil sieht von ­aussen gleich aus wie ein modernes Fensterprofil mit Dämmstegen und ausgezeichneten Eigenschaften bei Wärmedämmung und Bewitterungsprüfungen. Zudem sind alle Beschlagstypen erhältlich. So kann auch die neue ­Fassade mit dem Prinzip des Wendeflügels ausgerüstet werden, was den Bezug zum Bestand kopiert. Das Beurteilungsgremium kauft sich damit eine neue und technisch sehr gute Fassade ein. Damit wird nicht nur die Hülle ertüchtigt, sondern gleichzeitig auch der Rohbau geschützt und auf viele weitere Jahre konserviert. Die SfG BB wird ihren Schülern und dem Lehrpersonal mit dem Totalersatz optimale Bedingungen bei der Nutzung bieten ­können.

Neue Innenschale

Suter + Partner Architekten haben mit ihrem Team eine neue Innenschale hinter der bestehenden Fassade geplant. Diese Idee wurde schon in vielen Sanierungsprojekten angedacht, manchmal auch aus­geführt. Allerdings gehen immer dieselben negativen Eigenschaften damit einher. Geometrisch sind das Raumverlust und eine tiefe Bauweise, um den notwendigen Zwischenraum herzustellen.

Bauphysikalisch ist das die Dämmebene, die nach innen gezogen wird. Dadurch kühlt der Bestand aussen aus, was zu ­Problemen mit Wärmebrücken, Oberflächenkondensat und Beschlagen/Vereisen der bestehenden Gläser führt. Für den Nutzer ist zudem der Komfort meist schlechter, weil er, um an frische Luft zu kommen, zwei Fenster öffnen muss. Auch der Reinigungsaufwand ist für das Personal ungleich höher durch die neuen Zwischenräume und Nischen. Das Ziel, die Fassade architektonisch zu erhalten, kann nicht erfüllt werden. Aussen bleibt das Bild zwar gewahrt, aber die ebenso wichtige Innen­ansicht würde komplett verändert.

Hochleistungswärmedämmstoff HLWD

HLWD ist schon seit einigen Jahren im Bauwesen präsent. Sein Einsatz konnte sich aber nie im grossen Stil durchsetzen. Mineralwolle und Hartschaumplatten werden auch heute noch in praktisch allen Be­reichen der Gebäudedämmung und der Rohrisolation eingesetzt. Doch HLWD kann in der Sanierung von Gebäudehüllen seine beste Eigenschaft ausspielen: Er erreicht dieselbe Dämmleistung mit viel weniger Bautiefe. So hat das Team um Grasler Troxler Architekten die opaken Bauteile konsequent mit Aerogel beplankt, 20 mm auf den Brüstungen aussen und je 10 mm auf den Fensterrahmen innen und aussen. Die Spezialisten haben die Verbesserung der Dämmeigenschaften und der Oberflächentemperaturen mit Isothermenberechnungen dokumentiert; der Effekt ist offensichtlich. Dennoch hat das Beurteilungsgremium auch hier berechtigterweise kritisiert, dass der beabsichtigte Erhalt des Bestands nicht erreicht wird. Das Adaptieren mit dem Aerogel verändert Oberflächenstrukturen und Haptik gleichermassen.

Minimaler Eingriff

Aebi & Vincent Architekten haben mit ihren Fachleuten den maximalen ­Erhalt des Bestands angestrebt. Nur in der hinterlüfteten Fassade hinter den Brüstungsgläsern wurde eine zusätzliche HLWD platziert. Die Fenster erhalten neue Dreifachisoliergläser, aber die Fensterrahmen bleiben neben neuen Dichtungen und Glasleisten unverändert. Dieser Ansatz entspricht der Vorgabe, ohne Vorbehalte zu planen, durchaus und erfüllt den Erhalt von Architektur und Bestand optimal. Aber er widerspricht den eingangs erwähnten Beurteilungskriterien, bzw. den Normen und Gesetzen, die den Kriterien folgen. Damit war das Ausscheiden dieses Ansatzes logisch. Unnötig war aber, diesen Ansatz in der Aufgabenstellung zuzulassen.

Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch

Empfehlung zur Weiterbearbeitung

Team 1: ARGE Bünzli & Courvoisier Architekten, Zürich / BGS & Partner Architekten, Rapperswil Edelmann Energie, Zürich; Synaxis, Zürich; Bardak, Schaffhausen; Meierhans + Partner, Schwerzenbach; Sertis Engineering, Zürich; Hefti Hess Martignoni, Aarau; Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich; Makiol Wiederkehr, Beinwil am See

Weitere Teilnehmende

Team 2: Suter + Partner Architekten, Bern; Grolimund + Partner, Bern; WAM Planer und Ingenieure, Bern; Fassaden Konzepte Engineering, Wallisellen; Gruner Roschi, Köniz; elektroplan Buchs & Grossen, Frutigen; Amstein + Walthert Bern, Bern

Team 3: Graser Troxler Architekten, Zürich; 2ap Partner, Bern; Energie hoch 3, Bern; Büeler Fischli Bauingenieure, Ibach; Mebatech, Baden; s3, Dübendorf; Hefti Hess Martignoni, Aarau; Hermann Partner, Andelfingen; Josef Kolb, Romanshorn

Team 4: Aebi & Vincent Architekten, Bern; Gartenmann Engineering, Bern; 2ap Partner, Bern; WAM Planer und Ingenieure, Bern; Prometplan, Brügg bei Biel; Eicher + Pauli, Bern; Bering, Bern; Amstein + Walthert Bern, Bern; iart, Münchenstein/Basel

FachJury

Michael Frutig (Vorsitz), Architekt, Abteilungsleitung BPM Sek II + Infrastruktur, Bern; Lukas Huggenberger, Architekt, Zürich; Andreas Emmer, Metallbautechniker, Münchenstein; Jörg Lamster, Architekt, Zürich; Merle Rissiek (Ersatz), Architektin, Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG), Bern

SachJury

Stefan Gelzer, Berufsfachschullehrer und Schulleiter, SfG BB Schulleitung, Direktor Bern Biel; Sandra Grossen­bacher, Architektin, Denkmalpflege der Stadt Bern; Imelda Greber, Gebäudetechnikingenieurin, Amt für Umwelt und Energie Kanton Bern (AUE); Christian Ingold (Ersatz), Architekt, Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG), Bern

Die Berner Schule für Gestaltung

Die in den Jahren 1968 bis 1971 erbaute Kunstgewerbeschule des Berner Architekten Willy Pfister und die auf der Westseite gegenüberliegende, 1940 eingeweihte Gewerbeschule von Hans Brechbühler (ebenfalls aus Bern) bilden zusammen den markanten Brücken­kopf am nördlichen Ende der ansteigenden Lorrainebrücke. Sie sind typische architektonische Zeitzeugen, die im Bauinventar als schützenswert bzw. erhaltenswert eingestuft werden.

Die einstige Kunstgewerbeschule und heutige Schule für Gestaltung auf der Ostseite besteht aus einem Sockelbau, über dem das Unterrichts­gebäude als um 90° gedrehter Kubus in Erscheinung tritt. Die Fassade des drei- bis viergeschossigen Sockels besteht aus Brüstungen aus Sicht­betonelementen, die mit Fensterbändern alternieren. Quer dazu erhebt sich ein neungeschossiger kubischer Baukörper. Er zeichnet sich aus durch eine Curtain-Wall-Fassade mit bronzefarbener Metallverkleidung. Der dritte Gebäudeteil ist die Aula. Ihr trapezförmiger Dachaufbau erhebt sich attikaartig über dem Nordwestteil des Sockels.

Weitläufige Terrassen über dem Aarehang und die grosszügige Eingangssituation tragen zur Qualität der Architektur bei. Das gilt auch für das Gebäudeinnere: Der transparente Eingangsbereich mit einer doppelt gegenläufigen Treppe, die beeindruckende Aula und die Raumaufteilung der Klassenzimmer überzeugen noch heute. • (pd/tc)

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