Ist so­lares Bauen nur ein Wer­be­gag?

Gebäude, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen, sind klimaneutral und werden wohl bald Pflicht. Architekten runden dieses Programm aber schon jetzt zu einer hochstehenden Designkür ab. Dabei sind Solarbauten alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Eindrücke aus dem Symposium Solares Bauen von Swissolar.

Date de publication
28-09-2021

Die Zeit zwischen Wettbewerbsentwurf und Schlüsselübergabe birgt manche Überraschungen. Oft negative, falls ein Sparprogramm die Ausführung durchkreuzt. Bisweilen positive, wenn das Gegenteil eintrifft: Die Bauherrschaft stellt mehr Geld bereit, damit sich die Architekten eingehender mit dem Design beschäftigen können.

Seit letzter Woche lässt sich dieser Effekt mitten in Basel überprüfen: Der neue Sitz des kantonalen Amts für Umwelt und Energie (AUE) ist enthüllt. Ohne Baugerüst präsentiert sich das Hochhaus am Fischmarkt in Glas und im abgedunkelten Sonnenkleid und nicht als das, wofür das Stimmvolk vor acht Jahren knapp Ja sagte: ein Bürogebäude mit «luxuriöser Goldfassade».

Swen Kowalewsky, Partner bei jessenvollenweider Architekten, erklärte die Verwandlung des Bauwerks am Symposium Solares Bauen vor wenigen Tagen. Das Redesign sei nicht nur der öffentlichen Skepsis geschuldet; der goldene Glanz war auch technisch überholt. «Die öffentliche Bauherrschaft wollte wirkungsvollere Photovoltaikfassaden und schickte die Planung zurück an den Anfang», bestätigte Kowalewsky. So gab der Basler Regierungsrat einen Zusatzkredit frei, damit die Architekten ein Kleid aus monokristalline Varianten «mit 30 % höherer Leistung» als die zuvor eingeplanten polykristallinen Solarzellen zuschneiden konnten.

Im gleichen Schritt wurde die städtebauliche Integration optimiert: Alle vier Glasfassaden sind solar aktiviert und so vielfältig gestaltet, dass sich der Neubau auch ästhetisch in das innerstädtische Umfeld einpasst. Das Fassadenkleid haben die Architekten weitgehend selbst entworfen. Gemäss Kowalewsky «habe die Stadtbildkommission diese Vorschläge auf Anhieb gut aufgenommen».

«Zeichen für Nachhaltigkeit»

In Basel stehen zwei weitere Werke der neuesten Solararchitekturgeneration, die am Swissolar-Symposium zur Sprache kamen. Eingehend präsentiert wurden der Hauptsitz des Detailhändlers Coop und dessen jüngster Umbau. Seither trägt das Bürohochhaus aus den 1970er-Jahren anthrazitfarbene PV-Fassadenbänder zur Schau, die Strom erzeugen.

Marco Husmann vom Architekturbüro Burckhardt + Partner erläuterte, dass sich die Bauherrschaft «ein Zeichen für Nachhaltigkeit» gewünscht habe. Die Idee, die solaren Bauteile in der Konzernfarbe orange auszuführen, fand keine Gegenliebe. Der Auftraggeber zog ein diskreteres, dunkles Erscheinungsbild vor. Zwar wirkt der Eigenproduktionsanteil von 10 % energetisch bescheiden. Überzeugend ist jedoch, wie nahtlos sich die PV-Brüstungen – konstruktiv und ästhetisch – in die vollständig erneuerten Hochhausfassaden einfügen.

In Sichtweite des nun solaraktiven Coop-Sitzes steht der Grosspeter-Tower (vgl. TEC21 24–25/2017), dessen PV-Hülle schon vier Jahre lang Strom produziert. Am Solarsymposium kam dessen Besitzerin zu Wort, die PSP Swiss Property. PSP-Asset-Manager Thomas Kraft überraschte mit der Aussage, dass der Aufwand für die solaren Hochhausfassaden teilweise aus dem Marketingbudget bezahlt wurde. Ist solares Bauen – siehe Coop und PSP – vor allem auch ein Werbegag?

Solare Kompensation

Dass gelungene Solararchitektur nicht nur die Repräsentationswünsche der Investoren, sondern auch der Projektverfasser erfüllt, wussten die Vertreter der internationalen Architekturszene am Symposium zu demonstrieren. Sie sprachen weniger über konstruktive und städtebauliche Integration als von einem ganzheitlichen Solardesign und dazugehörigen Klima- und Materialisierungskonzepten.

Ein Beispiel dafür ist das «Powerhouse» vom norwegischen Büro Snøhetta. Rune Grasdal hob das Besondere dieser Grossbauten hervor: Die Architektur ist vielfältig und skulptural; Bau und Betrieb sind jedoch ganz dem Klimaneutralitätsprinzip unterworfen. Die verbauten Rohstoffe sollen nur so geringen Ökoschaden anrichten, dass sich dieser mit einer Energieproduktion im Betrieb wieder kompensieren lässt.

Ersteres heisst: möglichst viel Holz am Bau. Zweiteres bedingt Solarmodule auf dem Dach und an den Fassaden. «Nach 60 Jahren hat sich die graue Energie amortisiert.» Deshalb seien nur sehr lang nutzbare Bauten auch klimafreundlich, so Grasdal.

Martin Reuter, Geschäftsführer von Ingenhoven Architects, ordnete die gebäudeintegrierte Photovoltaik seinerseits in eine umfassendere Architekturstrategie ein. Ein Bauen gegen den Klimawandel setze beim Vermeiden an; dies führe der Architekt mit Reduktion respektive Kompensation fort. Deshalb gebe es nie nur die eine Variante, wie Solarenergie aktiv genutzt werden kann. Am Beispiel des Rathauses in Freiburg i. Br. zeigte Reuter auf, dass ein Gebäude selbst ausreichend Platz sowohl für die Stromproduktion als auch für die Verbesserung des urbanen Standortklimas und der Biodiversität bieten kann.

CO2-Speicher und Kraftwerk

Ob eine «Netto-Null»-Bilanz bei neuen Wohnbauten machbar ist, loten auch die Zürcher JOM Architekten aus. Sie haben einen Studienauftrag zur Umnutzung eines Kraftwerkgeländes in Baden AG gewonnen und sollen bis in wenigen Jahren «klimaneutrale Architektur» erstellen. Gemäss Büromitgründer Stefan Oeschger sind Ansätze dazu griffbereit: «Ein Gebäude in Holzbauweise sowie mit Hanf oder Stroh gedämmt speichert selbst viel CO2.» Eine aktive Solarfassade könne zusätzlich die beanspruchte graue Energie in der Nutzungsphase kompensieren. Die Balance, wie viel Kraftwerk und wie viel CO2-Speicher ein klimaneutrales Gebäude sein muss, ist allerdings nur mit Bilanzierungsmethoden zu bestimmen. Ob dies zur Hauptaufgabe für die Architektur werden wird, möchte man wissen.

Tatsächlich haben ETH-Studierende das Projekt als praxisorientierte Übung gestellt bekommen; Stefan Oeschger konnte am Symposium eine Auswahl an äusserst vielfältigen Resultaten präsentieren. Damit bestätigte sich, dass die Solararchitektur weitere Überraschungsmomente bereithält: Sie kann den Ausdruck von Projekten verändern und hat ebenso das Zeug dazu, Architekten in die klimaneutrale Pflicht zu nehmen.

Eineinhalb Mal teurer als Glas

 

Am dritten Symposium Solares Bauen, organisiert vom Fachverband Swissolar, von TEC21 und erstmals von der interdisziplinären Forschungsgruppe «Architecture and Building Systems» am ETH-Architekturdepartement, wurden auch Projekte im Arealmassstab gezeigt. Sebastian El Khouli, Partner von BGP Architekten, erläuterte die Idee und die Umsetzung einer Bebauung im ehemaligen Fehlmann-Park in Winterthur. Die zwei jüngsten Wohnbauten bilden «schwarze Körper in der Parklandschaft». Sie tragen elegante PV-Fassaden und fügen sich problemlos in die schon zuvor verdichtete Umgebung ein. Die Energieerzeugung sei aus einem gestalterischen Synergiegedanken entstanden; etwa 30 % der Erträge werden vor Ort konsumiert. Gemäss El Khouli seien die Kosten für PV einer konventionellen Verkleidung vergleichbar. «Solarfassaden sind etwa eineinhalb Mal so teuer wie Glasfassaden.» Im Sinn einer pragmatischen Architektur sei deshalb die klimafreundlichere Variante zu bevorzugen.

 

Nur als Träger, aber nicht als gestalterische Repräsentanten der Energiezukunft funktionieren derweil Areale wie das Wohnquartier Oassis in Crissier, einem Vorort von Lausanne. Dort haben Bauart Architekten drei Blockränder in eine heterogene Siedlungslandschaft gebaut. Dank mehreren Solaranlagen auf den Dächern konnte ein eigener Stromverbund realisiert werden, der eine Eigenverbrauchsquote von 33 % erlaubt. Ein höherer Versorgungsgrad wäre möglich gewesen, wenn die Microgrid-Idee schon zu Beginn der Projektierung angeordnet worden wäre, bestätigte Yorick Ringeisen, Partner bei Bauart Architekten.

 

Weitere Infos zum Fehlmann-Areal unter: solarchitecture.ch/fehlmann-housing-development