Platz-Park statt Park­platz

Wettbewerb Hafenpromenade Enge

Die Autos sollen weg vom Hafen Enge in Zürich. Doch ansonsten ­ändert der Siegerentwurf im Wettbewerb für dessen landschaftliche und architektonische Neugestaltung kaum etwas an der heutigen Situation: Aus dem Parkplatz wird ein Platz-Park. Dahinter steckt nicht zuletzt der Wunsch, die gute Sicht auf dessen Sponsoren nicht zu beeinträchtigen.

Date de publication
31-08-2021

Mit eigener Feder fertigte Ludwig XIV., bis heute Mensch gewordener Inbegriff des Absolutismus, eine Besichtigungsanleitung für die Gärten von Versailles an. Ebenso minutiös wie trocken legte der Monarch darin dar, wie man die streng gestaltete Landschaft um das Schloss zu betrachten habe, und immer wieder finden sich in der «Manière de montrer les jardins de Versailles» Hinweise auf die «nappes» und die «jets d’eau» – die Wasserflächen und Springbrunnen – und den Blick zurück aufs Schloss, der die Besucher der steten Präsenz des Herrschers versicherte.

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2019, als der Springbrunnen beim Hafen Enge in die Jahre gekommen schien, schenkte die Zurich Versicherung der Stadt, deren Namen sie ü-pünktchenlos in die ganze Welt trägt, eine neue Fontäne. Nun macht die Versicherung gemeinsam mit ihrer wirtschaftlichen Schwester und stadträumlichen Nachbarin Swiss Re der Stadt ein weiteres Geschenk: einen neuen Park. Der Grünraum am Jachthafen Enge – derzeit überwiegend ein Parkplatz zwischen dem Seeufer und dem vielbefahrenen Mythenquai – wird neu gestaltet. In einem Projektwettbewerb im offenen Verfahren setzte sich der Entwurfs der ARGE Schmid Kuhn Landschaftsarchitekten mit Loeliger Strub Architektur durch. Sie wahren die «Sichtbezüge zum See und zu den repräsentativen Versicherungsbauten», so hob es Richard Wolff, Chef des Zürcher Tiefbaudepartements, bei der Vorstellung der Ergebnisse hervor. Mit anderen Worten: ein Park ohne Grün, das bloss im Weg steht. Die Versicherungskonzerne bekommen über das von ihnen gesponserte neue Par­terre im französischen Stil hinweg eine gute Sicht auf den See und die «jets d’eau». Umgekehrt kann eine jede Tretbootfahrerin sich auch künftig der Präsenz der Versicherungskonzerne versichern.

Unbefangener Abriss

Der umfangreiche Ausbau der Firmenstandorte steht in unmittel­barem Zusammenhang mit der Neugestaltung der Fläche am See. 2017 ersetzte die Swiss Re einen be­stehenden Altbau durch einen massiven Kubus mit gewellter Glasfassade (Diener & Diener Architekten, Basel); soeben ist der von Adolf Krischanitz gestaltete Neubau der Zurich Versicherung eröffnet worden; und dazwischen baut die Swiss Re derzeit ein weiteres Bürogebäude (Meili & Peter, Zürich). Dass dafür das auf die 1920er-Jahre zurückgehende «Mythenschloss» weichen musste, offenbart eine gewisse Unbefangenheit gegenüber architektonischer Semantik, brachten dessen Ehrenhof und strenge Axialität die Herrschaftsgeste doch weit besser zum Ausdruck als das, was nun dort entsteht. Die Neubauten übertreffen das hier eigentlich erlaubte Bauvolumen deutlich, und das inspirierte auch das Geschenk: Die Stadt Zürich erlaubte die höhere Flächenausnutzung im Gegenzug für eine grosszügige Mitfinanzierung des neuen Gartens. Dieser kann auch nur entstehen, da die hier derzeit zur Verfügung stehenden 127 Parkplätze zukünftig in der Tiefgarage der Swiss Re angeboten werden. Eine Geschenk­kultur wie einst zwischen Fürsten und Kardinälen – heute heisst das Public-Private Partnership.

Der aus dem Tauschgeschäft hervorgegangene Siegerentwurf präsentiert sich ebenso korrekt wie un­inspiriert. Die braven Parallelen von Veloweg, Abstandsgrün, gros­sem Platz und Promenade bieten ein bisschen Schallschutz und wenden den Fokus zum See, eine zeitgenössische Gartengestaltung aber bieten sie nicht, schon gar nicht eine Vision. Eine chaussierte Fläche mit Pappeln verspricht geringe Unterhaltskosten, ansonsten aber ebenso wenig Schatten wie Neues. Warum die Gestalter nicht wenigstens Bäume mit breiteren und visuell ansprechenderen Kronen vorsahen, bleibt ein Rätsel. Allein der von Loeliger Strub geplante knallrote Holzkiosk verspricht ein wenig Aufenthaltsqualität und verankert den Entwurf mit seiner Schaufassade und der grossen Aufschrift «PORTO» im neopostmodernen Heute.

Mehr Grün

Andere Entwürfe wagten da mehr, auch mehr Grün. Der zweitplatzierte Beitrag «Voilà» von Mettler Landschaftsarchitektur entschied sich für einen dichten Baumbestand zur Strasse, der sich zum See hin auflöst, durchzogen von langen, gewundenen Bänken – eine Einladung zum informellen Lümmeln.

Visionslos

Doch das ebenso laut präsente wie planerisch totgeschwiegene Thema – der Elefant im Grünraum – ist die benachbarte Strasse. Deren klangvoller Name Mythenquai konter­kariert ihre triste Existenz als drei­spu­rige Verkehrsader, die das Quartier und damit auch die Versicherungsbauten vom Seeufer trennt. Doch war sie explizit ausgeklammert aus dem Wettbewerbsperimeter, und an ihr soll sich in naher Zukunft auch nichts ändern (bis auf zwei neue Fussgängerüberwege). Offenbar fehlte der Stadt Zürich der Mut zum grossen Massstab, der auch grosse Chancen geboten hätte: auf eine Verlegung des Verkehrs, auf einen Shared Space, auf einen Park, der es vermag, alle Bewegungs­formen vom Auto über den Kinderbuggy bis zum Segelboot in Kommunikation zu bringen. Stattdessen korrekte Langeweile. Das ist umso erstaunlicher, als die Neugestaltung Teil eines umfangreichen Planungsprozesses vom grössten Massstab bis ins Detail war, des zwischen Kanton und Stadt abgestimmten Leitbilds Seebecken von 2009. Doch von einer Vision ist in diesem Fall nichts mehr übriggeblieben als die Sicht aus den Büros auf den See.

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Auszeichnungen

1. Rang/1. Preis: «Porto stretto»
ARGE Schmid Kuhn Landschaftsarchitekten, Zürich, mit Loeliger Strub Architektur, Zürich


2. Rang/2. Preis: «Voilà»
Mettler Landschaftsarchitektur, Gossau, mit Brechbuehler Walser Architekten, Zürich


3. Rang/3. Preis: «Rocky»
égü Landschaftsarchitekten mit Claudia Meier & Markus Bachmann/MBAA, alle Zürich


4. Rang/4. Preis: «Tempo rubato»
exträ Landschaftsarchitektenm Bern, mit Märki Sahli Architekten, Bern


5. Rang/5. Preis: «Flâneur & Flâneuse»
Vogt Landschaftsarchitekten, Zürich, mit Duplex Architekten, Zürich


Fachjury

Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten, Zürich; Pascal Hunkeler, Amt für Städtebau, Zürich; Marie-Noëlle Adolph, Landschaftsarchitektin, Meilen; Lorenz Eugster, Landschaftsarchitekt, Zürich; Gabrielle Hächler, Architektin, Zürich; Maja Stoos, Architek­tin, Brugg; Barbara Emmenegger, Soziologie & Raum, Zürich

 

Sachjury

Ingo Golz, Grün Stadt Zürich; Richard Wolff, Vorsteher Tiefbau- und Entsorgungsdepartement, Zürich; Christof Keller, Swiss Re, Zürich; Thomas Gros­senbacher, Zurich Insurance Company, Zürich; Claus Reuschenbach, Liegenschaften Stadt Zürich; Nicole Schönenberger, Quartierverein Enge

 

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