Am Start: die Elek­tro­mo­bi­lität

So wie die Wärmepumpe immer mehr Gebäude emis­sions­arm beheizt, soll nun der Elektro­antrieb den Alltagsverkehr fit für die Klimazukunft machen. Der Anfang scheint gemacht; Immobilienbesitzer helfen tatkräftig mit.

Date de publication
21-05-2021

Von 2 auf 15 % in vier Jahren: 2018 haben die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft eine gemeinsame Idee skizziert, wie die Mobilität auf Klimakurs einschwenken soll. Daraus entstand die Roadmap Elektromobilität 2022, die sich auf ­innovative und freiwillige Massnahmen abstützt. Das vereinbarte Ziel: den Anteil elektrisch betriebener Strassenfahrzeuge (Steckerfahrzeuge) an den Neuzulassungen bis 2022 auf 15 % zu erhöhen. Im Jahr 2020 wurden rund 8 % mit elektrisch betriebenem Antrieb in Verkehr gesetzt.

Die Elektromobilität nimmt eine wichtige Rolle für die klimafreundliche Entwicklung des Verkehrsbereichs ein. Hier sind die CO2-Emissionen ebenso deutlich wie im Siedlungsbereich zu reduzieren. Mit kombinierten Projektierungsansätzen lassen sich nachhaltige Siedlungs- und ­Verkehrskonzepte sogar in einem umsetzen. So verlangt ein ­Zertifikat für das «2000-Watt-Areal» beispielsweise spezifische CO2-Kennwerte für ­Gebäude und für die induzierte Mobilität.

Die Städtekonferenz Mobilität des Schweizerischen Städteverbands und der Verkehrsclub der Schweiz be­treiben derweil die Plattform «autofrei/autoarm Wohnen», die den ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Nutzen solcher Kombikonzepte aufzeigen will. Beide Initiativen stossen auf ­grosses Echo: Fast vierzig 2000-Watt-Areale sind per Ende 2020 in der Schweiz zertifiziert. Über zwanzig meist städtische Standorte dürfen sich «autoarm» nennen.

Die Mobilitätsbedürfnisse der dortigen Bewohnerinnen und Bewohner werden mit einem viel­fältigen Angebot gedeckt, das in Sachen Energieeffizienz und Ressourcenschonung vorbildlich funktioniert, wie zum Beispiel die Elektromobilität. Aber auch über Gebäude- oder Energielabels hinaus denken Immobilieninvestoren immer mehr darüber nach, vor Ort eine private Ladeinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. Im Folgenden erzählen sechs Fachpersonen, worauf beim Einstieg in den E-Mobilitätsalltag zu achten ist.

Aus Sicht eines Investors:
«Noch ist der Run auf die E-Mobilität geringer als gedacht»

Jean-Claude Meyer, Kim Berrendorf, Baloise Group

«Die Baloise Group besitzt mehrere hundert Geschäfts- und Wohnliegenschaften mit über 10 000 Parkplätzen. Bis zu einem Fünftel davon möchten wir mit einer Elektroladestation ausrüsten. Das ist das Ziel unseres Projekts ‹BalCharge› für die Elektromobilität-Roadmap des Bundes. An zwei Pilotstandorten haben wir mit der Umsetzung begonnen. Die Pandemie verzögert einiges. Wir merken jedoch auch, wie hoch die eigenen Ambitionen sind. In Mietliegenschaften ist der Run auf die Elektromobilität allerdings derzeit noch geringer als gedacht. Bislang kurbeln eher Eigenheimbesitzer die Nachfrage an.

Der Ausbau der E-Ladeinfrastruktur ist aus einer kleinen unternehmensinternen Innovationsinitiative entstanden. Anfänglich sollte das Projekt vor allem den Zuspruch der Kundschaft erhöhen. Inzwischen ist die Idee in die unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategie eingeflossen. So können wir mit einer Förderung von E-Mobilität die interne Klimabilanz direkt verbessern. Dazu rüsten wir den eigenen Fuhrpark auch auf E-Mobilität um. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie soll Wert für alle schaffen: Um die Nachhaltigkeitsperformance der eigenen Immobilien und der Kapitalanlagen zu verbessern, investieren wir Kapital unter anderem aus Versicherungsprämien konkret in E-Ladestationen. Wirtschaftlich werden wir – zumindest indirekt – davon profitieren, weil Mieter zufriedener mit unserem Service sind und weniger häufig wechseln.

Was wir beim Ausbau der E-Mobilität inzwischen auch gelernt haben: Das Energiemanagement und die Solarstromproduktion von Gebäuden sind nicht ausser acht zu lassen. Das heisst, idealerweise werden E-Ladestationen vor Ort gemeinsam mit PV-Anlagen eingeplant. Doch nicht jede Liegenschaft eignet sich für ein Eigenverbrauchskonzept, weil Dächer beispielsweise mit Sonnenkollektoren zur Wärmeerzeugung belegt sind. Eine gemeinsame Strategie mit der Immobilienabteilung ist deshalb in der Finalisierung. Können anstehende Erneuerungsarbeiten zumindest mit der Installation einer E-Basisinfrastruktur ergänzt werden, hält sich der Zusatzaufwand jeweils in Grenzen.»

Aus Sicht eines Immobilienverwalters:
«Immer mehr Mieter erkundigen sich bei uns»

Matthias Schmid, Wincasa

«Im Zusammenhang mit der Verwaltung von Immobilienportfolios in der ganzen Schweiz betreut Wincasa etwa 80 000 Parkplätze, die potenziell elektrifizierbar sind. Es handelt sich um unterschiedlichste Immobilien im Besitz von institutionellen Investoren, von Einkaufszentren über Gewerbebauten und Bürohäuser bis zu kleinen und grossen Wohnsiedlungen. Immer mehr Mieter erkundigen sich bei uns, ob es möglich ist, in der Liegenschaft eine Ladeinfrastruktur zu installieren.

Die Eigentümer sind in der Regel auch dann offen für Investitionen, wenn anfangs nur eine Mietpartei in einem Mehr­fami­lienhaus davon profitiert. Wenn die erste Installation strategisch gut geplant ist, können später weitere Interessenten mit wenig ­Zusatzaufwand bedient werden. In diesem Zusammenhang ist das Flachbandkabel zum Praxisstandard geworden: Einmal an eine Tiefgaragenwand montiert, lassen sich weitere Ladestellen mit geringem Aufwand anschliessen. In von uns betreuten Projekten war es nur einmal der Fall, dass man sich aus Kostengründen ­gegen eine Elektroerschliessung entschied. Der betroffene Aussenparkplatz befand sich zu weit weg vom Gebäude. Es kommt aber auch vor, dass Mieter eine Installation selbst vornehmen. Die Prob­lematik besteht dann darin, dass unterschiedliche, teilweise nicht netzwerkfä­hige Ladestationen in der Tiefgarage eingesetzt werden. Das kann dazu führen, dass das Lastmanagement nicht übergreifend funktioniert und die Gebäudesicherung überlastet wird. Für ­­jeden Standort ist eine koordinierende Expertise gefragt.

Wir wollen nicht nur auf Anfrage tätig werden, sondern auch ­Liegenschaften proaktiv für die Elektromobilität tauglich machen. Eine gute Gelegenheit bietet die Erneuerung der Beleuchtung in Tiefgaragen. An diversen Standorten sind alte Fluoreszenz-Röhren in den kommenden Jahren durch LED-Lampen zu ersetzen. Im Zuge dessen lassen sich Ladestationen einfach instal­lieren. Die Nachfrage nach weiteren Ladestellen wird in Zukunft steigen.»

Aus Sicht eines Energieberaters:
«Es droht ein Wildwuchs an Ladestellen in der Tiefgarage»

Felix Ribi, EBP

«Damit die Elektromobilität weiter an Fahrt gewinnt, braucht es Ladestellen für zu Hause. Das heisst vor allem, dass auch Eigentümer von Mehrfamilienhäusern mehr Ladeinfrastruktur zur Verfügung stellen sollen. Wichtig für die Ausrüstung von Miethäusern ist aber ein Gesamtkonzept. Sonst droht ein Wildwuchs an Ladestellen in der Tiefgarage, der letztlich zu Mehrkosten führt. Zu empfehlen ist eine Basisinfrastruktur, deren Komponenten fest mit dem Gebäude verbunden sind und steuerbare Ladestellen für die einzelnen Parkplätze und ein Lastmanagementsystem aufweisen. Im SIA Merkblatt 2060 ist diese Basis definiert: Verteilkasten, Stromzähler für verschiedene Ladestellen und die Stromzufuhr bis zu den Parkflächen.

Ebenso wichtig ist ein Lastmanagementsystem, um einerseits die Ladevorgänge der einzelnen Ladestellen untereinander zu koordinieren und andererseits die Ladeleistungen mit den übrigen Elementen der gebäudeinternen Stromversorgung abzustimmen. Die Leistung eines Strom-Hausanschlusses muss nur in seltenen Fällen erhöht werden. Ladestellen, die beim Kauf eines Elektroautos teils kostenlos mitge­liefert werden, sind für Einfamilienhäuser gedacht; für Mehrfamilienhäuser sind sie in der Regel ungeeignet. Sie verfügen meistens über keine Kommunikationsschnittstellen und sind nicht steuerbar.

Der Einbau von Ladestationen bei Mehr­familienhäusern und der Kauf eines Elek­troautos werden heute in einzelnen Städten und Kantonen finanziell gefördert. Das noch nicht in Kraft gesetzte, revidierte CO2-Gesetz des Bundes sieht eine nationale Förderung von Ladestellen in Mehrparteien­gebäuden vor. Sehr wahrscheinlich wird die nationale Förderung an die Bedingung geknüpft, dass ausschliesslich erneuerbarer Strom fliessen muss. Die öffentliche Hand will die Rahmenbedingungen für die Elek­tromobilität aber auch sonst verbessern. Zum einen werden die Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge generell verschärft und die Motorfahrzeugsteuern für Elektroautos niedriger. Zum anderen sind Vorschriften im Gespräch, Parkplätze bei Neubauten mit Leerrohren erschliessen zu müssen.

Viele Immobilienbesitzer wollen ihr Eigentum nicht mit Anlagen anderer Anbieter vermischen. Deshalb sollen sie selbst in die Basisinfrastruktur und die Ladestellen investieren. Die Investitions- und Betriebskosten lassen sich auf die Mieterschaft überwälzen. Eine Alternative sind Contracting-Modelle etwa von Energieversorgern. Diese finanzieren und betreiben Ladestellen, übernehmen teilweise die Finanzierung der Basisinfrastruktur oder stellen sogar E-Fahrzeuge bereit. Die Mieterschaft kann solche Contracting-Modelle oft als Dienstleistungen ’im Abo’ nutzen.»

Aus Sicht einer Energieforscherin:
«Über bidirektionale Elektromobilität wird viel diskutiert»

Anna Roschewitz, Novatlantis

«Auf dem neuen Siedlungsareal Erlenmatt Ost in Basel testen wir, wie Elektrofahrzeuge zur Optimierung der lokalen Eigenversorgung mit erneuerbarem Strom beitragen können. Hier wird die bidirektionale Ladetechnik erstmals für die Schweiz praktisch angewendet: Die Autobatterien sind elektrotechnisch derart in das Arealnetz eingebunden, dass sie als mobile Stromspeicher dienen. Nach Bedarf können sie geladen oder entladen werden. Das Pilot- und Demonstrationsprojekt wird vom Kanton Basel-Stadt und dem Bundesamt für Energie unterstützt und geht inzwischen ins fünfte Jahr. Wir können zeigen, dass die sogenannte Sektorkopplung funktioniert. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner, denen zwei Elektroautos im Sharingmodell zur Verfügung stehen, sind zufrieden. Und wie deren Fahrstatistik beweist, genügt die Reichweite für alltägliche Ansprüche vollumfänglich.
Über bidirektionale Elektromobilität wird viel geredet und geschrieben. Aber es wird noch zu wenig gehandelt. Oft werden Vorbehalte vorgebracht, denn das Angebot geeigneter Fahrzeuge und Ladestationen ist überschaubar und relativ teuer, und es gibt noch keine Standardlösungen für ein smartes Lastmanagement. Wichtig ist die Koordination von Fachpersonen, denn wir bewegen uns in einem Umfeld, das noch keine Fertigprodukte kennt.

Die bidirektionale Elektromobi­lität an die Entwicklung von Neubau­arealen oder die Sanierung von Bestandsarealen zu knüp­fen kann einen mehrfachen Nutzen erzeugen: Energetisch lässt sich damit der Eigenverbrauchsanteil der lokalen Solarstromproduktion erhöhen. Zudem werden Lastspitzen im Arealnetz gedämpft, wodurch sich die Betriebskosten markant reduzieren lassen. Und mittelfristig kann eine Sektorkopplung dank Vehicle-to-Grid (V2G) die Netzinfrastruktur voraussichtlich entlasten, was den Ausbaubedarf auf Verteilnetzebene verringert. Das Pilot- und Demonstrationsprojekt Erlenmatt Ost beweist zudem: Das Angebot erfüllt auch nutzerbezogene Mobilitätsbedürfnisse.

Eine weitere Lernkomponente betrifft das individuelle Mobilitätsverhalten: Die Bewohnerinnen und Bewohner von Erlenmatt Ost lernen ein innovatives Mobilitätsangebot selbst kennen, seitdem sie am neuen Wohnort eingezogen sind. Ein solcher Moment kann Veränderungen herbeiführen, weil die Nutzerinnen und Nutzer über ihre eigenen Bedürfnisse und das bisherige Mobilitätsverhalten nachzudenken beginnen.»

Aus Sicht eines Energieversorgers:
«Die Ladeinfrastruktur wird Teil der Energieversorgung»

Rami Syväry, Energie 360°
 
«Der Ausbau der Elektromobilität ist auf ein dichtes Netz an öffentlichen Ladestationen angewiesen. Am häufigsten laden E-Auto-Fahrerinnen und -Fahrer aber zu Hause oder am Arbeitsplatz. In Zukunft wird die Ladestation zu Hause deshalb genauso selbstverständlich sein wie heute die Steckdose. Gerade in Parkplatzanlagen von Mehrfamilienhäusern empfiehlt sich aber ein Ladesystem zu installieren, das mit dem Bedarf mitwachsen kann. Neben den Ladestationen braucht es dazu ein Last­managementsystem, ein Zugangs- und Abrechnungssystem sowie bei Bedarf eine Finanzierungslösung. Eine Zusatzinvestition macht bei Neubauten wie auch bei bestehenden Wohngebäuden Sinn, unabhängig von einem Einzelobjekt oder einer Siedlung. Entscheidender ist vielmehr, ob sich der oder die Eigentümer für eine 100 % erneuerbare Energiezukunft engagieren wollen.

Warum sich ein Energieversorger auch um den Ausbau der Elektromobilität kümmert, hat einen einfachen Grund: Die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge wird zu einem weiteren Element in der Wärme-, Kälte- und Stromversorgung. Die Basis eines solchen Gesamtsystems muss jedoch immer der Einsatz von erneuerbaren Energieträgern sein. Beispielhaft dafür sind integrale Providerlösungen oder ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Dafür ist jeweils der Betrieb von Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen, E-Speichern und E-Ladestationen zu kombinieren. Die Gebäudetechnik und die Elektroautos lassen sich koppeln und gehorchen beide einer übergeordneten smarten Steuerung. Diesbe­züglich geht es darum, die Batterien von Elektrofahrzeugen zukünftig als Elektrospeicher zu nutzen.

Die Zusammenarbeit zwischen einem Energieversorger und einem Immobilieneigentümer bedarf der Klärung von Schnitt­stellen etwa in der Kooperation mit lokalen Elektrizitätsversorgern. Und nicht zuletzt geht es darum, die Endnutzerinnen und -nutzer selbst zu betreuen: Sie er­halten eine personalisierte Ladekarte für zu Hause oder unterwegs; neben dem Abrechnungsservice gehört auch ein Störungsdienst dazu, der rund um die Uhr erreichbar ist.»

Infoservice

 

Roadmap Elektromobilität
Die Roadmap Elektromobilität 2022 wurde vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) im Jahr 2018 initiiert. Die Aktivitäten der Roadmap werden vom Bundesamt für Energie (BFE) und vom Bundesamt für Strassen (ASTRA) koordiniert.

 

Autoarme Siedlungen
Verminderte Parkplatzanzahl (0,21-0,5 Autos je Wohneinheit), Motorräder und Motorfahrräder werden in der Regel dem zulässigen Kontingent an Autos zugerechnet. Das Halten von Motorfahrzeugen ist nicht der Regelfall und wird individuell geregelt.

 

Elektromobilität für Gemeinden
Handlungsleitfaden mit Praxisbeispielen von Energiestadt.

 

Induzierte Mobilität (SIA-Effizienzpfad Energie)
Merkblatt SIA 2039 «Mobilität – Energiebedarf in Abhängigkeit vom Gebäudestandort»

 

Elektroladestationen
Merkblatt SIA 2060 «Infrastruktur für Elektrofahrzeuge in Gebäuden»

Mit Unterstützung von energieschweiz und Wüest Partner sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»

Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»


Nr. 3/2020 «Immobilien und Energie: Strategien der Transformation»


Nr. 4/2021 «Immobilien und Energie: Mit Elektromobilität auf gemeinsamen Pfaden»

Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

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