Ein Kör­per aus Struk­tur

Betriebsgebäude DTB; Anonymer Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

In St. Gallen entsteht ein neues Betriebsgebäude für die technischen Betriebe, die ihre diversen Abteilungen und Dienststellen im Westen der Stadt unter einem Dach bündeln. Das Siegerprojekt unter Federführung von Durisch + Nolli Architetti und Schnetzer Puskas Ingenieure besticht durch sein atemberaubendes und vielgestaltiges Tragwerk.

Date de publication
06-05-2021

Dieser Wettbewerb für das neue Betriebsgebäude für die Direktion Technische Betriebe St. Gallen (DTB) gehört in der Ostschweiz ohne Zweifel zu den komplizierteren Aufgaben, denen sich die Profession in letzter Zeit widmen durfte. Das beginnt mit der Vielzahl an Interessen, die hier alle über- und nebeneinander Platz finden sollen. Die DTB besteht aus drei Unternehmen, einer Dienststelle und einer Stabsstelle. Diese verteilen sich im Moment auf insgesamt 15 Standorte in der Stadt. Unter anderem ­umfasst dies die Verkehrsbetriebe St.Gallen (VBSG), die ein Busdepot an der Steinachstrasse betreiben, die St. Galler Stadtwerke (sgsw) mit Hauptsitz an der St. Leonhard-Stras­se sowie mit Standorten auf dem ganzen Stadtgebiet, die Verwaltung der Entsorgung St. Gallen (ESG) sowie die Dienststelle Umwelt und Energie (UE).

An den aktuellen Standorten wird der Platz zu knapp, und das Busdepot an der Steinachstrasse steht vor einer Instandstellung. Das Ziel dieser Zusammenlegung ist eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen. Darüber hin­aus ermöglicht das Wettbewerbsprogramm vor allem Synergien zwischen dem Depot der VBSG und dem Werkhof der sgsw. Neben den reibungslosen betrieblichen Abläufen stehen vor allem innovative Arbeitsformen für die Mitarbeitenden der Stadtwerke und der Verkehrs­betriebe im Fokus. Die Einfachheit und Flexibilität des Gebäudes sollen eine lange Nutzung und Anpassbarkeit gewährleisten. Die Teilnehmenden an diesem Wettbewerb mussten vom Busdepot bis zum Direktionsbüro eine schlüssige Lösung vorlegen – unter einem Dach!

Das knapp 13 600 m² grosse Planungsgebiet liegt an der wichtigsten Ausfallachse der Stadt gegen Westen. An einer Abzweigung ins Sittertobel besetzt die Parzelle eine prominente Kreuzung, und am nördlichen Rand fällt das Terrain markant Richtung Sitter ab. Die Besucherinnen und Besucher des Open Air St. Gallen kennen diese Kreuzung bestens, denn dort beginnt der Abstieg hinunter ins Tal und zum Festivalgelände.

Einen eigenständigen Charakter konnte die Stadt an diesem Abschnitt der verkehrsreichen Zürcher Strasse indes nicht entwickeln: Ein uneinheitliches Nebeneinander von Gewerbe- und Wohnbauten prägt das Bild, die Körnigkeit der Bebauung reicht vom Einfamilienhaus bis zum Industriekomplex. Das neue Betriebsgebäude wird mit seiner schieren Grösse den Ort zukünftig stark prägen, daher spielt die Qualität seiner architektonischen und städtebaulichen Erscheinung eine entscheidende Rolle.

In den allgemeinen Bemerkungen hält der Jurybericht fest, welche Herausforderungen in dieser Aufgabe zu meistern waren. Das grosse Objekt erzeugt viel Verdrängung im Stadtgefüge. Wie kann das eher kleingliedrige Quartier darauf reagieren resp. dies verkraften – vor allem, da die mehrheitlich geschlossenen Sockelbauten einen Dialog ohnehin erschweren? Den Bezug zur Umgebung und zur Landschaft ortete die Jury als Kernfrage im Verfahren. Denn im Sinn einer Stadt­reparatur sollte hier ein Aussenraum mit Weite und Aufenthaltsqualität entstehen, nicht nur ein Gebäude. Daneben galt es auch, die langen Rampenbauwerke schlüssig in die orthogonalen Strukturen zu integrieren. Die zwölf Teams, die mittels Präqualifikation zum Verfahren zugelassen wurden, gingen die ­Aufgabe höchst unterschiedlich an, so wie auch die vier Projekte im Schlussdurchgang exemplarisch die unterschiedlchen Herangehensweisen in diesem Wettbewerb zeigen.

Räume aus Tragwerk

Das Siegerprojekt «Auf Schönen­wegen» vereint die vielfältigen Ansprüche unter einem äusserst glaubwürdigen Konzept, das sich ganz auf sein Tragwerk konzentriert. Es vertraut damit der Leistungsfähigkeit und Präsenz seiner statischen Struktur und findet darin seinen architektonischen Ausdruck. Mit diesem Ansatz entwerfen Durisch + Nolli Architetti zusammen mit Schnetzer Puskas Ingenieuren in einem kongenialen Austausch ein Gebäude, wie es für diese Aufgabe kaum passender sein könnte. Ein filigranes Skelett aus Stahlbeton trägt das Gebäude; Betonpfeiler und Rippendecken zitieren frühe Bauten der Industriearchitektur. Diese Vorgehensweise erlaubt es, jedes Geschoss um die acht Erschliessungskerne herum an die Bedürfnisse des jeweiligen Programms anzupassen. Je nach Anforderung überspannt die Decke unterschiedlich weite und hohe Räume – und ermöglicht so die geforderten Nutzungen innerhalb der gleichen Logik.

In den Schnitten zeigen sich imposante und lichte Hallen, die dank der strukturellen Klarheit auf eine hohe Funktionalität schliessen lassen – die aber auch ein räumliches Spektakel versprechen, das sich teilweise über zwei gigantische Geschosse hin erstreckt. Das Resultat ist ein bestechendes Zusammenspiel von Tragwerk und Raum. Es rückt damit in die Nähe von Pier Luigi Nervi und Gio Ponti. Wie bei den Titanen der italienischen Nachkriegsarchitektur entspringt die Haltung der inneren Logik der Aufgabe und zeigt sich deshalb sowohl im Ausdruck wie auch in der Funktionalität passgenau und massgeschneidert.

In nobler Zurückhaltung besinnt sich das Entwurfsteam in St.Gallen auf die Kräfte und Funktionen, die diese Räume formen: Utilitas und Firmitas weisen den Weg. Die Venustas (der klassische Dreiklang nach Vitruv: Utilitas, Firmitas, Venustas) stellt sich dann fast von allein ein – auch wenn es offensichtlich ist, dass dieser Entwurf mit einer entschlossenen, aber dennoch unaufdringlichen Prise Gestaltungswillen abgeschmeckt wurde.

Im dritten Untergeschoss parkieren die Mitarbeitenden ihre Fahrzeuge, in den beiden darüber liegenden Geschossen sind die grös­seren Nutzfahrzeuge abgestellt. In diesen unterirdischen Hallen erinnert der Grundriss an den Bauch eines Fährschiffs, bei dem zwei Schichten entlang der Halle den Zugang zum Deck für die Passagiere übernehmen. Im Erdgeschoss halten die Busse frei an den Inseln zwischen diesen beiden Serviceschichten.

Im 1. Obergeschoss liegen die Werkstätten der Stadtwerke in den imposantesten Räumen dieses Entwurfs. Fünf parallel zur Haupt­richtung orientierte Schiffe aus Beton nehmen erstmalig die gefaltete Decke auf, nachdem in den unteren Geschossen die Decken flach blieben. Damit findet das Bauwerk in einer imposanten Skulptur aus Trägern und Rippendecken seinen – im positiven Sinn – höchst eigenwilligen Ausdruck und seine unverwechselbare Identität, die bis an die Fassaden dringt.

Auf diesen fünf Geschossen liegt wie eine Krone aus Holz das Bürogeschoss mit einem grosszügigen Dachgarten. Auch dieses Stockwerk prägt ein Tragwerk aus Giebeln: Wegen der kürzeren Spannweite sind es hier aber zwölf Schiffe, die sich mit Unterbrüchen über die gesamte Länge des Gebäudes erstrecken.

Eine feine Hülle aus Glas umschliesst die vielgestaltigen Räume, in denen sich das Tragwerk mal offener und mal geschlossener zeigt. Dank dieser Transparenz scheint das enorme Volumen verträglich zu sein, und direkt an der Zürcher Stras­se bietet der Neubau ein grosszügiges Kundenzentrum, das dieses eindrückliche Gebäude erlebbar macht. Damit bewältigt es die diversen Knacknüsse in diesem Verfahren auf elegante Art und in einem durchgängigen Konzept. Und es greift eine Tendenz in St. Gallen auf, räumlichen Aufgaben ihren Ausdruck mittels eines expressiven Tragwerks zu verleihen: Der Bürobau von Corinna Menn für die Firma namics (2017) stellt ein Faltwerk in den Mittelpunkt des Entwurfs; das neue Naturmuseum von Meier Hug und Armin Semadeni (2016) spielt mit der Repetition des Giebels.

Analogien, Ableitungen und Assemblagen

Die weiteren Projekte im Schlussdurchgang verfolgten wie bereits erwähnt andere Strategien. Auf dem 2. Rang nehmen Graber Pulver Architekten – ebenfalls in Zusammenarbeit mit Schnetzer Puskas Ingenieuren – den nahe gelegenen Tröck­neturm beim Burgweiher als Analogie auf. Dieser Turm liegt keinen Steinwurf entfernt vom Perimeter und weist eine einzigartige Form auf. Er besteht aus einem ­hohen und eher schlanken Sockel und einem darüber liegenden Geschoss mit einem markanten, auskragenden Volumen unter einem flach ansteigenden Dach. Diese Grundform nimmt das Team unter dem Titel «Scuderia Sangallo» auf, um in einem etwas behäbigeren ­Sockel nahezu alle betrieblichen Flächen unterzubringen und die Topografie aufzufangen. In den auskragenden Geschossen über diesem Sockel spiegelt sich der Tröckneturm mit einem weiten und lang ansteigenden Dach wider. Darunter entstehen eindrückliche Büroräume, in deren Zentrum ein gross­zügiger Dachgarten liegt. Dieser erfrischende Umgang mit einer Analogie aus der Nachbarschaft gipfelt in einem anregenden, an eine Pagode erinnernden Schnitt.

Der Jurybericht merkt jedoch an, dass der räumliche Reichtum in den Obergeschossen durch betriebliche Kompromisse in den unteren Geschossen erkauft wird. Zudem bedingt das Konzept mit einem eingeschnürten Erdgeschoss, dass wegen der ausladenden Radien der Busse die gesamte Fläche der Parzelle versiegelt werden muss.

Mit dem dritten Rang wurde das Projekt von Boltshauser Architekten bedacht. Auch diese Architekten arbeiteten mit Schnetzer ­Puskas Ingenieuren zusammen. Offenbar sind die Basler Ingenieure am Puls der Zeit und bieten den Architekten ein inspirierendes Gegenüber. Im Entwurf unter dem Codewort «Terra» steht das Volumen im Vordergrund. In der heterogenen Umgebung findet das Projekt Leit­linien, die das Gebäude formen und zu einer äusserst schlüssigen und differenzierten Figur führen. So besteht die Grossform nicht aus einem durchgehenden Volumen, sondern die Figur springt in ihren Ober­geschossen gegenüber dem Sockel ­zurück. Eine Wohltat für das Quartier und die Wohnbauten in der Nachbarschaft. Aber auch in diesem Entwurf müssen aufgrund des verkleinerten Volumens in den überirdischen Geschossen zentrale Funktionen in den Untergrund weichen. Das ist wohl der ausschlaggebende Grund, weshalb dieser fein ausge­arbeitete, zurückhaltende Beitrag nicht als Sieger aus diesem Verfahren hervorgehen konnte.

Eine weitere Besonderheit bildet die Ausfachung der oberirdischen Tragwerke. Für dieses Gebäude schlagen Boltshauser Architekten eine Fassade aus Stampflehm vor und bringen damit einen weiteren lokalen Aspekt in den Entwurf ein: Roger Boltshauser untersucht in seiner Lehre schon seit geraumer Zeit den Stampflehm und hat im nahe gelegenen Sitterwerk mit seinen Studierenden ein Semester zum archaischen Material geforscht. Es wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, das Material an diesem Ort und in diesem Ausmass einem weiteren Praxistest zu unterziehen.

Einen gänzlich anderen Weg haben die Architekten Christ & Gantenbein eingeschlagen – diesmal unter Begleitung der Ingenieure von Conzett Bronzini Partner. Sie nehmen die unumgängliche vertikale Schichtung des Gebäudes zum Anlass, die langen Rampen zum Leitmotiv zu machen. Anstatt diese möglichst unsichtbar in die Struktur zu integrieren, bilden unter dem Stichwort «Stadtwerkstatt» die Störungen in der Regel den Reiz des Entwurfs.

Man merkt es dem Projekt an, wie lust- und fantasievoll diese Störungen in eine sehr effiziente Struktur eingeführt wurden – und wie sehr sie die Funktionalität des Gebäudes erhöhen. Im Osten entflechtet ein Kreisel auf dem Betriebsgebäude die Verkehrsströme: Allein dies eine kühne Idee! Gegen Nordwesten stülpt sich ein Halbkreis aus dem Volumen heraus. Im Erdgeschoss und im 1. OG befinden sich dort Nebenräume, doch auf Ebene der Büros ergänzt diese Fläche als Terrasse das funktionale Büro.

Auch in den Fassaden sieht man die Assemblage verschiedener Volumen. Der strenge Raster der Glasfassade zeigt sich zur Zürcher Strasse als geordneter Bürobau. Doch an der Ost- und Nordfassade durchschneiden die lang gezogenen Rampen das Volumen und lassen die Geometrien aufeinanderprallen. Auch wenn dies bisweilen im Grundriss etwas gar arg auf Kosten der Funktionalität erfolgt, so sind doch die Fassaden für den Hauptsitz einer technischen Direktion erfrischend ungebändigt.

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Auf Schönenwegen»
Durisch + Nolli Architetti, Massagno; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Rapp Industrieplaner, Münchenstein; Rapp Infra, Basel; De Molfetta & Strode, Lugano; Amstein & Walthert, Zürich
2. Rang / 2. Preis: «Scuderia Sangallo»
Graber Pulver Architekten, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; TBF + Partner, Zürich; Balliana Schubert Landschaftsarchitekten, Zürich; Eicher + Pauli Zürich, Zürich; Planwerkstatt Rüegg, Oberglatt
3. Rang / 3. Preis: «Terra»
Boltshauser Architekten, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Staufen Inova, Zürich; IBV Hüsler, Zürich; Maurus Schifferli, Bern; Lemon Consult, Zürich; Gruner, Zürich; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; IBG, Winterthur; AFC Air Flow Consulting, Zürich
4. Rang / 4. Preis: «Stadtwerkstatt»
Christ & Gantenbein, Basel; Conzett Bronzini Partner, Chur; Rapp Indu­s­trieplaner, Münchenstein; Rapp Infra, Basel; Müller Illien Landschafts­architekten, Zürich; Rapp Architekten, Münchenstein; Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich; Eicher+Pauli Liestal, Liestal

FachJury

Hansueli Rechsteiner, Stadtbaumeister, Stadt St. Gallen Hochbauamt (Vorsitz); Werner Binotto, Kantonsbaumeister, Kanton St. Gallen Hochbauamt; Joseph Schwartz, Dr. sc. techn. Bauingenieur; Raphael Frei, Architekt, Zürich; Axel Fickert, Architekt, Zürich; Matthias Krebs, Landschaftsarchitekt, Winter­thur; Roland Ledergerber, stv. Kantonsbaumeister, Kanton Thurgau Hoch­bauamt (Ersatz)

SachJury

Maria Pappa, Stadträtin, Stadt St. Gallen Direktion Planung und Bau; Peter Jans, Stadtrat, Stadt St. Gallen Direktion Technische Betriebe; Ralf Eigenmann, Unternehmensleiter VBSG; Marco Letta, Unternehmensleiter sgsw; Peter Wenig, Nachhaltigkeit und Energie, UE; Marco Sonderegger, Unternehmensleiter ESG (Ersatz)

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