Ka­the­dra­len des All­tags

90 Jahre nach Eröffnung des ersten Streckenabschnitts vollendet ein 2.2 km langer Lückenschluss in der historischen Mitte die Berliner U-Bahnlinie 5. Drei neue Bahnhöfe setzen mit ganz unterschiedlichen Konzepten architektonische Akzente im Untergrund.

Date de publication
07-01-2021

Vielleicht muss erst einmal das Ärgerliche zur Sprache kommen, bevor man sich dem Erfreulichen zuwenden kann: Wer meint, dass an der Berliner Museums­insel, in Nachbarschaft der Bauten Schinkels, Stülers und anderer preussischer Meister, ganz selbstverständlich auch bei Verkehrsbauwerken Augenmerk auf die Gestaltung gelegt werde, der irrt sich.

Eigentlich sollte für Bauaufgaben in so prominenter Lage ein Wettbewerb selbstverständlich sein; doch in Deutschland werden immer weniger Konkurrenzen ausgelobt, vor allem immer weniger offene Wettbewerbe. Und seitens der öffentlichen Hand übt niemand ernsthaft Druck aus auf öffentlich-rechtliche Unternehmen wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Gestaltung ihrer Grossvorhaben über Wettbewerbe zu entscheiden.

Es ist allen voran der Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, Schweizer Architektin und Stadtplanerin, zu verdanken, dass auf dem neuen und vorerst letzten Abschnitt der Berliner U-Bahnlinie 5 überhaupt erwähnenswerte Architektur entstehen konnte. Denn nur Lüschers energische Intervention hielt die BVG 2008 davon ab, die drei neuen Bahnhöfe von der eigenen Bauabteilung sowie unter Beiziehung einiger Hausarchitekten planen zu lassen. Letztere sind technikaffine Büros, deren Kernkompetenz jedoch nicht unbedingt im Bereich architektonischer Visionen liegt.

Ein Architekturwettbewerb fand dennoch nicht statt. Doch Regula Lüscher setzte gegenüber dem Unternehmen durch, dass einige Büros, die Preisträger beim 1995 durch­geführten Wettbewerb für den Bahnhof Weberwiese der U5 oder in späteren Konkurrenzen für Verkehrs­bauten gewesen waren, Vorschläge unterbreiten durften.

An drei Büros ergingen daraufhin Gestaltungsaufträge: Collignon Architektur zeichnete verantwortlich für die Station Rotes Rathaus, Max Dudler Architekten entwarfen den Bahnhof Museumsinsel, und das Büro Ingrid Hentschel – Prof. Axel Oestreich Architekten plante den Umsteigebahnhof Unter den Linden. Entstanden sind drei Stationen mit grundverschiedenem Konzept und Ausdruck. Sie folgen der Idee eines U-Bahnhofs als individuell gestaltetem Ort.

Daneben bestand in der Baugeschichte der Berliner U-Bahn stets das Konzept von Thema und Variation – also durchgängiger, einheitlicher Elemente, die von Station zu Station eingebettet wurden in wechselnde Farb- und Raumkonzepte. Am eindrucksvollsten gelang das bei der 1930 fertiggestellten U-Bahn-Linie 8, die von Alfred Grenander auf gesamter Länge mit hochwertigen keramischen Kacheln versehen wurde, die sich in erster Linie durch ihre intensive Farbigkeit unterscheiden.

Rotes Rathaus: starke Pilze

Oliver Collignons Entwurf für den Bahnhof Rotes Rathaus ist dezidiert zeitgenössisch. Blickfang der doppelgeschossigen, weitläufigen Bahnsteighalle sind sieben hohe Rundstützen zwischen den Gleisen. Ein weisser, heller Kern und die ihn umhüllende dunkle Schale lautet das dem Bahnhof zugrunde liegende Thema – d. h., Bahnsteige, Stützen und Decke sind strahlend weiss, während die Rückwände und Bahnsteigzugänge mit schwarz glänzenden, terrazzoartigen Werksteinplatten verkleidet wurden.

Museumsinsel: 6662 Lichtpunkte

An der Museumsinsel oblag es dem Büro Dudler Architekten, dem Rohbaukörper eine innere Gestalt zu geben. Dudler entschied sich für eine Hommage an den von ihm verehrten Baumeister Karl Friedrich Schinkel. Immerhin befinden sich einige Schlüsselwerke Schinkels nur wenige Schritte entfernt vom U-Bahnhof. Für die gewölbte Decke über den beiden Gleisen adaptierte der Schweizer Architekt jenen berühmten Bühnenhimmel, den Schinkel 1816 für eine Inszenierung von Mozarts «Zauberflöte» entwarf: Unzählige Sterne prangen an einem kräftig ultramarin leuchtenden Nachthimmel.

Unter den Linden: unprätentiöse Monumentalität

Axel Oestreich, Partner des Büros Hentschel – Oestreich Architekten, ist Meister einer beiläufigen, unpräten­tiösen Monumentalität. Geschult an zahlreichen Verkehrsprojekten wie dem Berliner Bahnhof Gesund­brunnen und einer Reihe von U- und S-Bahnhöfen entwickelte er das Talent, deren vielfältige technische Ausstattungen – Fahrtreppen, Aufzüge, Möblierungen usw. – so souverän einzubinden, dass sie sein Raumkonzept stärken, anstatt den Raum zuzustellen.

Sein weitläufiger Kreuzungsbahnhof Unter den Linden lässt ebenfalls klassizistische Anklänge spüren – jedoch weniger zur klassizistischen Phase um 1800, sondern als Bezugnahme auf Raumkonzepte und Materialvorlieben des frühmodernen Neoklassizismus eines Peter Behrens oder Bruno Paul um 1910.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in TEC21 1–2/2021 «Ab durch die Mitte!»

Anknüpfen an die Granden

So grundverschieden die Herangehensweise der drei Büros war – mit den drei neuen Stationen besinnt sich Berlin auf einen baulichen Anspruch, mit dem die Verkehrsbetriebe BVG lang nichts am Hut hatten, der jedoch vielversprechend anknüpft an Grössen wie Alfred Grenander, den Pionier der Berliner U-Bahn-Architektur, oder den fantasievollen Esprit eines Rainer G. Rümmler in der West-Berliner Nachkriegsära.

Literatur

BVG Projekt GmbH, Ein neuer Tunnel durch Berlin – die U5 zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor, mit Fotografien von Antonio Reetz-Graudenz. Berlin 2020, 160 S., ca. 150 Fotos, ISBN 3897738775, 20 Euro.

Eine sehenswerte Dokumentation über Max Dudlers Bahnhof und die ingenieurtechnische Seite des Projekts steht in der RBB-Mediathek: www.rbb-online.de/doku/u-w/u-bahn-unterm-sternenhimmel.html

Das Bautagebuch der BVG-Projektgesellschaft bietet eine umfangreiche Chronik und zahlreiche Fotos aus der Bauphase: www.projekt-u5.de/de/bautagebuch/2019/

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