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Kommentar

Inspiration, Referenz oder Plagiat? Ein Kommentar von TEC21-Chefredaktorin Judit Solt zu Vorbildern in der Architektur – aus aktuellem Anlass.

Date de publication
20-12-2020

Als das Bild rechts auf meinem Monitor auleuchtete, war ich verblüfft: Was ist mit der Monte-Rosa-Hütte passiert? Warum hat man die Fassadenelemente aus Aluminium durch solche aus Kupfer ersetzt? Die Hütte wurde erst 2009 in Betrieb genommen, und die Ausführungsqualität liess keine so baldige Instandsetzung erwarten. Gerade wollte ich mich über den grassierenden Baupfusch empören, da schaute ich genauer hin. Und stellte fest: Das ist gar nicht die Monte-Rosa-Hütte.

Sondern … was genau? Eine andere, ebenfalls kristallförmige Alphütte aus Holz mit Metallhülle, PV-Elementen, einem schlitzartigen Bandfenster, kleinen Lochfenstern und Anspruch auf einen nahezu energieautarken Betrieb. Eine Nachahmung? Ein Plagiat? Aber kann man in der Architektur wirklich von Plagiat sprechen? Gehört es nicht zum Wesen jeder Kultur, und somit auch der Baukultur, dass jedes Werk sich auf frühere Werke bezieht und deren Gedankengut weiterent­wickelt?

Grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn ein vorbildlicher Bau wirklich als Vorbild dient und anderswo – mit An­passungen, die der neue Kontext erfordert – repliziert wird. Geschieht das oft genug, wird aus dem Original eben ein Typus, den die Folgebauten variieren und neu interpretieren. Arbeiten nicht die besten Architekturschaffenden mit Referenzen? Wurden nicht Dutzende von griechischen Tempeln, gotischen Kathedralen und haussmannschen Häusern im Copy-and-Paste-Prinzip errichtet? Na also. Warum nicht auch eine heutige Berghütte?

Trotzdem, es half nichts. Ich wurde die Irrita­tion nicht los. Der Teufel, befand ich, muss mal wieder im Detail stecken, in diesem Fall also in der konkreten Umsetzung. Die Schwarzensteinhütte – so heisst der 2018 eröffnete Bau in den Südtiroler Alpen – ist ja mit dem Vorbild nicht identisch, sondern wurde den neuen Gegeben­­heiten angepasst.

Und ich fragte mich: Welche architektonischen Vorteile bringen diese Anpassungen? Oder anders: Welcher bau­kulturelle Mehrwert resultiert daraus, dass die Architekten den Urtypus genau so und nicht anders interpretiert haben?

Wer diese Fragen vertiefen oder einfach nur die fünf Unterschiede suchen mag: TEC21 41/2009 war dem Neubau der Monte-Rosa-Hütte gewidmet, Informationen zur Schwarzensteinhütte finden sich reichlich online.

Die Beiträge aus unserem Heft zur Monte-Rosa-Hütte hier abrufbar:
«Zukunftshütte»
«Holzkristall»
«Höhentraining»

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