Gross­baus­telle am Ver­kehrsk­no­ten

Vor allem die vielfältigen Geometrien des neuen ringförmigen ­Gebäudekomplexes The Circle am Flughafen Zürich stellten die Ingenieure vor knifflige Aufgaben. Doch auch die spezielle Lage am Flughafen Zürich hatte ihre Tücken.

Date de publication
09-07-2020

Auf 30 000 m2 Grundfläche entstehen am Flughafen Zürich sechs miteinander verbundene Gebäude (vgl. «Vom Barackendorf zur überhängenden Glasfassade»). Der Flugbetrieb beeinflusste sowohl die Planung als auch den Bau der Gebäude: Die maximale Höhe ist abhängig von den Strahlen der Mess- und Funkgeräte. Zu hohe Objekte würden die Funksignale der Flugsicherung und der Flugzeuge beeinträchtigen.

Damit der Funk abgestimmt werden konnte, musste jeder Kran im Voraus bei der Flugsicherung angemeldet werden. Nach Feierabend wurden die Kräne jeweils in dieselbe Richtung positioniert, um möglichst wenig Interferenzen zu verursachen. Bei dichtem Nebel am Flughafen musste jeweils das Peilsystem angepasst und durften die Kräne nicht mehr bewegt werden, wieder um den Funk nicht zu stören. In den Berechnungen für den Baufortschritt waren solche «Ausfalltage» berücksichtigt.

Über die Kantonsstrasse geneigt

Die Fassade Richtung Flughafen ragt weit über die Stras­senfläche hinaus. Die Kantonsstrasse musste während der Bauzeit vollspurig in Betrieb bleiben. Die Ingenieure errichteten eine Schutzwand entlang der ­Fassade, um die Verkehrsteilnehmer vor herabfallenden Gegenständen zu schützen.

Die Glasfassade besteht aus einer geometrisch stetig wechselnden Bogenform. Hinzu kommt, dass sich die Neigung der Fassade entlang der Gebäudeabwicklung ebenfalls laufend ändert. Zum Lastabtrag wurden entlang des Deckenrands parallel zur Fassadenkon­struktion geneigte hochfeste Stahlbetonfertigteilstützen verbaut. Die Neigung dieser Stützen gegen die Vertikale folgt der Fassadengeometrie und beträgt zwischen 11° und 19°.

Der so entstehende Überhang der Fassade vom Boden bis zur Dachfläche, das heisst in 38 m Höhe, beträgt bis zu 13 m. Diese Auskragung ermöglicht eine hohe Ausnutzung der Grundfläche. Um die Spannweiten der Stahlbetondecken zu optimieren, wurde in den oberen Geschossen eine weitere vertikale Innenstütze reali­siert, die sich bei etwa zwei Dritteln der Gebäudehöhe von der geneigten Stütze verzweigt.

Für die Gebäudeaussteifung stellen die zusätzlichen Horizontalkräfte infolge der geneigten Fassadengeometrie eine Besonderheit dar. Die Kräfte wirken zum überwiegenden Teil dauerhaft. Sie werden über die Deckenscheiben zu den Aussteifungskernen geleitet. Diese wurden so ausgebildet und bemessen, dass die Horizontallasten mit den daraus über die Höhe resultierenden Zusatzmomenten, den weiteren Aussteifungslasten wie z. B. Wind und Erdbeben sowie die Vertikallasten sicher bis in den Baugrund abgetragen werden.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21 20/2020 «The Circle: Megaprojekt im Landeanflug».

Herausfordernd waren zudem die Gebäudeverformungen – sowohl im Hinblick auf die Gebäudenutzung als auch für die Montage und Verformung der Fassadenkonstruktion: Infolge der dauerhaft vorhandenen Horizontalkräfte treten in den Kernwänden auf der der geneigten Fassade abgewandten Seite in Teilbereichen bereits vertikale Zugkräfte auf. Dies würde zu einem ­Steifigkeitsabfall der Aussteifungselemente und somit zu einer Vergrösserung der Gebäudeverformungen führen.

Die Kerne wurden hier mit einer vertikalen Vorspannung ausgeführt. Man entschied sich für vorinjizierte Stabspannglieder Typ 36 WR und 40 WR mit Ripprohr und Koppelelementen, die in einem Hüllrohr ohne Verbund geführt wurden, um lokale Überbeanspruchungen besonders infolge Erdbebeneinwirkung auszuschliessen.

Um eine möglichst steife und rotationsarme Fundation zu erhalten, wurden – abgestimmt auf den Baugrund – bis zu 6 m hohe Fundationsriegel ausgeführt, die die wirksame Grundfläche der Aussteifungskerne vergrössern. Somit können die Lasten auf die jeweils darunter angeordnete Pfahlgruppe verteilt und eine hohe Steifigkeit erzielt werden. Zur Minimierung der Rissbildung wurde zusätzlich ein Lit­zenspannsystem mit nachträglichem Verbund eingebaut.

Auf den Bahntunnel gebaut

In der Baugrube fand man das ganze Tiefbau-Reper­toire: Bohrpfahlwände, Spundwände, Nagelwände und Rühlwände. Schon vorher da war der SBB-Tunnel ­«Hagenholz», der Zürich und Winterthur verbindet. Er unter­quert das Gebäude H11 an der Nordspitze. Durch die veränderte Belastung des Tunneltragwerks war zunächst eine statische Überprüfung und danach die Planung von Verstärkungs- bzw. Entlastungsmassnahmen nötig. Ausserdem sollte der Neubau komplett vom bestehenden Tunnel entkoppelt werden, um keinen Schall und keine Erschütterungen der Bahn in den Hochbau zu übertragen.

Sämtliche Lasten aus dem Neubau werden mit 14 vorgespannten Riegeln über dem Tunnel abgefangen und über seitliche Ortbetonpfähle mit einem Nenndurchmesser von 1.50 m und einer Länge von ca. 30 m im Ab­stand von mindestens 1 m am Tunnel vorbei­geleitet. Dabei geben die Pfähle die Lasten erst unterhalb des Bahntunnels in den Baugrund ab – zwischen Pfahlkopf­anschluss am Riegel und Unterkante Tunnel wurden die Pfähle mit einem Mantelreibungsausschluss erstellt.

Die Abfangriegel wurden direkt auf den Deckel des Bahntunnels betoniert – getrennt durch eine 10 cm starke und wasserlösliche Kartonmatte. Diese diente als verlorene Schalung und wurde bewässert, sobald die Riegel vorgespannt waren. Kaum hatte sich die Matte zersetzt und war ein Hohlraum zwischen Tunnel­decke und Betonriegel geschaffen, konnten die Riegel die volle Last übernehmen und sich im 10-cm-Hohlraum verformen – der Tunnel war vor unzulässigen Mehr­lasten befreit.

Vor Mehrlast war der Tunnel zwar zu schützen, doch die bestehende Auflast war unverzichtbar. Der ursprünglich mit 6 m Überdeckung erstellte Tunnel stand vor Baubeginn des Gebäudekomplexes nämlich unter Auftrieb. Infolge des lediglich ca. 1.50 m betragenden Abstands zwischen Tunneldecke und Gebäudesohle war die Auftriebssicherheit nicht mehr gegeben.Als neue Auflast wurde auf der Tunneldecke zwischen den einzelnen Abfangträgern ein Füllbeton mit 30 % höherem spezifischen Gewicht eingebaut.

Die Rückseite sehen nur die Fuss­gänger

Auf der Seite des Butzenbüelhügels – also zum Park hin – werden die grossen Volumen in kleinere Einheiten aufgegliedert. Es gibt unterschiedliche Gebäudehöhen, Vor- und Rücksprünge, Terrassen und Dachgärten, wodurch auch hier kaum ein Bauteil des Tragwerks dem anderen gleich ist. Die Stützenformen und Anschlussdetails verändern sich geometrisch laufend. Jede Geschossdecke ist ein Unikat, Aufwand sparende Wiederholungen für die Planung gab es keine.

Betrachtet man die einzelnen Gebäude aus den Gassen heraus, fällt der nach oben hin kleiner werdende Stützenraster auf. Ein architektonisches Gestaltungselement, das der Statik im Grundsatz widerspricht. Während im Erdgeschoss oft ein Raster von 5.4 m vorhanden ist, halbiert er sich nach oben im Extremfall bis auf 67.5 cm Breite. Auf jeder Etage war eine statisch optimierte Stützenabmessung gefragt. Man untersuchte den Lastabtrag in der Fassadenebene mit der abfangenden Wirkung von Decken und Deckenunterzügen für die realitätsnahe Bestimmung der einzelnen Stützenlasten.

Weil die Stützenbreite für alle Gassen- und ­Hügelfassaden einheitlich mit nur 200 mm vorgegeben war, variiert nur die Stützentiefe. Die sich ergebenden Abmessungen von 200 mm bis 900 mm verhalten sich über die Höhe gegenläufig zum Rastermass. Insgesamt wurden für das Tragwerk des Circle rund 15 000 vor­fabrizierte Stützen geplant und verbaut.

Das Nutzungskonzept sieht in den ersten vier Geschossen entlang der Gassen die Module von «Brands & Dialogues» vor. Einige dieser Bereiche sind als viergeschossige Lufträume gebaut, damit die Mieteinheiten individuell ausgestaltet werden können. Weite Fassadenbereiche im Innern des Gebäudekomplexes weisen deshalb viergeschossige Stützen von rund 14 m Höhe auf, die in dieser Länge fabriziert, transportiert und versetzt wurden. Gegen Ausknicken der sehr schlanken Stützen wirken horizontale Fassadenriegel in Ortbeton. Sie sind in der Regel an den verbleibenden Deckenfragmenten der Lufträume angebunden, die wiederum an die Kernwände anschliessen.

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