«Da ha­ben wir rea­li­siert, was noch kommt»

Was bedeutet es, in Zeiten der Pandemie 167 laufende Projekte zu betreuen? Marco Waldhauser, Geschäftsführer von Waldhauser + Hermann AG, berichtet über den Arbeitsalltag seines Büros.

Date de publication
19-04-2020

Espazium: Seit mehreren Wochen sind die Schulen geschlossen und das öffentliche Leben weitgehend stillgelegt. War Ihr Büro auf diese Situation vorbereitet?

Marco Waldhauser: An sich ja. Wir haben schon vor einigen Jahren ein Homeoffice-Reglement eingeführt und die technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Allerdings hat kaum jemand die Möglichkeit genutzt, konsequent zu Hause zu arbeiten.

Ernst wurde es, als die Basler Fasnacht abgesagt wurde, also eine Woche vor den einschneidenden Massnahmen des Bundesrats: Da haben wir realisiert, was noch kommt. Alle Mitarbeitenden wurden angewiesen, abends jeweils so nach Hause zu gehen, dass sie ab dem nächsten Tag zu Hause arbeiten könnten. So kam es dann auch, allerdings etwas gestaffelt.


Klappte das wirklich von einem Tag auf den anderen?

Die Modellierungssoftware, die wir einsetzen, braucht so viel Rechenleistung, dass man damit kaum am Laptop arbeiten kann. Also mussten einige den Desktop-Computer nach Hause bringen und dort einrichten. Das hat unseren IT-Mitarbeiter eine Zeit lang sehr beschäftigt, auch wenn die Installation pro Gerät nur wenige Stunden gebraucht hat.

Wir haben eine Freiwilligenliste gemacht, wer zu Hause arbeiten mag – ca. 75% der Belegschaft war dafür. Zu diesem Zeitpunkt war die Geschäftsleitung noch im Büro. Aktuell sind nur noch 8 bis 10 Personen dort, die anderen ca. 40 im Homeoffice, auch ich. Nach einer kurzen Einarbeitung hat sich alles gut eingespielt, die Feedbacks der Mitarbeitenden zu Effizienz und die Produktivität stimmen uns zuversichtlich.


Wie ist die Zusammenarbeit mit so vielen Beteiligten organisiert?

Für die Kommunikation haben wir uns für MS Teams entschieden, ein cloudbasiertes Tool, das im MS-Office integriert ist. Die Software hat sich bewährt: Seit dieser Fasnachtswoche bin ich physisch an kein einziges Meeting mehr gegangen. Geharzt hat es anfangs ein wenig mit anderen, die hinkten teilweise technisch hinterher. Aber mittlerweile haben sich alle daran gewöhnt.

Unsere Wochenplanung für die Auslastung haben wir auf eine tagesscharfe Arbeitsplanung mit Zieldefinitionen erweitert. Dieses Bottom-up-Instrument setzt auf Eigenverantwortung und soll helfen, sich selber zu organisieren. Bisher haben wir gute Erfahrungen damit gemacht.


Welche Vor- und Nachteile hat diese Arbeitsweise?

Es ist eine grosse Chance zu lernen, wie man die eigene Arbeit selbstständig und eigenverantwortlich strukturiert. Auch die Digitalisierung der Kommunikation hat Vorteile: Unsere Telefon- und Videokonferenzen sind in der Regel effizient, und wir sparen uns das viele unnötige Reisen. Das wollen wir in Zukunft beibehalten und mehr Besprechungen ohne physische Präsenz durchführen.

Auch für die interne Kommunikation haben wir die Mitarbeitenden angewiesen, sich nicht gegenseitig anzurufen, sondern eine Besprechung in Teams zu planen. So sind alle vorbereitet, und die Anrufe, die unterbrechen und ablenken, fallen weg.


Und die Kehrseiten?

Klar die soziale Distanz. Wir vermissen uns gegenseitig, und der «beiläufige» Austausch fehlt. Und was mich betrifft: Weil ich fast den ganzen Tag in digitalen Konferenzen sitze, fehlen mir körperliche Bewegung und frische Luft. Früher hat sich das einfach ergeben, wenn man irgendwo hin musste.


Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Pandemie für Ihr Büro?

Die Planerbranche ist gegenüber anderen privilegiert. Unsere Baustellen laufen bis dato alle, wenn auch mit Einschränkungen. Allerdings wurde neulich ein erstes Grossprojekt von uns sistiert. Das trifft uns hart: Wenn ein Planungsteam von fünf Personen ohne Arbeit dasteht und das Projekt vielleicht ein halbes Jahr sistiert bleibt, bedeutet das sofort Hunderttausende von Franken von Honorarausfall. Ein kleineres Projekt wurde ebenfalls gestoppt, weil der zuständige Gemeinderat sich nicht treffen konnte, aber das hat sich nach zwei Wochen gelöst.

Momentan geht es uns also vergleichsweise gut, und wir haben keine Kurzarbeit eingeführt. Das würde sich ernst ändern, wenn allenfalls weitere Aufträge sistiert würden, oder wenn die Baustellen geschlossen würden und unsere Fachbauleiter ohne Aufgabe dastünden. Mehr Sorge bereiten mir die Langzeitwirkungen: Ich erwarte ein schlechtes Jahr 2020, und auch 2021 wird hart.


Wie beurteilen Sie die Unterstützung durch die Berufsverbände wie SIA und usic?

Die usic hat in den ersten zwei Wochen eine unglaubliche Glanzleistung an Engagement und geballter Information hingelegt, genau das, was man als Unternehmer braucht. Das war am Anfang enorm wichtig, weil niemand wusste, wo man sich die nötigen Informationen beschaffen kann. Der SIA war anfangs langsam und zu wenig präsent, jetzt ist auch er proaktiver und informiert fundiert und gut. Das ist eine grosse Aufgabe für die Verbände!


Welche Hilfe erwarten Sie von der öffentlichen Hand?

Für uns Dienstleister ist Kurzarbeit das effektivste Mittel, um rasch reagieren zu können. Das ist aber eine kurzfristige, maximal mittelfristige Lösung. Wenn nächstes Jahr eine Rezession kommt, braucht es andere Ansätze – ein Konjunkturpaket, antizyklisches Verhalten, Investitionen. Der SIA und die KBOB haben sich in diese Richtung ausgesprochen: Projekte der öffentlichen Hand sind unbedingt weiterzuführen. Jetzt erst recht.

 

Zur Person:
Marco Waldhauser, Dipl. Ing. HTL SIA REG A, Geschäftsführer

Zum Büro: 
Waldhauser + Hermann AG, Münchenstein

  • Geschäftsleitung: Marco Waldhauser, Roman Hermann, Stefan Waldhauser
  • PartnerInnen: Mario Regis, Margot Matiz, Christoph Borer, Pascal Emhardt
  • Anzahl Mitarbeitende, ev. Niederlassungen: 50 Mitarbeitende, Niederlassung in St. Gallen
  • Anzahl laufender Projekte: 167
  • Anzahl laufender Baustellen: ca. 50
  • Projektauswahl: Sanierung und Erweiterung Stadtcasino Basel, Herzog & de Meuron, 2013–2020; ETH GLC Zürich, Boltshauser Architekten, 2014–2021; Wohnturm Aglaya, Suurstoffi Rotkreuz, Ramser Schmid Architekten, 2015–2020

     

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