Ir­run­gen, Wir­run­gen

Kommentar

Date de publication
04-02-2020

Bevor die Menschheit begann, Städte mit Kanonen zu beschiessen oder aus Flugzeugen zu bombardieren, musste sie ihre Eroberungszüge zu Fuss führen. Deshalb haben frühmittelalterliche Städte verwinkelte Gassen: Die komplizierte Wegführung sollte Angreifer verwirren und Hinterhalte erleichtern. Umgekehrt sorgten Besatzer von Städten immer als Erstes dafür, übersichtliche Verbindungen für ihre Truppen zu schaffen. Die Pariser Boulevards zum Beispiel sind das Werk wechselnder Regierungen im nachrevolutionären Frankreich, um soziale Unruhen mit massiven Militäraufmärschen im Keim ersticken zu können.

In diesem städtebaulich-kulturellen Kontext stellt der ÖV-Knotenpunkt am Bahnhof Bern ein Rätsel dar. Auf den ersten Blick scheint alles klar: hier der Bahnhof, dort der Platz mit Haltekanten für Tram und Bus. Wie kann man sich hier bloss verirren? Doch wer eine bestimmte Haltestelle sucht, stellt entsetzt fest: Die Bezeichnung der Kanten folgt reiner Willkür. Zwischen Platz und Bahnhof sind sie alphabetisch von A bis H geordnet; doch um I zu finden, muss man wieder zurück, an A vorbeigehen und links in die Gasse einbiegen; zu J bis L gelangt nur, wer I ignoriert und A geradeaus passiert; wer M sucht, fragt am besten Einheimische – denn nur die wissen, dass man nach A auf der Höhe von I rechts in die Hauptstrasse abbiegen und vor einem Outdoor-Ausstatter warten muss. N ist um die Ecke; einmal mehr abbiegen, und das Spiel beginnt am Bubenbergplatz wieder neu mit teilweise logisch aufgereihten, teilweise wild verstreuten A bis C, D und E bis F.

Da fragt man sich schon, wozu diese ausgeklügelte Scheinordnung dient. Wer soll in der Bundesstadt in einen Hinterhalt gelockt werden? Die vielen Diplomaten kaum, die reisen mit Flugzeug und Limousine. Touristen sind zu Fuss unterwegs. Nach einer Analyse meines letzten traumatischen Orientierungslaufs in Highheels kam ich zum Schluss, dass wohl meinesgleichen gemeint sind: hektische Reisende aus Zürich, die man entschleunigen und dazu bringen muss, innezuhalten und mit hilfsbereiten Bernerinnen und Bernern zu plaudern. Etwa darüber, dass in Zürich gleich fünf Tram- oder Bushaltestellen «HB» im Namen tragen …

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