Wann ist es zu viel Schnee?

Raumplanerische und bauliche Massnahmen

Wie sind Menschen in Gebäuden vor Lawinen geschützt? Was hilft den Eigentümern zu entscheiden, ob sie das Dach ihres Hauses räumen müssen?

Date de publication
21-02-2019
Revision
21-02-2019
Dörte Aller
Meteorologin, SIA-Verantwortliche Klima / Natur­gefahren

Schneereiche Winter werfen die Frage auf, wie Gebäude und damit der Mensch vor Naturgefahren, die durch Schnee entstehen, geschützt werden können. Dabei sollten vor allem die Schneelast auf Dächern und die Lawinengefahr ins Auge gefasst werden, um die Beschädigung von Gebäuden und die Gefährdung von Personen zu vermeiden.

Schutz vor Lawinen

Gefahrenkarten für Lawinen haben eine lange Tradition. Sie haben dazu beigetragen, dass heute sehr selten Personen in Gebäuden durch Lawinen ums Leben kommen. Durch die Raumplanung werden grundsätzlich keine neuen Gebäude in hoch gefährdeten Gebieten (sogenannte «rote Zonen») erstellt. In blauen Gebieten darf gebaut werden, jedoch müssen Schutzmassnahmen wie eine geeignete Anordnung von Nutzungen der Räume, Öffnungen und Zufahrten, verstärkte Aussenwände oder Lawinenkeile eine angemes­sene Sicherheit gewährleisten.

Der Schutz am Gebäude ist nötig, da Lawinenverbauungen, Schutzwälder und Ablenkbauwerke teuer in der Erstellung und im Unterhalt sind. Der lokale Lawinendienst warnt bei grosser Lawinengefahr, sodass sich Eigentümer und Nutzer frühzeitig aus der Gefahrenzone bringen können. Neben den Lawinen, die sehr ortsspezifisch sind, kann starker Schneefall jedes Dach betreffen.

Wann wird der Schnee auf dem Dach zu schwer?

Die Dachform bestimmt, ob Schnee auf dem Gebäude lastet oder abrutscht. Wenn er abrutschen kann, sollte er dort, wo er auftrifft, keine grösseren Schäden verursachen. Bei über 60° Dachneigung rutscht er ab, das ist aber auch schon ab 25° möglich – je nach Rauigkeit der Dach­oberfläche sogar noch früher. Vordächer oder Vorbauten, Menschen, Autos sind zu schützen oder aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Hauseigentümer sind verantwortlich dafür, die Umgebung ihrer Liegenschaft vor abstürzendem Schnee und Eis zu schützen.

Falls erforderlich, kann der Schnee auf dem Dach mit Schneefängern zurückgehalten werden (Norm 232/1 Geneigte Dächer). Allerdings müssen die Statik wie auch die Einzelbauteile – beispielsweise Solaranlagen – die Schneemenge aushalten können. Wenn es sehr viel schneit, sieht man oft, dass die Dächer vom Schnee befreit werden. Aber ab wie viel Schnee ist das nötig? Sofern die tatsächlich vorhandene Dachschneelast die gemäss Norm SIA 261 anzusetzende nicht überschreitet und die Berechnung sowie die bauliche Umsetzung korrekt durchgeführt wurden, ist ein Einsturz eines Gebäudes unabhängig von der Dachform nicht zu erwarten.

Schneelast ermitteln

Die Norm SIA 261:2014 Einwirkungen auf Tragwerke enthält Angaben dazu, wie viel Schnee ein Dach aushalten sollte: 0.9 kN/m2 sollte ein Gebäude im Mittelland verkraften. Diese Schneelast variiert je nach ­Höhenlage und Standort. Auch die Dachform und die Windexposition (stark Faktor 0.8, geschützt Faktor 1.2) haben einen Einfluss. Ebenso, ob das Dach gedämmt ist oder Schnee durch die Wärme wegschmilzt.

Ein Beispiel: In Davos beträgt die Schneelast für die Planung eines Gebäudes nach Norm SIA 261 6.4 kN/m2 (auf dem Boden). Am 15. Januar 2019 wurde in Davos eine maximale Schneehöhe von 1.4 m gemessen. Zusätzlich wurde die mittlere Schneedichte zu 1.8 kN/m3 bestimmt. Die entsprechende Schneelast berechnet sich zu 2.5 kN/m2. Daraus lässt sich schliessen, dass im Moment ein Abtragen des Schnees nicht erforderlich ist. Die mittlere Schneedichte kann mit einer Schneesonde ermittelt werden, mit der das Gewicht des Schneevolumens in der Sonde gemessen wird.

Heikel in diesem Januar waren Schneeüberhänge, die infolge des starken Winds entstanden sind. Um eine Gefährdung durch abbrechende Schneeüberhänge zu verhindern, sind diese abzutragen.

Entwicklung der ­einzu­planenden Lasten

Bei der Normierung der Schnee­­lasten ist im Lauf der Zeit eine beachtliche Zunahme der Schneelast festzustellen, die bei der Planung be­rücksichtigt werden soll. Die erste schweizerische Norm mit Angaben über Schneelasten wurde 1892 veröffentlicht. Unter gewöhnlichen Bedingungen war eine Schneelast von 0.8 kN/m2 anzunehmen. Im Jahr 1935 wurde die zu berücksichtigende Schneelast in Abhängigkeit von der Höhenlage definiert. Mit zunehmender Anzahl von Messungen des Gewichts der Schneedecke war es möglich, 1989 die Grösse der Schneelast für unterschiedliche Klimaregionen zu definieren. Seither war es nicht mehr erforderlich, die Berechnungsformel anzupassen.

In der Norm SIA 160 von 1989 wurde ein Dachformbeiwert eingeführt. In den Normen von 2003 und 2014 wurde die Berechnung der Schneelast weiter verfeinert. Die Dachschneelast ist oft die massgebende Einwirkung, die bei der Planung eines Dachs zu berücksichtigen ist.

Einplanen und dokumentieren

Eigentümer sollten wissen, ob sich ihr Gebäude in einer Gefahren­zone befindet. Zudem sollten sie das Schutz­konzept und die angenommenen Werte kennen, die für die Planung ihres Gebäudes verwendet wurden. Das ist die wichtigste Vorausetzung, damit Eigentümer beurteilen können, wie sicher ihr ­Gebäude ist und ob sie weitere Mass­nahmen treffen müssen. Die Beschreibung des Schutzkonzepts und der Notmassnahmen in den Bauwerksakten sind hierzu sehr hilfreich.

Schneeschutz dank geprüften Bauteilen

Nicht nur das Dach als Ganzes muss den Schnee tragen, auch die einzelnen Bauteile müssen dazu geeignet sein. Wichtig ist nicht nur, dass sie das Gewicht selber tragen können, sondern dass die Bau­teile, auf denen sie befestigt sind, dies ebenfalls aushalten. So sind bei der Installation von Solarmodulen die Tragfähigkeit der unterliegenden Bauteile zu untersuchen. Zudem sind geprüfte thermische Sonnenkollektoren und PV-Module erhältlich, die besonders hohen Schneelasten standhalten. Der Einbau solcher Kollektoren ermöglicht eine langfristige und nachhaltige Energiegewinnung auch in alpinen Regionen. Schnee führt infolge der reflektierenden Sonnenstrahlung sogar zu einer erhöhten Energieproduktion, sofern die Module nicht eingeschneit sind. Das – schadenfreie – Abrutschen des Neuschnees muss daher bei der Planung einbezogen werden.

Schnee in Zeiten des Klimawandels

Der Klimawandel führt in mittleren und tiefen Lagen zu durchschnittlich weniger Schneetagen. Ob dies zu einer geringeren Schneelast und Lawinengefährdung führt, ist unklar. Denn mit dem wärmeren Klima wird der Schnee nasser und damit schwerer. Darüber hinaus kann es auch weiterhin immer wieder zu schneereichen Wintern kommen.

Schützenswerte gemeinschaftliche Praktik

Der Umgang mit der Lawinen­­­gefahr – das Zusammenspiel von Eigentümern bzw. Bauherren und ­Planern, Bauunternehmern, Versicherungen und Behörden bezüglich planerischer, baulicher und temporärer Massnahmen – wurde von der ­UNESCO Ende 2018 zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt.

Dokumente
Dokumentation SIA D 0260: Entwerfen und Planen mit Natur­gefahren im Hochbau
Schneelast auf dem Dach: Norm SIA 261:2014 Einwirkungen auf Tragwerke
Schneerutsch vom Dach: Norm SIA 232/1:2011 Geneigte Dächer
Schneerutsch und Lawinen am Gebäude: Norm SIA 261/1:2003 Einwirkungen auf Tragwerke – ergänzende Festlegungen
Lawinenverbauungen: Handbuch technischer Lawinenschutz (SIA 3040)

Weitere Informationen
Gebäudeschutz Naturgefahren: www.schutz-vor-naturgefahren.ch
Schnee bei sich änderndem Klima: www.ch2018.ch
Solaranlagen und Schneelast: www.schutz-vor-naturgefahren.ch/unterstuetzung/gepruefte-baumaterialien/schneeschutz.html

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