Über die Norm hi­naus­ge­dacht

Architektur- und Ingenieurpreis erdbebensicheres Bauen 2018

Schadenfrei bei einem Beben nach SIA-Norm und sogar standsicher bei einem Starkbeben sollte das Tragwerk des Roche Bau 1 sein. Mit einem klassischen Skelettbau hat das Planungsteam diese Anforderung vorbildlich erfüllt und wird dafür mit dem Seismic Award 2018 ausgezeichnet.

Date de publication
04-10-2018
Revision
06-10-2018

Der Rheingraben zählt zu den aktivsten Erdbebengebieten im deutschsprachigen Raum. Als die Bauherrschaft mit der Planung des 41-geschossigen Hochhauses auf dem Roche-Areal begann, war ihr bewusst, dass Basel eine stark erdbebengefährdete Zone ist. Um die maximale Sicherheit für die Mit­arbeitenden zu gewährleisten, wurden deshalb die Anforderungen an den Neubau gemeinsam mit dem Planerteam definiert: Das Gebäude soll bei einem Erdbeben gemäss SIA-Norm gebrauchstauglich und bei einem möglichen Starkbeben trag­sicher bleiben.

Basierend auf der geo­lo­gischen Situation und auf Daten des bisher stärksten bekannten Erd­bebens in Basel aus dem Jahr 1356 wurden die Bemessungsgrundlagen entwickelt. Diese übertreffen die gültige Normanforderung bei Weitem und beziehen sich auf ein rund alle 2000 Jahre wiederkehrendes Beben. Tragwerksplaner und Gebäudetechniker diskutierten mit den Architekten deren Entwürfe hinsichtlich Erdbebensicherheit von Beginn an. «Sind alle Fachplaner frühzeitig involviert und wird ein Gebäude durchdacht konstruiert, kostet die Erd­bebensicherheit nicht mehr», betont Martin Stumpf von wh-p Ingenieure.

Designkriterium Erdbeben

Die Geometrie für den Erschlies­sungskern zu entwickeln, in dem die Schächte für Aufzüge, Treppen und Gebäudetechnik untergebracht sind, war eine der anspruchsvollsten ­Aufgaben. Martin Stumpf sagt: «Ein erdbebengerechter Kern besteht nicht nur aus einer Aneinander­reihung von Schächten, er muss ein intelligentes Layout haben, um sich unter Erdbebenkräften duktil verformen zu können. Das Planerteam hat regelmässig die Zusammenhänge der Erdbebensicherheit mit der Kerngestaltung besprochen und so zum Beispiel die statisch sinn­volle Platzierung der aussteifenden Wän­de erarbeitet, die Höhe der Koppelbalken definiert oder die Unterbringung der Gebäudetech­nik­installationen festgelegt. Nur im Dialog konnten wir die Schwach­stellen erkennen und ein funktio­nierendes Kernlayout erarbeiten.» Was die Ingenieure bei dieser Diskussion immer berücksichtigen mussten: Das Tragwerk des 178 m hohen Gebäudes muss unter Windlast ausreichend steif sein, sich aber bei einem Erdbeben möglichst duktil verhalten.

Gutmütige Struktur

Aus Sicht der Tragsicherheit sind beim Roche Bau 1 die hohen Erdbebenlasten massgebend. Für die Gebrauchstauglichkeit ist die Verformung infolge Wind entscheidend, da die windinduzierten Schwingungen für die Nutzer eines Hochhauses sehr unangenehm sein können. Gelöst wurde dieser Widerspruch, indem der Erschliessungskern aufgelöst wurde und die Teilkerne in Querrichtung mit Koppelbalken verbunden wurden, die sich duktil verformen können.

Windkräfte werden von der Struktur elastisch aufgenommen, das bedeutet, dass das Gebäude immer wieder in den Ausgangszustand zurückgeht. Bei grösseren Kräften, wie sie im Fall eines Erdbebens entstehen können, setzt ein gutmütiges Tragwerk die Erdbebenenergie in Verformungsenergie um. Das Ge­bäude verformt sich plastisch, also dauerhaft, bleibt aber standsicher. «Im Fall einer nicht duktilen Kon­struktion müsste erheblich mehr Be­wehrung eingelegt werden, um die hohen Erdbebenkräfte aufnehmen zu können», ergänzt Martin Stumpf. Die Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen würdigt diesen «klassischen und sehr durchdachten Skelettbau»; das 178 m hohe Gebäude erfülle vorbildlich die gestellten Anforderungen hinsichtlich massgebender Wind- und Erdbebenbeanspruchungen.

Erfolgreiches Team

Im Jurybericht wird explizit der Umgang mit den sekundären Bauteilen hinsichtlich Erdbeben­sicherheit lobend erwähnt, insbesondere die erdbebengerechte Ausbildung der Fassade, die an der ETH Zürich auf dem Erdbeben­simulator ge­prüft wurde. Für die Jury ist dies das Ergebnis einer «mustergültigen und frühzeitigen Zusammenarbeit der beteiligten Planer». Im Gespräch betont auch Martin Stumpf die gute Zusammenarbeit und sagt: «Die Bauherrschaft hat sich entschieden, den Roche Bau 2 mit dem gleichen Team zu entwickeln. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, auf bestehendes Wissen aufzubauen, und es ist uns gelungen, die Kerngeometrie weiter zu optimieren. Wir werden für den Erschliessungskern des 205 m hohen Roche Bau 2 ungefähr die gleiche Menge Beton und Be­wehrung benötigen wie für den Kern des Bau 1.»

Aufgrund der engen Platzverhält­nisse mitten in Basel war eine Fuss­aufweitung nicht möglich. Mehr über die Gründung des Roche Bau 1 lesen Sie in «Basels neues Hochhaus auf festem Grund», TEC21 19/2014.


Seismic Award

Die Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen ver­gibt  in diesem Jahr zum fünf­ten Mal den Seismic Award – Architektur- und Ingenieurpreis erdbeben­siche­res Bauen. Neben dem Sieger­projekt, dem Bürohochhaus Roche Bau 1, wurden die Pro­jek­te Bürogebäude Unterstrasse – ­Nuovo edificio, St. Gallen (vgl. «Ästhetische Effizienz», TEC21 36/2018) und Surélévation – Sé­che­­ron, Genf (vgl. «Zweites Le­ben», TEC21 15/2018) von der Jury lobend erwähnt.

Weitere Informationen auf www.baudyn.ch

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