Nach der Dürre kommt die Flut

Hochwassernotstand in Kalifornien

Am Oroville Dam in Kalifornien haben sowohl der Abflusskanal als auch die Hochwasser-Notentlastung versagt. Die Überflutung ganzer Städte drohte, Zehntausende von Menschen wurden evakuiert. Die Pannen waren zumindest teilweise absehbar.

 

Date de publication
16-03-2017
Revision
30-06-2017

Fünf Jahre herrschte in Kalifornien Dürre. Das Wasser wurde rationiert und entsprechend teuer, die Bewässerungsanlagen an öffentlichen Gebäuden abgestellt und ganze Rasenanlagen mit Wüstenpflanzen ersetzt. Nun hat es seit Dezember 2016 bis in den Februar hinein so viel geregnet wie schon lang nicht mehr: mindestens 15 Tage, Ende Februar allein fünf Tage am Stück. Das ist ungewöhnlich – normalerweise regnet es gerade einmal drei Tage im ganzen Jahr – und führte zu verschiedenen katastrophenartigen Szenarien. In einigen Städten wie San Jose in Nordkalifornien wurden 50.000 Personen wegen Überflutungen evakuiert, an anderen Orten mussten die Wasserreservoire der Staudämme erstmals seit Jahren ihre Hochwasser-Notentlastung öffnen, da der Überlaufpegel erreicht war.

Historische Flut 1861

Dass solche Ereignisse in Kalifornien gar nicht so ungewöhnlich sind, mag erstaunen. Sie finden alle 100 bis 200 Jahre statt. Den Ureinwohnern Amerikas war das Phänomen bekannt, und durch ihre genaue Beobachtung des Wetters brachten sie sich rechtzeitig vor den Fluten in Sicherheit. 1861, nach zwei Jahren Dürre, wünschten sich die Goldgräber in Kalifornien sehnlichst Regen. Dieser kam im Dezember 1861 und Januar 1862 – mit viermal mehr Regen als normal. Sacramento stand drei Monate unter Wasser; die Fluten rissen Siedlungen, Vieh und Menschen mit. Grund dafür waren arktische Stürme, die viel Schnee in die Bergkette der Sierra Nevada brachten, und darauf folgende warme Stürme, die die Flüsse anschwellen liessen.

Nach dieser historischen Flut, die den Staat in den Bankrott trieb, wurde Sacramento um ein Stockwerk höher verlegt, indem die ehemaligen Obergeschosse zum Erdgeschoss umfunktioniert und das Strassenniveau mit Backsteinen und Erde aufgefüllt wurde. Zusätzlich wurde das Sacramento-San-Joaquin-Delta mit Dämmen reguliert, und der konstante Wasserfluss ermöglichte ein fruchtbares Anbaugebiet.

Seit einigen Jahren simuliert man mit einem virtuellen ARkStorm-Szenario1 mit dem entsprechenden Regenfall die Überflutungsszenarien in Kalifornien. Die sogenannten «atmospheric rivers» führen regelmässig – und wegen des Klimawandels in Zukunft wohl vermehrt – zu Regenstürmen. Darunter versteht man schmale Ströme von verdunstetem Wasser, die 1600 m über dem Meer mit einer Ausdehnung von über 1000 km mit dem Wetter einher ziehen, Feuchtigkeit vom tropischen Pazifik nach Kalifornien bringen und hier abladen. Der sogenannte «El Nino» ist eine Form davon, und vor ihm wurde bereits im Winter 2015/2016 gewarnt. Seine Regengüsse blieben damals aber aus.

Fehlerhafte Konstruktion

Das eigentliche Drama durch die erneuten Regenstürme Anfang Februar 2017 ereignete sich nördlich von San Francisco am Oroville Dam, dem mit 230 m bisher höchsten Damm in Kalifornien. Am 7. Februar wurde der Abflusskanal geöffnet, um den Pegelstand des Stausees zu regulieren. Doch der Beton des Kanals gab auf einer Länge von über 900 m nach, und es entstand ein riesiges Loch. Daraufhin wurde der Wasserfluss abgestellt, um den Schaden zu begutachten und zu reparieren. Durch den Regen erreichte das Wasserreservoir jedoch schnell seine maximale Kapazität.

Um die Überflutung des Sees zu verhindern und das Loch nicht zu vergrössern, wurde am 11. Februar die Hochwasser-Notentlastung mit Schussrinne geöffnet – zum ersten Mal überhaupt seit der Erbauung vor 50 Jahren. Doch auch dieser Kanal erwies sich als untauglich. Schon seit 2005 hatten Umweltschützer Befestigungsmassnahmen gefordert, die jedoch nie ausgeführt wurden; die Schussrinne brach, und die Wassermassen erodierten auch diesen seitlichen Erd- und Geröllhang unterhalb des Sees. Die Gefahr bestand, dass die Überlaufmauer aus Beton (derjenige Teil der Staumauer, der als Überlauf ausgebildet ist) oder die nebenan gelegene Staumauer des Abflusskanals zusammenbrechen könnten. Wenn dieser Fall eingetreten wäre, und davor hatten die Ingenieure am meisten Angst, wäre eine 9 m hohe Wasserwand unkontrolliert in den Feather River gestürzt und die im Tal liegenden Städte überflutet. Am 13. Februar mussten 188.000 Menschen über Nacht evakuiert werden.

Das Schlimmste ist nicht eingetreten

Um den Wasserstand des Reservoirs zu senken und die Ablaufgeschwindigkeit der herabstürzenden Wassermassen zu drosseln, wurde der Abflusskanal wieder geöffnet, trotz des massiven Schadens, der sich weiterhin vergrösserte. Gleichzeitig wurden grosse Felsbrocken an der oberen Kante der Schussrinne der Hochwasser-Notentlastung deponiert, um eine weitere Erosion zu verhindern. Die Schussrinne wurde trockengelegt und aus der Luft und vom Boden aus Tag und Nacht Sandsäcke und Steine in den erodierten Hang gekippt. Der Regen hörte unterdessen auf, und die evakuierten Menschen konnten nach zwei Tagen wieder nach Hause zurück. Das Elektrizitätswerk unterhalb des Damms war zudem blockiert von all dem Geröll und damit der Wasserablauf wiederum behindert.2

Das Ziel ist nun, den Schaden zu begutachten und herauszufinden, was die Erosion der Hauptabflussrinne verursacht hat. Wie Prof. Blake P. Tullis vermutete, könnte es Kavitationserosion sein, also «tiny bubbles of water vapor that can form in high-velocity water (and) when the bubbles collapse, they create tiny shock waves that are strong enough to damage concrete».3 Erst dann kann entschieden werden, ob der Bestand repariert oder ersetzt, die Hochwasser-Notentlastung mit Beton ausgefüllt muss oder ob beide Kanäle an anderer Stelle gebaut werden müssen.

Anm. der Redaktion: Zu diesem Artikel ist ein Leserbrief eingegangen.
 

Anmerkungen
1 https://pubs.usgs.gov/of/2010/1312/of2010-1312_text.pdf
2  Henry Fountain, K. K. Rebecca Lai and Tim Wallace, «What Happened at the Oroville Dam», New York Times, 13. Februar 2017

Étiquettes

Sur ce sujet