Öf­fent­li­cher Raum im Um­bruch

Europäische Tage des Denkmals

Die Renaissance der Städte und ein boomender Städtetourismus haben ein neues Interesse an öffentlichen Räumen geweckt. Zugleich sind grundlegende Qualitäten dieser Orte gefährdet.

Date de publication
06-10-2016
Revision
06-10-2016

Kaum eine Gestaltungsauf­gabe reflektiert unsere Vorstellungen über das gesellschaftliche Zusammenleben so sehr wie öffentliche Räume. Im Fokus der Debatte standen lange Zeit die Schmuckplätze in den historischen Zentren. Zunehmend geraten aber auch unscheinbare Flächen an den Stadträndern in den Blick. Unter dem Titel «Stadtreparatur durch öffentliche Plätze?» luden die Natio­nale Informationsstelle zum Kultur­erbe NIKE, das Architekturforum Bern und der SIA am 7. September zu einer gemeinsamen Veranstaltung ins Haus der Religionen nach Bern ein. Mark Werren, Stadtplaner bei der Stadt Bern, und Cordelia Polinna vom Urban Catalyst Studio in Berlin diskutierten an einem von der Autorin moderierten Podium, was es braucht, damit öffentliche Räume zu einer hohen Lebensqualität in den Städten beitragen. Anlass waren die Europäischen Tage des Denkmals und das Gartenjahr 2016.

Entscheidend ist nicht nur die Gestaltung, entscheidend ist auch die Aushandlung teilweise divergierender gesellschaftlicher Ansprüche. Wie viel Platz räumen wir dem Auto ein und was sind die richtigen Nutzungen? Stadtplaner Mark Werren machte klar, dass die Gestaltung öffentlicher Räume es nicht beim Entwurf und seiner Umsetzung bewenden lassen sollte; auch das Nutzungsmanagement müsse von Anfang an durchdacht sein und im Betrieb laufend weiterentwickelt werden. Als Beispiel nannte er ­Bewilligungen für die Aussenbestuhlung von Gastronomie und für Events durch die Gewerbepolizei. 

Anonymität ade?

In einer Tour d‘Horizon führte Cordelia Polinna die Vielfalt öffentlicher Räume, die Gefährdung ehemals öffentlicher Qualitäten und die Notwendigkeit eines postfossilen Stadtumbaus vor Augen. Ob urbaner Schmuckplatz, Restflächen im Umfeld von Verkehrsinfrastrukturen, Flächen für Urban Farming oder von Migranten zu Marktzwecken umgenutzte Parks: Die Ansprüche an öffentliche Räume seien mindestens so gross wie ihr Formenreichtum. Zunehmend gebe es auch «Corporate Public Spaces». Angesichts schwindender öffentlicher Mittel entlasten sie zwar die Gemeinde- respektive Staatskasse, werden aber privat unterhalten und kontrolliert und stellen damit grundsätzliche Qualitäten des öffentlichen Raums infrage, zum Beispiel das Demonstrationsrecht.

Ausserdem schränkten die um sich greifende Kameraüberwachung und eine immer bessere Software zur Gesichtserkennung die Anonymität ein, die für den öffentlichen Raum essenziell ist. Wo Menschen zunehmend Angst haben müssten, gefilmt und überwacht zu werden, werden sie über kurz oder lang ihr Verhalten anpassen. Chancen liegen laut Polinna hingegen in der Re­duktion des motorisierten Verkehrs zugunsten von Fussgängern und Velofahrern. Allerdings wirke der zunehmende Lieferverkehr des Onlinehandels in die gegenteilige Richtung.

An der abschliessenden Diskussion nahm das zahlreich erschienene Publikum rege teil. Themen waren Begegnungszonen und Wohn­strassen, die Umfunktionierung von Gassen zu «Autobahnen für den öffentlichen Verkehr», die hindernisfreie Gestaltung öffentlicher Räume und das Potenzial ungenutzter Flächen zwischen Hochhäusern. Mit Blick auf Letzteres zog Mark Werren das Fazit: «Solche Veränderungen müssen Treiber haben – entweder Leute, die da wohnen, oder Anspruchsgruppen. Von selber geht das nicht.»

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