Wolf im Smart-Pelz

Im Smart City Lab auf dem Basler Areal Wolf bieten die SBB und der Kanton Basel-Stadt einen Freiraum für findige Entwickler. KiubX ist einer von vielen Partnern aus den Bereichen Logistik, Mobilität und mehr, die auf dem Wolf fruchtbaren Boden für ihre Ideen finden.

Publikationsdatum
21-08-2020

Auf den ersten Blick ist am Güterbahnhof Wolf nichts Auffälliges auszumachen: ein langes Gebäude mit Laderampen-Zickzack, auf der einen Seite die Gleisstränge, auf der anderen Seite der Lkw-Umschlagsplatz. Erst beim genaueren Hinsehen verrät ein Schild im typischen SBB-Erscheinungsbild, was auf dem Wolf gerade stattfindet: «Smart City Lab Basel».

Dieses Ideenlabor auf Zeit – eine Initiative der SBB und des Kantons Basel-Stadt (Kantons- und Stadtentwicklung) – ist gemäss eigenen Angaben ein Testraum für Ideen, Prototypen und Services in den Bereichen Logistik, Mobilität und mehr. Konkret ist das Lab eine Zwischennutzung des Rampentrakts, bis den Güterbahnhof schliesslich dasselbe Schicksal ereilen wird wie seinesgleichen andernorts schon vor ihm.

Mit dem Wandel der Logistikbranche werden seine nicht länger benötigten Flächen einer neuen Nutzung zugeführt. Der Güterumschlag zwischen der Schiene und der Strasse wird künftig in den «Gateway Basel Nord» verlegt, und auf rund 160 000 m2 Fläche wird mit «Wolf Basel» hier ein neues Quartier entstehen. Zeithorizont: ab 2024.

Bis dahin bieten die Rampengebäude und die umliegenden Flächen jedoch Raum, um an der Stadt der Zukunft zu tüfteln. Mittlerweile knapp zwei Dutzend Projektpartner entwickeln hier ihre Ideen: vom plastikfreien Onlinehandel über die intelligente Arealbeleuchtung bis hin zum Vertical Urban Farming. Im Lab ist nach wie vor Platz für neue Projekte vorhanden. Von der temporären Möglichkeit profitieren beide Seiten: Die Partner finden eine Plattform, um ihre Projekte zu entwickeln, nach aussen zu tragen und sich zu vernetzen, und die Initianten gewinnen Ideen, die sie gegebenenfalls in die spätere Arealentwicklung überführen können.

Einer der Projektpartner ist Jürgen Lange. Gemeinsam mit seinem Team will der Bauingenieur im Rahmen seines Projekts «KiubX» mit mobilen Tiny Houses («Kiubs») die Stadt um eine zeitgemässe Option erweitern. Im Gespräch erzählt er, wo er sein Projekt einordnet und wie es zur Kollaboration mit dem Smart City Lab gekommen ist.

TEC21: Herr Lange, was finden die Leute in den «Kiubs», was sie sonst nicht finden, und weshalb besteht überhaupt ein Bedarf für derartige Systeme im innerstädtischen Umfeld?

Jürgen Lange: Mit dem Wandel von der Industrie 3.0 zur Industrie 4.0 gibt es in vielen Städten temporär ungenutzte Flächen mit Potenzial für eine Zwischennutzung. Wir bieten mit unseren vier unterschiedlichen Modulbauten «Kiubs» darum eine Lösung, um auf solchen Flächen eine zeitweilige Nutzung mit Wohnen, Arbeiten und Gewerbe zu ermöglichen. Viele Menschen sind enttäuscht vom Leben in der Stadt: die Anonymität, das hohe Mietzinsniveau oder die Gefangenschaft in der Konsumspirale machen ihnen zu schaffen. Sie möchten gern reduzierter leben und wieder zur Gemeinschaft zurückfinden. Und das können sie bei uns.

Auch sind Städte gezwungen, sich mit flexiblen Lösungen an die immer rasanter werdenden Entwicklungszyklen anzupassen und auf ungenutzte Flächen zu reagieren. Solche Flächen haben Potenzial, die Stadt weiterzuentwickeln und temporär neu zu beschreiben. International geprägte Städte wie Basel, Zürich oder Genf haben zudem das Anliegen, dass Bewohner mit zeitlich befristetem Aufenthalt besser ins lokale Leben integriert werden. Unser Projekt bietet bei all diesen Themen Hand. Unsere vier Modultypen lassen sich als System bis zu drei Etagen hoch stapeln, einzeln mieten und jederzeit als Ganzes an einen anderen Ort transportieren. Die so entstehenden Siedlungen bieten Platz für Wohnen, Arbeiten (Co-Working), Gewerbe und Gemeinschaft im Garten oder in Aussenräumen mit Begegnungsflächen.


TEC21: Welche Möglichkeiten bietet Ihnen das Lab, und wie ist die Partnerschaft zustande gekommen?

Jürgen Lange: Das Smart City Lab ist ein Glücksfall für uns: Wir können hier unser Pilotprojekt unter realen Bedingungen testen. Die SBB bietet Platz und Infrastrukturen (Ver- und Entsorgungsleitungen), und die kantonalen Ämter waren in allen Belangen hilfreiche Partner und Ratgeber. Wir haben so die Möglichkeit, unsere Idee innert kürzester Zeit und ohne Landerwerb umzusetzen. Letzteres ist ein wichtiger Aspekt, auf den wir auch bei der künftigen Umsetzung unseres Vorhabens bauen. Die noch ausstehende, aber gut vorbereitete Bewilligung vorbehalten, werden wir auf dem Areal ab Anfang 2021 bis Ende 2023 acht Module zu einem System mit Musterwohnungen, Kaffeekiosk, Co-Working-Space und Urban Farming verbauen.

Damit möchten wir die interessierte Öffentlichkeit, aber auch Branchen- und Gemeindevertreter einladen, unser System zu erleben und uns Rückmeldung darauf zu geben. Dieses Feedback ist uns wichtig und hilft uns, die Idee weiter zu entwickeln. Eine tatsächliche Wohnnutzung ist am Lab aber vorerst noch nicht möglich. Allerdings wäre die Zwischennutzung mit unseren Kiubs ein guter Grund, diesen Standort zonenrechtlich weiterzuentwickeln. Die Partnerschaft mit dem Lab ist rein zufällig zustande gekommen: Ich habe die Projektausschreibung gesehen und mich umgehend beworben.

TEC21: Welche technischen Eigenschaften zeichnen die Kiubs aus, und welchen Herausforderungen sind Sie bei Ihrem Pilotvorhaben begegnet?

Jürgen Lange: Die technischen Herausforderungen haben sich auf die fehlenden Standardanwendungen für die Gebäudetechnik beschränkt. Unser System im Passivhausstandard benötigt beispielsweise nur wenig Wärmezufuhr in der kalten Jahreszeit. Die marktüblichen Anlagen wie zum Beispiel Wärmepumpen sind daher leistungsmässig völlig überdimensioniert. Zusammen mit einem Fachmann haben wir uns nun für eine elektrische Bodenheizung entschieden, die unter den gegebenen Umständen mit solarer Energiegewinnung bewilligungsfähig ist.

Konstruktiv greifen wir für die Verkehrsflächen innerhalb der KiubX-Siedlungen auf bewährte Lösungen aus dem Bühnenbau zurück, die Kiubs selbst bestehen aus Brettsperrholz mit Wärmedämmung. In Bezug auf die Kiubs waren uns neben einer einfachen, zur Remontage geeigneten Konstruktion zwei Dinge wichtig: die Umsetzung einer Cradle-to-Cradle-Philosophie mit unbehandeltem Holz und ein standardisiertes Stapelsystem.

Mit den gewählten Materialien ist der 34 m2 grosse Kiub I gerade einmal 15.5 t schwer, lässt sich mit seinen Abmessungen ohne Ausnahmetransport überall hin transportieren und an eine beliebige KiubX-Siedlung anbauen. Und spätestens am Ende seiner technischen Lebensdauer von 40 bis 50 Jahren kann er bedenkenlos und natürlich entsorgt werden.

TEC21: Wie sind die Kiubs rechtlich punkto Baubewilligung gegenüber herkömmlichen Wohnbauten (z.B. Einfamilienhäusern) gestellt?

Jürgen Lange: Unsere Kiubs durchlaufen praktisch den selben Bewilligungsprozess wie herkömmliche Bauten mit gewissen, objektgrössenbedingten Vereinfachungen. Da wir hier an die Ver- und Entsorgungsleitungen der SBB anschliessen dürfen, brauchen wir  aber keine Kanalisationsbewilligung. Generell haben wir von Seiten der zuständigen Ämter viel Wohlwollen und Unterstützung erfahren. Man spürt, dass sich die Politik hier in Basel schon länger mit dem Thema der Zwischennutzung beschäftigt und dies fördert.

TEC21: Welche wirtschaftlichen und emotionalen Aspekte adressieren Sie mit KiubX?

Jürgen Lange: Mit unserem Zwischennutzungssystem wollen wir die Immobilienwirtschaft ergänzen und nicht konkurrenzieren. Wir wollen ein reduziertes und zeitgemässes Angebot für den urbanen Raum schaffen. Sie hatten mich zuvor gefragt, ob ich bei Tiny Houses eine Analogie zu hiesig traditionellen Bautypen wie der Berghütte und dem Ferienhaus sehe und sich daraus eine Nachfrage ableiten lasse. Ich denke, das Bedürfnis nach Tiny Houses hat viel mehr mit dem Wunsch zu tun, den individuell empfundenen Bedrohungen der heutigen Zeit zu begegnen.
Wir möchten die Idee auch nicht allein für uns beanspruchen. Wir sind daran interessiert, dass andere Entwickler und auch Städteplaner ebenfalls mit auf den Zug aufspringen und uns helfen, das System weiter zu entwickeln.

Weitere Informationen zum Projekt KiubX und dem Smart City Lab unter: kiubx.com und smartcitylabbasel.ch

Verwandte Beiträge