Si­sy­phus lässt grüs­sen

In der Schweiz werden neue Spitäler errichtet und bestehende umgebaut. Fertig werden sie nie: Die Entwicklung der Medizinaltechnik, die Aussicht auf eine Million hochbetagte Menschen, der Wille zur Stabilisierung der Gesundheitskosten und der Klimawandel erfordern laufend weitere Anpassungen – und machen selbst Neubauten zu ewigen (Um)baustellen.

Publikationsdatum
16-12-2022

Wie die moderne, auf wissenschaftlicher Forschung basierende Medizin ist auch der moderne Spitalbau eine vergleichsweise junge Disziplin. Zwar gab es auch in der Vergangenheit Gebäude, in denen Kranke lebten: Bereits in der Antike hatten die Römer Pflegeeinrichtungen errichtet, um verletzte Legionäre und kranke Sklaven medizinisch zu betreuen. Im christlichen Mittelalter baute man vor allem entlang von Pilgerwegen sogenannte Hospitale als Schutzräume für verschiedene Gruppen von schwachen, bedürftigen und obdachlosen Menschen, darunter auch Kranken.

Bei manchen Institutionen ging es weniger um die medizinische Versorgung der Kranken als darum, die Gesunden vor einer Ansteckung zu schützen: So wurden Leprakranke in Leprosorien isoliert, die an den Ausfallstrassen nahe der Stadtmauern lagen, Pestkranke in gefängnisartige Pesthäuser weit ausserhalb der Städte verbannt.

All diese Bauten hatten indes wenig mit modernen Krankenhäusern zu tun. Der Bautyp Spital, wie wir ihn heute kennen, kam erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf: Anfangs als System von Pavillons angelegt, wurde er im 19. Jahrhundert auch als kammförmiger Baukörper realisiert; im 20. Jahrhundert kamen neue Formen wie Blockbauten und Hochhäuser hinzu.

Umbauen ohne Ende

Heute, 100 Jahre später, ist Spitalbau in der Schweiz vor allem Umbau. Zwar werden weiterhin neue Krankenhäuser auf der grünen Wiese erstellt, etwa das 2008 fertiggestellte Zuger Kantonsspital in Baar oder das Kinderspital in Zürich. In den meisten Fällen geht es jedoch darum, bestehende Anlagen zu ergänzen, erneuern, verdichten, instand zu stellen und den neusten Erkenntnissen der Forschung anzupassen; dies ist etwa beim Inselspital in Bern oder beim Universitätsspital in Zürich der Fall.

Und selbst bei den eindrücklichsten Neubauten dauert es nur wenige Jahre, bis erste Nachrüstungen erfolgen: Der Erneuerungszyklus von Medizi­naltechnik und Innenausbau beträgt rund zehn Jahre, die Gebäudetechnik ist nach rund 20 Jahren abgeschrieben.

Deshalb sind unsere Spitalareale – ähnlich wie die grossen Bahnhöfe – praktisch immer im Umbau, oft in einem dicht bebauten Kontext und meist unter Betrieb. Dabei erweist sich jeder Eingriff als hoch komplexe logistische Aufgabe, weil es Rochade-Möglichkeiten für die medizinischen Einrichtungen braucht, optimierte Betriebsabläufe umorganisiert werden müssen und die Lärm- und Staubemissionen aufgrund des sensiblen Umfelds auf ein Minimum zu reduzieren sind.

Das Unplanbare planen

Dass diese Dauerbaustellen zunehmend mit digitalen Methoden geplant und bewirtschaftet werden, erstaunt deshalb nicht. Voraussetzung für deren Erfolg ist allerdings, abgesehen von der richtigen Anwendung der neuen Technologien, dass die Bauherrschaft, die Nutzenden und das Planerteam ihre Ziele und Prioritäten frühzeitig definieren, ihre Zusammenarbeit klar strukturieren sowie Prozesse, Termine und Zuständigkeiten festlegen.

Das ist in historisch gewachsenen Institutio­nen – in denen es redundante Strukturen, Abteilungen mit einem hohen Anspruch auf Selbstbestimmung und eine Vielzahl von dominanten Führungspersönlichkeiten gibt – nicht immer selbstverständlich. In Universitätsspitälern bringt das Zusammenspiel mit dem akademischen Betrieb in Lehre, Forschung und Entwicklung zusätzlichen ­Koordinationsbedarf. Bei älteren Anlagen wie dem Inselspital Bern oder dem Universitätsspital Zürich gilt es auch, die Baugeschichte zu berücksichtigen: Der Campus muss unter Einbezug bestehender, teils denkmalgeschützter Gebäude neu gedacht werden. An dichten urbanen Lagen wächst zudem der Druck, die Parks stärker als öffentliche Grünräume zu öffnen.

Bei all diesen Transformationsprozessen erweist sich die lange Planungs- und Ausführungszeit als Problem. Bis ein Vorhaben umgesetzt wird, ist es oft schon veraltet: Die funktionalen und räumlichen Ansprüche an das Projekt ändern sich ebenso schnell wie die technischen und baulichen Möglichkeiten, darauf zu reagieren; insbesondere die Medizinaltechnik entwickelt sich rasant.

Ein klassisches Projektmanagement ist unter solchen Umständen weder möglich noch zielführend. Vielmehr müssen die Beteiligten lernen, das nicht Planbare zu planen, indem sie Änderungen zulassen und laufend einarbeiten. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Bestellerkompetenz der Bauherrschaft.

Diese anspruchsvolle Rolle müssen öffentliche Spitäler seit einigen Jahren selbst ausfüllen: Bis 2009 lag die finanzielle Verantwortung bei den Kantonen, mit Inkrafttreten des revidierten Bundesgesetzes über die Krankenversicherung KVG ging sie jedoch auf die Spitäler selbst über. Diese müssen nun, zusätzlich zu ihrer medizinischen Kernkompetenz, dringend auch die nötigen Kenntnisse in Projekt- und Change-
Management, Planung und Bau erwerben.

Einfacher wird’s nicht

Es ist absehbar, dass der Schwierigkeitsgrad der (Um-)Bauaufgabe Spital in den nächsten Jahren nicht sinken, sondern eher noch steigen wird. Drei Gründe, die jeweils mit dem ökonomischen, sozialen bzw. ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit verknüpft sind, stehen exemplarisch für die Herausforderungen dieser sehr nahen Zukunft.

Erstens steigt mit den Kosten des Gesundheitswesens auch der politische Druck, eine qualitätsvolle medizinische Versorgung weiterhin zu tragbaren Kosten anzubieten. Eine bauliche Folge dieser Bemühungen ist die Konzentration der Leistungen in Zentrumsspitälern. Einige von ihnen sind Neubauten, viele jedoch müssen ihre Standorte unter Berück­sichtigung eines bereits vorhandenen, heterogenen Baubestands weiterentwickeln. Dabei sollen sie einerseits mehr Raum bereitstellen, anderseits aber auch neue betriebliche Möglichkeiten schaffen, um Synergien zwischen den Abteilungen besser zu nutzen und Abläufe zu optimieren.

Die neu erstellten oder transformierten Bauten müssen nicht nur unterschiedlichsten funktionalen, organisatorischen, technischen, medizinischen und sozialen Beziehungen gerecht werden, sondern auch deren vielfältige Interaktionen berücksichtigen. Das Ziel sind flexibel nutzbare, sich wandelnden Bedürfnissen anpassbare Bauten, die auch längerfristig einen effizienten Betrieb erlauben.

In neuster Zeit zeichnet sich dabei ein Trend zu horizontal organisierten, flachen Bauten heraus, teilweise mit aufgesetzten, niedrigen Büro- und Bettentürmen. Standardisierte Räume und einheitliche Prozesse sollen «shared facilities and services» ermöglichen.

Zweitens die demografische Entwicklung: Die Lebenserwartung in der Schweiz ist im internationalen Vergleich hoch, mit den Babyboomern wird in den nächsten Jahrzehnten eine besonders geburtenreiche Generation ins Alter kommen. Eine einfache Hochrechnung ergibt, dass sich die Anzahl der über achtzigjährigen Menschen in der Schweiz bis 2050 verdoppeln wird: von rund einer halben auf eine Million.

Diese eindrückliche Zahl hochbetagter Menschen wird unweigerlich zu einem immer grösseren Anteil von multimorbiden (an mehreren Krankheiten gleichzeitig leidenden) Patientinnen und Patienten führen, deren interdisziplinäre Betreuung medizinisch und räumlich zu koordinieren sein wird. Dazu braucht es nicht nur flexibel nutzbare, anpassbare Räume, sondern ganze Konglomerate von Abteilungen mit übersichtlichen, barrierefreien und vor allem kurzen Verbindungswegen.

Eine räumliche Anordnung, die Sicherheit vermittelt und die Orientierung erleichtert, wird immer wichtiger: Der wachsenden Gruppe rüstiger, gut informierter, mit digitalen Tools bewanderter Seniorinnen und Senioren, deren Beratung teilweise telemedizinisch stattfinden kann, steht eine ebenfalls wachsende Legion verunsicherter oder demenzkranker Menschen mit spezifischen räumlichen Bedürfnissen gegenüber. Die Spitalinfrastruktur muss den Anforderungen einer hochspezialisierten Alters- und Rehabilitationsmedizin besser Rechnung tragen.

Die dritte gewichtige Herausforderung, die sowohl ökologische als auch bauliche und medizinische Implikationen hat, ist der Klimawandel. Dessen Folgen, vor allem die Zunahme von Hitzetagen und tropischen Nächten, gefährden betagte und gesundheitlich geschwächte Personen besonders stark; dem Innenraumklima von Spitälern wird man in Zukunft daher noch höhere Aufmerksamkeit widmen müssen.

Gleichzeitig soll die ganze Baubranche – und eben auch die Spitalbaubranche – dazu beitragen, das Fortschreiten des Klimawandels zu bremsen, indem sie aktiv gegen dessen Ursachen vorgeht. Neben den ökonomischen und sozialen Anforderungen gilt es daher auch, den ökologischen Fussabdruck und die Treibhausgasemissionen des Gesundheitswesens zu senken: Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz.