SIA: Lehr­stun­de in Ge­las­sen­heit

Architekturexport: Export-Meeting von SIA International

Die aktuelle wirtschaftspolitische Lage und der spürbare Protektionismus in Brasilien wirken auf Schweizer Unternehmen nicht gerade einladend. Trotzdem bietet das Land auch für Planer interessante Möglichkeiten, wie das vierte Export-Meeting beim Zürcher Büro Skyline Development zeigt.

Publikationsdatum
22-10-2015
Revision
10-11-2015

Oscar Niemeyer, Lúcio Costa und Lina Bo Bardi kommen Architekten und Stadtplanern beim Stichwort «Brasilien» vermutlich als Erstes in den Sinn − gefolgt allerdings vom Gedanken an Inflation, Korruption, Bürokratie und Protektionismus. Angesichts eines so schwierigen Umfelds sollten gerade ausländische Büros heutzutage wohl eher die Finger von Bauprojekten in Brasilien lassen. Was bewegt neben grossen und renommierten Büros wie Herzog & de Meuron auch kleinere Büros wie Skyline Development, Gastgeber des vierten Export-Meetings, dazu, es trotzdem zu wagen?

Patrick Hüppi, Gründungspartner und Geschäftsführer des Zürcher Büros und Präsident der Sektion Ausland des SIA, nimmt es gleich vorweg: Ohne harte Arbeit und viel Geduld geht es nicht. Neben den politischen und administrativen Hürden sei auch die kulturelle Distanz nicht zu unterschätzen. Hier seien viel Offenheit und Toleranz und ein guter Umgang mit Unterschieden gefragt. Am einfachsten gelinge der Brückenschlag in gemischten Teams aus eigenen Mitarbeitenden vor Ort und einhei­mischen Mitarbeitenden.

Dieser Einschätzung pflichtet Markus Widmer bei, ein guter Freund und an diesem Abend Gast von Patrick Hüppi. Widmer hat in seiner früheren Funktion bei Herzog & de Meuron zahlreiche Projekte im Ausland realisiert, auch in Brasilien. Die Kontraste seien nicht nur zwischen der Schweiz und Brasilien sehr gross, sondern auch innerhalb Brasiliens, ergänzt Widmer − und spricht damit das grosse so­ziale Gefälle auf engstem Raum und die kulturellen Kontraste zwischen Stadt und Land an: zähe Verhandlungen in den Grossstädten, Offenheit für Neues in ländlicheren Regionen.

Neben einer detaillierten städtebaulichen Betrachtung stehe deshalb auch eine sorgfältige sozial­räumliche Analyse am Anfang jedes Projekts; ausserdem sei es wichtig, Politik und Behörden möglichst frühzeitig einzubeziehen. Brasilien möge gegenüber ausländischen Produkten und Dienstleistungen zwar protektionistisch daherkommen, dafür gebe es oft weniger Probleme mit Bewilligungen, da im Vergleich zur Schweiz weniger Auflagen und Einsprachemöglichkeiten bestünden.

Letztendlich hänge die Realisierung baulicher Projekte ohnehin von einem überzeugenden «Proof of Concept» und einer soliden Finanzierung ab – idealerweise gesichert durch Schweizer Grosskunden, Stiftungen und Mäzene. Weiter seien eine zentrale Koordination und eine klare Arbeitsstruktur für die effektive Projektabwicklung unabdingbar, erst recht in Brasilien, führt Patrick Hüppi weiter aus.

«Hände weg von der Ausführung»

«Aber lassen Sie die Hände von der Ausführung!», mahnt der Architekt, «Auch wenn dies Schweizer Planern schwerfällt: Lieber den Job einem vertrauenswürdigen lokalen Partner überlassen als einen komplexen und langwierigen Rechtsstreit riskieren, erst recht in einem fremden Rechtssystem.» Die Kompetenzen von Architekten seien in Brasilien ohnehin – etwas salopp gesagt – auf das Abliefern von Skizzen beschränkt. «Wir Architekten sind hier in der Schweiz vergleichsweise im Paradies!», ergänzt sein Kollege Markus Widmer.

Dafür liessen sich an exotischen Standorten wie Brasilien auch Projekte entwickeln, von denen Schweizer Architekten und Ingenieure nur träumten, z.B. durch das freie Konstruieren ohne Sorge um Wärmebrücken. Aufs Ganze gesehen komme für ihn das Planen und Bauen in Brasilien einer wohltuenden «Lehrstunde in Gelassenheit» gleich, meint Markus Widmer abschliessend. Mit diesem Votum leitet er zum ebenso gelassenen brasilianischen Ausklang über – mit Caipirinha und Picanhas (grillierte Rindshuft) auf der büroeigenen Dachterrasse von Skyline Development.


SIA-Export-Meeting

Mit dem vierten Export-Meeting wurde der Staffelstab von der SIA-Geschäftsstelle an die SIA Sektion Ausland übergeben, die die Veranstaltungsreihe ab 2016 fortsetzen wird.

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