SIA: Ge­gen un­fai­re Wett­be­wer­be

Vergabepolitik

Nach erfolgreicher Intervention der Tessiner Berufsverbände gegen den Wettbewerb für das neue Institut für Biomedizinische Forschung in Bellinzona wurde das Verfahren neu ausgeschrieben. Woran stiessen sich die Kritiker der ursprünglichen Ausschreibung?

Publikationsdatum
04-06-2014
Revision
05-11-2015

Die erfolgreiche Intervention gegen das Wettbewerbsprogramm für den Neubau des Instituts für Biomedizinische Forschung (IRB) ist nicht nur für Architekten und Ingenieure im Tessin wegweisend, sondern auch für Planer in der ganzen Schweiz. Denn die Beschwerde von mehr als 80 Planenden und die anschliessende Intervention der Conferenza dell’Associazioni Tecniche del Canton Ticino (CAT) werden erhebliche Auswirkungen auf das Wettbewerbswesen haben. 

Derart viele Beschwerdeführende stellen einen Ausnahmefall dar, wie ihn die Schweiz noch nie erlebt hat. Den Kritikern geht es um ein starkes Signal sowohl an die Auftraggebenden wie auch an die Kollegen der Berufsgruppe der Architekten und Ingenieure: Der Projektwettbewerb ist auch heute noch das ideale Instrument, um das beste Projekt zu finden. Er muss korrekt, unvoreingenommen und fair vorbereitet und durchgeführt werden. 

Unverhältnismässig restriktive Selektion

Doch leider beschaffen öffentliche und private Auftraggeber Architektur- und Ingenieurleistungen seit Jahren zusehends häufiger auf ungeeignete und unfaire Art und Weise. Mit der Beschwerde gegen das Verfahren IRB und der Intervention der Berufsverbände wollten die Tessiner Planenden ein Zeichen setzen und dieser bedenklichen Tendenz Einhalt gebieten. 

Nicht gerechtfertigt und unzulässig sind zum Beispiel folgende Vorgehensweisen: immer mehr Leistungen von den Teilnehmenden zu verlangen, die mit der Aufgabe nichts zu tun haben und nicht stufengerecht sind; zusehends restriktivere Selektionskriterien aufzustellen in der irrigen Vorstellung, dadurch nur die besten Bewerberinnen und Bewerber anzuziehen; die Mehrfachteilnahme von Fachplanern zu verbieten und damit ihre Teilnahme auf wenige Teams zu beschränken; von den Teilnehmenden immer mehr Vorleistungen zu verlangen, die zum späteren Auftrag und nicht zum Wettbewerb gehören; zu niedrige Preissummen festzulegen, die den verlangten Leistungen in keiner Weise entsprechen; den in Aussicht gestellten Auftrag auf minimale Teilleistungen zu beschränken; die Einhaltung eines offensichtlich unrealistischen Kostendachs zu verlangen, ungeeignete Beurteilungskriterien für die gestellte Aufgabe festzulegen und die Urheberrechte nicht zu respektieren – um nur die wichtigsten Auswüchse zu nennen. 

Angesichts der grossen Erfahrung mit Projektwettbewerben ist es eigenartig, dass plötzlich Verfahren mit so gravierenden Mängeln auftauchen – eine nicht hinnehmbare Entwicklung. Wo liegt die Wurzel des Übels? Das Problem liegt zur Hauptsache bei den mit der Durchführung des Wettbewerbs betrauten Fachpersonen (Begleitpersonen) und den Jurymitgliedern. Die Auftraggebenden, die letztlich die Entscheidung treffen, müssen sich auf die organisatorischen und technischen Fähigkeiten der gewählten Fachleute verlassen können. Die Wahl der Begleitperson und der Jurymitglieder ist somit entscheidend. Sie spielen eine Schlüsselrolle für den erfolgreichen Ablauf eines Projektwettbewerbs!

Begleitpersonen oft inkompetent 

Die Praxis zeigt aber, dass sich die Begleitperson ihrer Verantwortung häufig nicht bewusst ist und den Auftrag zur Durchführung des Wettbewerbs übernimmt, ohne über die organisatorischen und fachlichen Fähigkeiten sowie den kulturellen Hintergrund zu verfügen. Die notwendigen Kompetenzen können durch die Teilnahme an Weiterbildungskursen erworben werden. Eine gute Basis bilden auch die entsprechenden Wegleitungen des SIA. Den kulturellen Hintergrund kann man sich durch die rege Teilnahme an Wettbewerben, durch Gespräche mit Kollegen und durch die Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen im Wettbewerbswesen aneignen.

Das alles genügt jedoch nicht. Die Begleitpersonen müssen ferner in der Lage sein, den Auftraggebenden fallspezifisch und unter Beachtung der einschlägigen Wettbewerbsvorschriften (bzw. Wegleitungen des SIA) zu beraten, damit der Wettbewerb im Interesse der Auftraggebenden und der Teilnehmenden fair abgewickelt werden kann. Nur eine Begleitung, die über die genannten Fähigkeiten verfügt, kann dem Auftraggebenden Gewähr für einen erfolgreichen Wettbewerb bieten.

Die Anforderungen für die Wettbewerbsbegleitung gelten analog auch für die Jurymitglieder. Sie vergessen oft, dass sie den Auftraggebenden und den Teilnehmenden gegenüber für einen korrekten Ablauf des Wettbewerbs verantwortlich sind. Insbesondere müssen sie auf der Änderung von Bestimmungen bestehen, die der Wettbewerbskultur schaden. 

Im Zug der Intervention gegen das ursprüngliche Programm des Wettbewerbs für das IRB wurden die oben genannten Zusammenhänge dargelegt; dadurch wurde es letztlich möglich, das Wettbewerbsprogramm zu ändern. Auch wenn das kurzfristig Erreichte noch nicht in allen Punkten befriedigt, dürften die langfristigen Folgen bedeutend sein: Berufsverbände und Auftraggebende werden gemeinsam vereinheitlichte Wettbewerbsprogramme realisieren, in den nächsten Monaten sollen Kurse angeboten werden, die Beratung der Auftraggebenden verbessert und die Kontrolle, einschliesslich entsprechender Interventionen, verstärkt werden. Dieses Massnahmenpaket dient nicht nur den Auftraggebenden, den Jurys und den Teilnehmenden, sondern auch der Wahrung der öffentlichen Interessen. 


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