SIA: Die Be­rufs­grup­pen stär­ken

SIA-Delegiertenversammlung 2015 in Genf

Politik und Themenfelder des SIA bestätigt – Diskussionen zur «Charta Faire Honorare» und zur Rolle der Berufsgruppen – Architekt Sacha Menz neu in den SIA-Vorstand gewählt.

Publikationsdatum
21-05-2015
Revision
05-11-2015

Zur Delegiertenversammlung nach Genf? Bis nach Genf » Nicht alle Delegierten des SIA mochte die Wahl des Tagungsorts auf Anhieb begeistern, nachdem feststand, dass es in diesem Jahr in den westlichsten Zipfel der Schweiz gehen sollte. Als aber der Tag gekommen war, waren auch beim letzten Skeptiker die Zweifel verflogen. Über Genf, weltläufige Metropole mit kaum 200.000 Einwohnern, aber 170 Nationalitäten, spannte sich ein strahlend blauer Frühlingshimmel, und das Restaurant im achten Stock der «Fédération des Enterprises Romandes Genève», wo man sich vor der Versammlung zum Apéro traf, bietet einen stupenden Blick über die Stadt, den See und die Berge, die teilweise schon zu Frankreich gehören. Später wurden die Delegierten zudem mit einem spannenden Vortrag von Isabel Girault belohnt: Die Direktorin des kantonalen Raumplanungsamts erläuterte die raumplanerischen Herausforderungen und Projekte in der Agglomeration. 

Der offizielle Teil begann mit Stefan Cadoschs Jahresbericht zu den Vereinsaktivitäten 2014–2015. Daniele Biaggi stellte die Jahresrechnung 2014 (Gesamthaushalt: 13.8 Mio. Fr.) vor, die mit einem Plus von 80.000 Fr. schloss. In beiden Fällen wurde der Bericht einstimmig genehmigt. Das Budget des SIA von 13.6 Mio. Fr. ist 2015 um rund 200.000 Fr. tiefer als im Vorjahr, was vor allem an vertagten Normenprojekten liegt. Auch das Budget 2015 wurde ohne Gegenstimmen genehmigt.

Plötzlich wurde es emotional 

Den Delegierten summten noch die von Daniele Biaggi und Daniel Röschli (Leiter Finanzen) referierten Zahlen im Kopf, da stand auf einmal eine Sängerin im Raum, dunkel­haarig und mit munter funkelnden Augen. Niemand hatte sie kommen sehen, und es wurde plötzlich sehr emotional und recht laut, jedoch im angenehmsten Sinn. Eva Maria Enderlin, Zürcher Sängerin und Schauspielerin, schmetterte ein Abschiedsständchen; «Andrea» hiess ihr erstes Lied, und gemeint war der scheidende SIA-Vorstand Andrea Deplazes. Mühelos und fast ohne Mikrofon erfüllte ihre Stimme den Saal, nur begleitet von einem Gitarristen; erst erstaunt und dann begeistert lauschten die Delegierten, sichtlich berührt der Geehrte.

En­derlin begann auf Deutsch, wechselte dann ins Italienische, wo die Wahl auf den neapolitanischen Klassiker «O sole mio» fiel. Den dritten, französischen Teil ihres Abschiedsständchens bildete «Puisque tu pars» – weil du gehst; womit De­plazes überdeutlich und mit viel Charme klargemacht wurde, dass der SIA ihn nach zwölf Vorstandsjahren nicht gern ziehen lässt. «Einen Ersatz für Andrea gibt es nicht», so Cadosch, dafür seien die Krea­tivität, Neugier und gedankliche Unabhängigkeit des erfolgreichen Architekten und Hochschullehrers einfach zu gross. Den Antrag des Vorstands, Deplazes zum SIA-Ehrenmitglied zu ernennen, nahm die Versammlung einstimmig an. 

Neben Deplazes wurde der Bauingenieur Nicolas Kosticzs nach fast 50-jähriger SIA-Mitgliedschaft und fast ebenso langer Tätigkeit für den Verein zum Ehrenmitglied ernannt. Der Sohn einer Schweizer Mutter und eines ungarischen Vaters war zehn Jahre Mitglied des SIA-Vorstands und ist u. a. seit mehr als 20 Jahren Mitglied der schweizerischen Standeskommission – ein ehrenvolles, aber nicht immer angenehmes Amt, muss die Kommission als Schlichtungsstelle doch prüfen, ob Berufskollegen gegen ihre fachliche Sorgfaltspflicht verstossen haben. 

Sacha Menz neu im Vorstand

Eine Aufgabe, mit der auch jener bestens vertraut ist, der die Nachfolge von Andrea Deplazes im Vorstand antritt: der Zürcher Architekt und Hochschullehrer Sacha Menz. Neben seiner Tätigkeit als Architekt ist Menz seit vielen Jahren vor Gericht als Gutachter tätig, wenn sich Bauherrschaften mit Architekten über Baumängel streiten. 2013 brachte er mit dem Leitfaden «Mängel im Hochbau» ein Handbuch zum Thema her­aus. Damit nicht genug, forscht und lehrt Menz am Institut für Tech­nologie und Bauprozess der ETH Zürich zu den verschiedenen Phasen des Bauprozesses.

Er steht also wie kein Zweiter an der Schnittstelle zwischen architektonischer Gestaltung und der praktischen Umsetzung von Planung, einschliesslich typischer Fehlerquellen; dabei ist ihm die Warte des Bauherrn ebenso vertraut wie jene des planenden Architekten. Man kann sich kaum jemanden vorstellen, der die im SIA notwendige Mittlerrolle zwischen Planenden und der Öffentlichkeit durch seine berufliche Erfahrung überzeugender verkörpert. 

Themenfeld «Planungs- und Bauprozess»

Stefan Cadosch empfahl den gebürtigen Wiener, der von 2005 bis 2011 Präsident der SIA-Sektion Zürich war, mit folgenden Worten: «Er polarisiert manchmal, aber eben­solche Personen brauchen wir im Vorstand – denn wir sind kein Streichelzoo, bei uns wird auch mal ­kontrovers diskutiert.» Sacha Menz wurde einstimmig in den Vorstand gewählt. Passend zu seinem fachlichen Profil bestätigten die Delegierten den Vorschlag des Vorstands, «Planungs- und Bauprozesse» zu einem neuen strategische Themenfeld des SIA zu machen; es löst die «Baukultur» ab. Diese wird den SIA weiter beschäftigen, doch ist mit Verankerung des zeitgenössischen Bauens in der kommenden Kulturbotschaft des Bundes ein wichtiger Meilenstein erreicht. Die übrigen vier Felder bestätigte der Vorstand für weitere zwei Jahre.

Vorstände und Fachverantwortliche der SIA-Geschäftsstelle stellten in der Folge aktuelle Aktivitäten des SIA vor: das Projekt «Zukunft Bauwerk Schweiz» in Kooperation mit der ETH Zürich, die neu konstituierte Sektion «Ausland» für auswärtige und im Ausland tätige Mitglieder und nicht zuletzt die Charta «Faire Honorare für kompetente Leistungen». In Abstimmung mit nicht weniger als zehn Planerverbänden (Stefan Cadosch: «ein Kraftakt») wurde die Charta erarbeitet und vom SIA mit der Bitte um Unterzeichnung an die Mitglieder versandt. Rund 2500 unterschriebene Exemplare sind mittlerweile in der Geschäftsstelle eingetroffen. In den Begleitbriefen erfährt man von Stundensätzen um 50 Franken, von öffentlichen Auftraggebern, die Honorare drücken, aber auch von viel Zuspruch für das Engagement des SIA. 

«Wir haben von der Charta abgeraten»

Nadine Couderq, Leiterin der SIA-Sektion Genf, ging die Charta indes nicht weit genug, denn sie erklärte rundheraus: «Wir haben uns als Vorstand der Sektion Genf entschieden, die Charta nicht zu unterschreiben, und das unseren Mitgliedern auch mitgeteilt.» Man habe lang diskutiert, sei am Ende aber zu dem Schluss gekommen, dass ein blosser Aufruf in der Sache wie in der Formulierung nicht weit genug gehe. Anzustreben sei ein deutlich weiter gehender Schutz der Profession, etwa ein Architektengesetz.

«Wir stehen hier in Genf sehr unter Druck durch Anbieter, die aus der EU (Frankreich) in den Kanton drängen», begrün­dete sie die Entscheidung. Stefan Cadosch war schon am Vormittag auf das Thema eingegangen: Er bedaure die Entscheidung des Sek­tionsvorstands, sehe aber auch die Problematik: «Wir haben Ihre Botschaft verstanden!» Daher beab­sichtigen er und der Vorstand gemeinsam mit dem SIA-Fachrat Vergabe und den Sektionen die Problematik in den Randregionen noch 2015 anzugehen, nötigenfalls auch auf politischer Ebene. 

Auch mit Blick auf die ge­änderte Organisationsstruktur des SIA, die im November 2012 von der DV in Kraft gesetzt worden war, nahm der Vorstand eine kritische Standortbestimmung vor. In seinem Bericht kommt er zu einem positiven Ergebnis: Die organisatorischen Anpassungen hätten sich bewährt und zu einer erhöhten Wirksamkeit und Effizienz des Vereins beigetragen. Allerdings hätten die Berufsgruppen aus Sicht des Vorstands noch nicht die wünschenswerte Präsenz erreicht, die sie zu einem schlagkräftigen, disziplinvertretenden «Sparringspartner» für den Vorstand und den gesamten SIA machen würden. Auch die Berufsgruppenpräsidenten Michael Schmid (BGA), Fritz Zollinger (BGU) und Jobst Willers (BGT) äusserten, dass sie mit der Situation noch nicht zufrieden sind. 

In seiner Ansprache zu Beginn der DV hatte sich Stefan Cadosch bereits unmissverständlich zu den Berufsgruppen bekannt – nur mit ihnen funktioniere der SIA. Gemeinsam mit den Berufsgruppen sucht der Vorstand deshalb nach Wegen zur Verbesserung der Situation. 

Die Delegierten verabschiedeten den Antrag der Berufsgruppen, dass der Vorstand nun in einem nächsten Schritt innert sechs Monaten aufzeigen soll, wie er die noch vorhandenen Defizite anzugehen gedenkt. Eingebettet in eine Gesamt­beurteilung der Vereinsstruktur soll die Funktionstüchtigkeit der Berufsgruppen mithilfe externer Berater analysiert und in zwei Jahren erneut betrachtet werden.

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