Neue Hoff­nung für das Bau­en im Lärm

Revision im Lärmschutz USG

Weil sich Lärmschutz und bauliche Verdichtung oft gegenseitig behindern, möchte der Bund die geltenden Vorschriften anpassen. Die Grenzwerte bleiben tabu; einzig die Bewilligungskriterien werden präzisiert.

Publikationsdatum
14-12-2021

Der Bundesrat will den Vollzug im Umweltschutz verbessern. Unter anderem soll das Tempo zur Beseitigung von Altlasten erhöht werden. Vorab auf Schiessplätzen und öffentlichen Kinderspielplätzen gebe es Nachholbedarf. Im Gegenzug stellt der Bund mehr Geld in Aussicht, um die Sanierung belasteter Böden stärker zu subventionieren. Eine zweite Pendenz ist die Lärmbekämpfung; auch in diesem Umweltbereich sei ein Upgrade fällig, findet der Bund. Allerdings brauche es keine Verschärfung der Grenzwerte; vielmehr geht es auch hier darum, ein Vollzugsdefizit zu beheben. Vor allem soll geklärt werden, dass sich der Schutz vor Lärm und die lokale Siedlungsverdichtung nicht gegenseitig behindern. Nicht nur Bauherren, sondern auch die Behörden erwarten von den Neuerungen, dass die Chancen für eine Baubewilligung im lärmbelasteten Umfeld steigen.

Lärmbekämpfung oder Verdichtung?

Vor allem Städte tun sich mit Lärmschutzvorgaben schwer: Auf stark befahrenen Strassen würde Tempo 30 sehr viel Schall mindern. Doch diese Massnahme ist in der Verkehrsplanung äusserst umstritten, weshalb sich solche Pendenzen unmittelbar auf die Siedlungsplanung auswirken. Allein in der Stadt Zürich haben die Gerichte schon mehrere Bewilligungen nachträglich aufgehoben, weil die gesetzliche Pflicht zur Lärmbekämpfung einer innerstädtischen Verdichtung bisweilen widerspricht.

Denis Kopitsis, Inhaber eines Bauphysikbüros, ist im Rahmen von Planungsmandaten selbst davon betroffen: «Dass sich die Gerichte und die Vollzugsbehörden nicht einig sind, ist ungünstig. Nicht einmal eine Bewilligung schafft so Rechtsicherheit.» Zudem beurteilen viele Kantone vergleichbare Lärmsituationen unterschiedlich: «Was an einem Standort zulässig ist, wird anderswo bisweilen nicht akzeptiert», so Kopitsis. Genau dies soll die angekündigte Revision ändern: eine Vereinheitlichung des Vollzugs im Lärmschutz und eine Reaktion auf die neuesten Entscheide am Bundesgericht.

Der Vorschlag für die Gesetzesrevision definiert insbesondere, wie ein «lärmoptimierter Wohnungsgrundriss» aussehen soll. Demnach sind Immissionsgrenzwerte nicht länger auf die ganze, sondern nur mehr auf Teile einer Wohnung einzuhalten. Gemäss dem Vorschlag des Bundes wäre ein lärmbelasteter Raum pro 2- bis 4-Zimmer-Wohnung erlaubt; bei 5 und mehr Zimmern dürften deren zwei übermässig beschallt werden. Zwingend ist jedoch überall: Sobald eine Wohnung als lärmbelastet eingestuft wird, braucht sie ruhige Aussenräume, mindestens aber einen 6 m2 grossen Balkon.

Bisherige Ausnahme als neuer Standard?

Der Revisionsvorschlag unterscheidet sich von der bisherigen Bewilligungspraxis nur marginal. Was bislang als Ausnahmefall erlaubt war, soll neuerdings gesetzlich verankert werden, sagt Thomas Gastberger, Bereichsleiter Vorsorge der Lärmschutzfachstelle im Kanton Zürich. Angesprochen ist die «Lüftungsfensterpraxis», wonach der Lärmpegel in einer Wohnung jeweils dort zu bestimmen ist, wo er am niedrigsten ist. Die Fachbehörden der meisten Kantone befürworten diese Regel; «sie ist praktikabel und realitätsnah», bestätigt Gastberger.

Trotzdem hält sie einer juristischen Überprüfung nicht stand. Denn für die Gerichte ist eine Wohnung nur rechtskonform vor Lärm geschützt, wenn die Grenzwerte an der lärmexponierten Gebäudefront eingehalten sind. Mit der Revision würde die davon leicht abweichende Auslegungsvariante der Vollzugsbehörden zum künftigen Bewilligungsstandard erkoren. Gemäss Gastberger verschiebt sich der Fokus dabei auf die rückseitigen Fenster einer Wohnung. Auch Kopitsis begrüsst diese Präzisierung. «Die neue Logik für ein Wohnungslayout wäre so: Nicht mehr jedes Fenster zählt; ein einziges, optimiertes Lüftungsfenster reicht.»

Delegation an Gemeinden als Bumerang?

Optimiert werden sollen auch die Verantwortlichkeiten: Die Gemeinden und nicht länger die Kantone dürfen abschliessend entscheiden, ob und wie ein Bauprojekt den Lärmschutzanforderungen einhält. Die Kommunalbehörden müssten dafür jedoch ihre Fachkompetenzen erweitern, so Gastberger. Kopitsis hofft derweil, dass die Delegation dieser Aufgabe an Städte und Gemeinden nicht zum Bumerang für die angestrebte Harmonisierung wird.

Der Vorschlag des Bundes geht noch einen Schritt weiter. Auch die kommunale Nutzungsplanung muss ergänzt werden: Werden Bauzonen mit höherer Baudichte ausgewiesen, sind lärmwirksame Ausgleichsmassnahmen vorzusehen. Jeder Verdichtungsstandort muss in Gehdistanz mit einer Ruhezone oder einem Freiraum verbunden sein, schlägt die USG-Revision vor. Bemerkenswert ist, dass dieser Vorschlag die städtebauliche Debatte von EU-Gremien spiegelt. Offen ist jedoch, wie einfach diese Zusatzbedingung in einem bereits dichten urbanen Umfeld erfüllbar ist.

Keine grundlegende Opposition

Die Vorschläge sind schon länger erwartet worden. Vor fast zehn Jahren forderten Parlamentarier eine Verbesserung des Lärmvollzugs. 2015 präsentierte der Bund einen Massnahmenplan dazu. Und nun liegen die konkreten Ideen bis Ende Jahr in einer öffentlichen Vernehmlassung auf. Mit grundlegender Opposition ist nicht zu rechnen. Zur Hauptsache stammt der Input von den Kantonen selbst, die ihrerseits die Planungsverbände BSA und SIA im Vorfeld zu Rate zogen.

Das letzte Wort zur USG-Revision hat jedoch das Parlament in Bern. Vor 2023 dürfte hier kein Entscheid gefällt werden. Bis dahin bleibt das «Bauen im Lärm» wie bisher eine juristische und städtebauliche Gratwanderung: Zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte muss jeder Bauherr, gemäss den gesetzlichen Vorschriften, so weitreichende bauliche oder gestalterische Massnahmen zur Lärmreduktion umsetzen, als diese verhältnismässig sind.