Das letz­te No­tiz­buch von Lou­is Kahn

Von Louis I. Kahn sind 18 Notiz- und Skizzenbücher erhalten geblieben, die auf intime Weise Einblick in das Denken des Architekten geben. Das neu erschienene Faksimile seines letzten Notizbuchs, herausgegeben von Kahns Tochter Sue Ann Kahn, zelebriert das Analoge und haptisch Erlebbare.

Publikationsdatum
10-07-2024
Alessandro L. B. Vassella
Architekt ETH/SIA, Co-Autor der Monografie «Louis I. Kahn – Complete Work 1935–74» (1977) und Herausgeber von «Louis I. Kahn – Silence and Light» (2013).

In Zeiten voller Nachrichten über Zerstörung, Tod und Rückschritt flattert «The Last Notebook» wie eine mahnende Friedenstaube ins Haus. Das Faksimile des letzten Notizbuchs von ­Louis I. Kahn kommt in Begleitung eines Textbands im gleichen Format, der den Inhalt und die Zusammenhänge der Skizzen, Kommentare und Gedanken erklärt. Nebst dem Essay von Michael J. Lewis hat Kahns Tochter und Herausgeberin Sue Ann Kahn die handschriftlichen Texte ihres Vaters transkribiert.

Von Kahns Skizzenbüchern, die zwischen 1940 und 1974 entstanden sind, haben sich 18 Stück erhalten. Die Notizbücher aus dünnem, transluzentem Papier, hergestellt von Winsor & Newton in London, kaufte der Architekt ab Mitte der 1960er-Jahre in einem Geschäft in der Walnut Street. Das Papier ist kaum sichtbar perforiert, um bei Bedarf eine Seite heraustrennen und weitergeben zu können. Dem Verlag Lars Müller Publishers ist es in Zusammenarbeit mit der Druckerei zu Altenburg gelungen, die technischen Herausforderungen zu meistern, um dem Anspruch eines Faksimiles bis ins kleinste Detail gerecht zu werden und das Unmögliche möglich zu machen.

Das Original des vorliegenden Faksimiles erwarb Kahn vermutlich Anfang 1973. Er verwendete es für neue Projekte, vorrangig den Auftrag der New York State Urban Development Corporation für das Projekt des Franklin Delano Roosevelt Memorial an der Südspitze von Welfare Island im East River (heute Roosevelt Island). Das Projekt wurde im Jahr 2012 posthum realisiert. 

Das Notizbuch enthält auch erste Skizzen für das Abbasabad-­Projekt nahe Teheran (zusammen mit Kenzo Tange) und Skizzen für den Eingangsbereich des Yale Center for British Art in New Haven gegenüber der Yale Art Gallery (1953). Wichtig sind zudem Notizen für den Vortrag anlässlich der Verleihung der Goldmedaille der American Academy of Arts and Letters in New York sowie zu zwei weiteren Vorlesungen mit Gedanken zu «Silence and Light».

Im September 1973 hatte ich das Privileg, unseren ersten Entwurf der Monografie «Louis I. Kahn – Complete Work 1935–74» mit Kahn persönlich zu diskutieren und in seinem Büro zu recherchieren. Die Skizzen und Gedanken in «The Last Notebook» sind eine wertvolle Ergänzung zu den damals nur spärlich dokumentierten Projekten, da wir das private Notizbuch nicht in unsere Recherchen einbezogen.

Die letzte Skizze in diesem Buch zeigt einen Stern mit Schweif – wie eine Vorahnung darauf, dass die vielen leeren Seiten nicht mehr gefüllt würden. Kahn starb unerwartet in New York am 17. März 1974 auf der Rückreise von der Baustelle im indischen Ahmedabad. 

Die Publikation ist eine zurückhaltend gestaltete Aufforderung, in der Betrachtung der Inhalte zu verweilen und Abstand zu nehmen von der sonst auf uns einprasselnden Informationsflut. Es zeigt den hohen Wert des Analogen, des haptisch Erlebbaren, das ein Verweben eigener Gedanken mit denjenigen von Kahn zulässt. Den Leserinnen und Lesern, die an dieser besonderen Erfahrung interessiert sind, sei diese Publikation wärmstens empfohlen.

Sue Ann Kahn (Hg.): Louis I. Kahn. The Last Notebook. Lars Müller Publishers, Zürich 2024. Hardback, 192 Seiten, 82 Illustrationen, 15 × 21 cm, ISBN 978-3-03778-752-6, Fr. 40.–

 

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