Gut ge­meint

Welche Erkenntnisse können wir aus der Entwicklung des Maag-Areals gewinnen – und für andere urbane Transformationsprojekte nutzen? Was verrät die Art und Weise, wie über Zürich-West diskutiert wird, über unsere Planungs- und Baukultur? Plädoyer für eine offene Debatte.

Publikationsdatum
02-06-2022

Als Erstes fällt auf, worüber im Zusammenhang mit dem Maag-Areal nicht gestritten wird. Über das Ziel sind sich nämlich alle einig: Hier soll ein lebendiger, vielfältiger, nachhaltiger Stadtteil entstehen. Das wünschen die Menschen, die in der Umgebung wohnen und arbeiten, weil dieser Ort die Identität ihres Quartiers entscheidend prägt; das fordern die Kulturliebhaberinnen und Partygänger, die das Maag-Areal in den letzten Jahrzehnten als Hotspot etab­liert haben; darauf beharrt die Stadtverwaltung kraft ihres demokratisch legitimierten politischen Auftrags; das strebt die SPS als Investorin an, weil sie sich eine Wertsteigerung ihrer Anlage verspricht; dafür plädiert die Planungs- und Architekturszene aus fachlicher Überzeugung; darauf arbeiteten die namhaften Planungsteams hin, die beim Studienauftrag für die Entwicklung des Areals Projekte eingereicht haben. Alle meinen es eigentlich gut, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Worüber man streitet …

Umso heftiger wird jedoch darüber diskutiert, ob das gemeinsame Ziel mit dem Ersatzneubauprojekt von Sauerbruch Hutton, das die SPS realisieren will, tatsächlich erreicht wird. Nach bald einem Jahr sind die Positionen klar. In der Nachbarschaft und in der Kulturbranche formiert sich heftiger Widerstand. Mehrere Seiten haben angekündigt, dass sie Rekurse einlegen und über alle Instanzen ziehen wollen. Innert Kürze sammelte das Komitee «Retten wir die Maag-Hallen» über 9000 Unterschriften für den Vorschlag, anstelle des Ersatzneubaus den von der Fachjury vorgeschlagenen Entwurf von Lacaton&Vassal zu verwirklichen: Die Integration des Bestands würde es erlauben, den Ort ohne Identitätsverlust und Vernichtung von grauer Energie weiterzuentwickeln, das Projekt der französischen Pritzker-Preisträger sei zukunftsweisend. Der BSA Zürich, der Schweizer Heimatschutz, viele Planerinnen und Planer und auch TEC21 unterstützen dieses Anliegen dezidiert. Im Gegensatz dazu bezweifelt Architekt Matthias Sauerbruch die langfristige Nach­haltigkeit dieser Weiterbaustrategie (vgl. «Wir gestalten die Schönheit des Alltags»).

… und wer dazu schweigt

Als Zweites fällt auf, wer sich nicht an dieser Qualitätsdebatte beteiligt. Zum einen die Investorin selbst: War sie noch während des Studienauftrags für ein Weiterbauen der Hallen offen, so wählte sie schliesslich die Tabula-rasa-Lösung, weil diese gemäss den geltenden Sonderbauvorschriften realisierbar ist, während ein Erhalt die Ausarbeitung eines Gestaltungsplans erfordern würde und daher mit mehr Unsicherheiten behaftet wäre (vgl. u.a. Podiumsdiskussion vom 30. Juni 2021). Zum anderen die Stadtverwaltung, die für beide Alternativen einen Weg zur Realisierung aufzeigt, aber keine favorisiert (vgl. «Alles hat sich beschleunigt»).

Wissen sichern und Unbekanntes zulassen

Was eine echte, praxisbezogene inhaltliche Diskussion über die Entwicklung des Maag-Areals verhindert, ist also nicht der Mangel an Ideen, sondern an Flexibilität. Die Planungsgrundlagen für das Areal wurden vor über 20 Jahren geschaffen, in einer Zeit, als viele dieser Ideen noch keine Stimme hatten. Damals tendierte die Stadtplanung noch zu einem Neuanfang, über Kreislaufwirtschaft oder CO2-Fussabdruck sprach man kaum, und niemand konnte erahnen, welche Bedeutung die zum Abbruch freigegebenen Industriehallen für die Stadt erlangen würden. Damals waren die Sonderbauvorschriften eine sinnvolle, sorgfältig erarbeitete Lösung. Heute, in einer völlig veränderten Situation, ernten sie Kritik, selbst von einstigen Verfassern. Zwar ist es möglich, diese Planungsgrundlagen anzupassen oder zu ersetzen, doch diese Möglichkeiten brauchen Zeit und bergen verfahrenstechnische Risiken. Das erschwert eine unbefangene Auseinandersetzung auf inhaltlicher Ebene.

Die allgemeine Frage – jenseits des konkreten Falls auf dem Maag-Areal – ist also: Wie lässt sich eine Planung, die naturgemäss langfristig und verbindlich sein muss, mit dem Wandel der Zeit vereinbaren? Welche Parameter müssen festgelegt werden, um die gesteckten Ziele zu erreichen, und welche gilt es offen zu lassen, um neue Erkenntnisse und den Beitrag späterer Generationen zu ermöglichen? Wie kann man den aktuellen Wissensstand sichern und das Unbekannte dennoch zulassen?

Kritik als Chance für Qualität

Hier lohnt es sich, genau hinzuschauen, um voneinander zu lernen. Gerade in der kleinen Schweiz ist Land ein knappes und wertvolles Gut, das in dicht besiedelten Städten nach einem besonders umsichtigen Vorgehen ruft. In Zürich ist die Transformation früherer Industrieareale schon weit fortgeschritten; auch die meisten zentral gelegenen, ehemals für den Bahnbetrieb genutzten SBB-Grundstücke entlang des Gleisfelds sind weitgehend beplant oder überbaut. In vielen Schweizer Städten ist dieser Prozess indes noch weniger weit fortgeschritten oder beginnt erst. Eine genaue Betrachtung der bisherigen Ergebnisse – etwa in Neu-Oerlikon oder eben in Zürich-West – und eine kritische Reflexion ­können daher sehr lehrreich sein. Über gelungene und weniger gelungene Planungen nachzudenken, verschiedene Methoden und Werkzeuge zu vergleichen ist durchaus im Sinn eines offenen, konstruktiven und zukunftsgerichteten fachlichen Diskurses.

Es soll daher sehr wohl, auch wenn es unbequem ist und zuweilen Unmut hervorruft, über gestalte­risches Niveau und Lebensqualität debattiert werden. Es braucht einen fachlichen, aber auch einen breit abgestützten gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie gegensätzliche Anforderungen im konkreten Fall zu gewichten sind, beispielsweise Zielkonflikte in Bezug auf verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit oder zwischen öffentlichen und privaten Interessen.

Vor allem aber, auch das zeigt das Maag-Areal besonders deutlich, lohnt es sich, diesen Diskurs frühzeitig zu führen und nicht erst nach dem Entscheid der Bauherrschaft. Wenn nämlich, wie in diesem Fall, langwierige Rekurse drohen, tritt das ein, was von allen Beteiligten ganz bestimmt niemand wollte: eine auf unbestimmte Zeit verschobene Zukunft und Verhandlungen, in denen es vornehmlich um juristische Fragen geht und nicht um die Suche nach einer hochwertigen, nachhaltigen urbanen Transformation.

Wir haben schon mehrfach über dieses Thema berichtet. Die Artikel dazu finden Sie hier.

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