Kon­junk­tur­for­scher tref­fen auf Pla­ner

Zu Gast beim KOF: SIA-Konjunktur-Kolloquium

Am Konjunktur-Kolloquium trafen SIA-Firmenmitglieder mit dem renommierten Ökonomen Jan-Egbert Sturm von der ETH Zürich zusammen – und diskutierten mit ihm angeregt, was die globale Ökonomie mit der Konjunkturaussichten Schweizer Planer verbindet.

Publikationsdatum
10-11-2016
Revision
10-11-2016

Eine kleine Gruppe von SIA-Firmenmitgliedern kam am 25. Oktober im Rahmen eines vom SIA initiierten Kolloquiums mit Konjunkturforschern der ETH Zürich zusammen. Gastgeber war Jan-Egbert Sturm. Seit 2005 leitet der Niederländer das KOF, die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich; er zählt derzeit zu den einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Ebenfalls dabei waren seine Kollegen Klaus Abberger, Leiter des Bereichs Konjunkturumfragen, und KOF-Bau­expertin Anne Kathrin Funk.

«Konjunkturforschung ist für mich wie ein Blick in die Kristallkugel. Und es stellt sich die ­Frage, mit welchen Faktoren und Variablen wirklich verlässliche Voraussagen möglich sind», formulierte der Architekt Rudolf Trachsel seine Sicht auf Konjunkturprognosen. Wesentliches Ziel des Kolloquiums war es denn auch, die Vorgehensweise der Konjunkturforscher zu erläutern und Architekten und Ingenieuren führender Planungsunternehmen den direkten Kontakt mit massgebenden Analysten des Bau- und Planungsmarkts zu ermöglichen. Dabei galt es zu zeigen, wie anhand sorgfältig eruierter Variablen die Gesamtsicht auf die Ebene eines Wirtschaftssektors übertragen wird und daraus Prognosen abgeleitet werden. 

Hier trafen Persönlichkeiten aufeinander, die am einen und am anderen Ende der vierteljährlichen KOF-Datenerhebungen stehen: Wissenschaftler und Planungsunternehmer, dank deren reger Umfragenbeteiligung die Ergebnisse erst an Aussagekraft gewinnen. Rudolf Trachsel macht regelmässig mit bei den Umfragen und Erhebungen. «Zum einen, weil wir wissen wollen, wo wir im Vergleich stehen; zum anderen, weil wir es als unsere Pflicht ansehen, als SIA-Mitglied an den Umfragen teilzunehmen und so zur Übersicht in unserer Branche beizutragen», so der Architekt.

Die Menschen hinter den Kennzahlen

So bot sich für die Planer nicht nur die rare Gelegenheit, den Wirtschaftsexperten persönlich Fragen zu stellen und detaillierte Erklärungen zu wirtschaftlichen Tendenzen im Projektierungssektor zu erhalten. Auch für das KOF-Team war es erhellend, die Gesichter, Gedanken und individuellen Erfahrungen aus dem Projektierungssektor kennenzulernen – und so zu erfahren, welche Unternehmen hinter jenen ­Zahlen stehen, die sie im Forschungsalltag als Aggregat bearbeiten.

Sturm gewährte den Gästen erhellende Blicke in die «Kristallkugel» Konjunkturforschung und zeigte, wie Konjunkturprognosen für den Projektierungs- und Bausektor «top-down» erstellt werden: Zuerst wird die globale Lage betrachtet. Dabei werden für verschiedene Länder, die grossen Einfluss auf die Schweiz haben, Prognosen bezüglich Zinsen, Wechselkursen, Preisen und BIP erstellt und die Dynamik des Welthandels eingeschätzt. Daran anknüpfend wird die «Grosswetterlage» für die offene, international ausgerichtete Schweizer Volkswirtschaft beurteilt, wobei hier deren Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik berücksichtigt werden. Mithilfe der Branchen­experten und einer Vielzahl von Modellen wird die Gesamtsicht für den jeweiligen Sektor adaptiert.

Prognose versus Simulation

In den Einschätzungen wird jeweils von den mit grösster Wahrscheinlichkeit eintreffenden Entwicklungen ohne externe Schocks ausgegangen. Tritt ein exogener Schock (wie z. B. der Brexit) ein, korrigiert man das Modell im Nachhinein. Auch wenn die Planungsbranche gern ­längerfristig vorausdenken würde: Voraussagen über 2018 hinaus sind, wie Jan-Egbert Sturm betont, keine Prognose mehr, sondern eher Simulationen und damit reine Theorie. Mit solchen Voraussagen ist das KOF deshalb sehr vorsichtig.

Die internationale Konjunktur erlebt derzeit eine Erholungsphase, wobei die Schweizer BIP-Entwicklung im europäischen Vergleich herausragt. Für den inländischen Bausektor bleibt die Situation gut – vor allem aufgrund einmalig tiefer Zinsen und fehlender Inflation, was wiederum durch den Ölpreis verursacht wird. Die schon jetzt intensive Wohnbautätigkeit wird weiter zunehmen. Auch die Investitionen in Tiefbau und Bahninfrastruktur ­setzen zunehmend Impulse. 

Die Kolloquiumsteilnehmer bestätigen die Frühindikatoren; so sagte Architekt Trachsel: «Die Prognosen bestätigen mir grundsätzlich, was ich im Alltag erfahre. In diesem Herbst nahmen die öffentlichen Ausschreibungen im Bereich Tiefbau, Strassen, Infrastruktur zu. Verbessert hat sich auch die Situa­tion beim Fachkräftemangel. Jetzt gibt es wieder mehr Architekten auf dem Markt mit dem Profil, das wir suchen.» Architekten seien allerdings weniger stark von der Konjunktur als vielmehr von den Wettbewerbsangeboten betroffen.

«Mich erstaunt und fasziniert, mit welcher Vielzahl und Mischung von weichen und harten Faktoren die Modelle gemacht ­werden», kommentierte der Gebäudetechniker Marco Waldhauser aus Münchenstein Sturms Aus­führungen. 

Sorgenkind Tessin

Cristina Zanini Barzaghi, Ingenieurin und Stadträtin des Hochbau­departements Lugano, ist skeptisch, ob die KOF-Prognosen auf alle Regionen der Schweiz zutreffen. Die Realität im Tessin sieht sie deutlich pessimistischer, vor allem wegen der unmittelbaren Nachbarschaft zu Italien. Die Wertschöpfungskette, so erklärt Sturm das Lohndumping, kreiere Preisdruck, sodass Planer ihre Dienstleistungen zu sehr tiefen Preisen anböten. Dieser Druck treffe auch die öffentliche Hand, die bei negativer Inflation ebenfalls weniger Steuereinnahmen erziele und daher auch weniger ausgeben könne, erklärte Sturm.

Und was fangen die Unternehmer mit den Prognosen an? Marco Waldhauser helfen sie bei der Orientierung: «Ich schaue, was die Ergebnisse der KOF-Erhebung für den SIA sind und ob sie mit meinen Eindrücken und den Tendenzen in meinem Unternehmen übereinstimmen. Daraus kann eine momentane kleine Standortbestimmung gemacht werden. Einen Ausblick über einen weiten Zeitraum erlaubt es uns allerdings nicht.» Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss: Es wäre durchaus nützlich, die Analyse bezüglich der Planerbranche noch weiter ins ­Detail zu verfeinern.
 

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