Ein Fif­ties-Hoch­haus er­zählt sei­ne Ge­schich­te wei­ter

Das Verwaltungsgebäude der Kabelwerke Brugg erzählt die Geschichte einer florierenden Schweizer Industrie in den Nachkriegsjahren. Trotz Asbest und einer energetisch schlechten Gebäudehülle entschied man sich für eine Sanierung.

Publikationsdatum
08-12-2023

Im ehemaligen Hauptsitz der Kabelwerke Brugg pocht und brummt es, die letzten Bauarbeiten sind in vollem Gange. Eine hohe Belastung durch Asbest und schlechte Energiewerte hatten die Sanierung des 1956/57 errichteten Bauwerks notwendig gemacht. Viele Nachkriegsbauten, die ähnliche Probleme bereiten, werden aufgrund von Vorgaben zur Verdichtung oder zur Steigerung von Effizienz oder Wirtschaftlichkeit ersetzt. Doch das Verwaltungsgebäude direkt beim Bahnhof Brugg blieb erhalten: Es sieht noch – oder wieder – fast so aus wie nach seiner Eröffnung vor fast 70 Jahren. Die Sorgfalt der Erneuerungsplaner ist dem kommunalen Schutzstatus des Gebäudes zu verdanken. Und auch der Bauherrin, Brugg Immobilien, die den Aufwand zur enfergetischen Sanierung nicht scheute.

Prestigeträchtig, aber ­asbestbelastet

In der Nachkriegszeit gehörten die Kabelwerke Brugg zu den grössten Arbeitgebern der Region. 1954 lancierte die Firma einen Projektwettbewerb für ein Bürogebäude direkt neben ihren Produktionshallen. Der Vorschlag der siegreichen Architekten Carl Froelich und Hans Kündig, ein zweibündiges, trapezförmiges Hochhaus, überzeugte vor allem städtebaulich: Die weithin sichtbare Spitze des Büroturms bildet den prominenten Auftakt zum Firmenareal.

Die Erneuerung erfolgte hingegen in einem direkten Vergabeverfahren: Das Brugger Büro Tschudin Urech Bolt Architekten erhielt den Auftrag, das mittlerweile knapp 70-jährige Verwaltungsgebäude zu sanieren. Eine Machbarkeitsstudie zeigte auf, dass es sich trotz hohem Asbestvorkommen lohnte, das Gebäude zu erhalten.

Der Schadstoff war teilweise in ungebundener Form zwischen den Stützen und der Decke vorzufinden. Für die Sanierung musste deshalb jedes Stockwerk einzeln mit Unterdruck abgeriegelt und auf den tragenden Kern reduziert werden. Der hohe bauliche Aufwand kostete dennoch nur 300 000 Franken, bei Sanierungskosten von insgesamt 8 Millionen Franken.

Weitere Beiträge zum Thema «Immobilien und Energie» sind im gleichnamigen E-Dossier abrufbar.

Der gesäuberte und freigelegte Rohbau bot grosse Gestaltungsfreiheit für die Erneuerung. Die Materialisierung der wieder aufgetragenen Schichten orientiert sich dennoch stark an den Ursprungsjahren des Bestands. Das Attikageschoss beherbergt eine Bar mit Lounge. Darunter liegen sechs beinahe identische Büroetagen mit neuen PVC-Böden in Grünnuancen. Sie ersetzen den ursprünglichen Bodenbelag aus asbesthaltigem Sucoflor, damals der Inbegriff für den modernen Innenausbau. Neben dem Grün verfügt die Farbpalette der Sanierung auch über rote und beige Farbtöne, jeweils abgeleitet von der ursprünglichen Gestaltung und Ausstattung. Auch die Oberflächen der einstigen Chefetage blieben unverändert: Wie früher hebt sie sich mit Parkett und Wandschränken aus Nussbaum vom Rest des Gebäudes ab. Eine weitere Hommage an die Vergangenheit des Bauwerks lässt sich im innen liegenden Treppenraum finden: Weiss gestrichene Metallrahmen erinnern an die Position von zugemauerten Türen und an den Aktenlift, der heute als Steigzone neue Verwendung findet.

Zwischen Energiestandards und Ästhetik

Beim Bau des Verwaltungsgebäudes in den 1950er-Jahren wurde nicht an hochwertiger Materialisierung und moderner technischer Ausstattung gespart. Das zeigt sich auch an der guten Qualität der haustechnischen Installationen und der Zent-Frenger-Decke mit integrierter Heizung, damals ein Novum. Zusätzliche Heizkörper waren unter den durchgehenden Fensterfronten eingebaut worden; sie konnten für den Wärmefluss in Übergangszeiten getrennt gesteuert werden. Doch 3 cm dicke Korkschichten zur Dämmung der Aussenwände und zweifach verglaste Fenster entsprachen nicht mehr den heutigen Anforderungen an den Wärmeschutz.

Die Architekten standen vor einer kniffligen Aufgabe, die für Bauten aus der Nachkriegszeit aber typisch ist: Das Gebäude sollte energetisch saniert und mit einer dickeren Dämmschicht versehen werden, ohne die charakteristische Grazilität zu beeinträchtigen. Spezielle Hochleistungsfenster und eine Kombination aus festverglasten und öffenbaren Fensterflügeln brachten die Anforderungen der Bauphysik und der Denkmalpflege unter einen Hut. Da aussen keine Eingriffe vorgenommen werden sollten, wurden die Innenwände unterhalb der Fensterbänder gedämmt, wo früher die Heizkörper installiert waren.

Die Fassade erscheint zwar noch immer so wie in den 1950er-Jahren, doch die originalen Platten aus dunkelgrünem Verde-Alpi-Marmor mussten entfernt und entsorgt werden. Das Abschleifen und Wiederverwenden wurde in Betracht gezogen, doch zur Befestigung der Fassadenverkleidung kam ursprünglich Mörtel zum Einsatz. Darum konnten die Fenster nicht ersetzt werden, ohne die Steinplatten zu beschädigen. Die heutige Verkleidung stammt aus Norditalien und wie die Originale aus einem Verde-Alpi-Steinbruch. Die Verankerung ist ein modernes Vorhängesystem, dank dem die Fassade oder Teile davon jederzeit ersetzt werden können.

Graue Energie bleibt erhalten

Aufgrund der Asbestsanierung und der energetischen Erneuerung mussten Tschudin Urech Bolt Architekten viele Baumaterialien entsorgen. Trotzdem blieb viel graue Energie erhalten, weil das Gebäude nicht komplett rückgebaut wurde. Gewahrt blieb auch der ursprüngliche Charakter des Bürohochhauses, da beim Ersatz von Bauelementen nach ähnlichen Materialien gesucht wurde. Projektleiter Marco Tschudin meint: «Wir mussten nicht auf die Ästhetik verzichten, um die gewünschten Energieersparnisse zu erreichen.» Das sanierte Verwaltungsgebäude benötigt dank des Eingriffs in die Gebäudehülle rund 70 % weniger Betriebsenergie und beweist, dass sich hochwertige Nachkriegsbauten und aktuelle Anforderungen an Bauphysik und Klimaschutz nicht widersprechen. Ganz im Gegenteil: In ihrer Vereinigung liegt grosses Potenzial.

Dieser Text erschien erstmals in leicht abgeänderter Form in Heimatschutz/Patrimoine 2/2023.

Erneuerung Geschäftshaus, Brugg

 

Bauherrschaft
Brugg Immobilien, Brugg

 

Architektur
Tschudin Urech Bolt Architekten, Brugg

 

Landschaftsarchitektur
Westpol Landschaftsarchitektur, Basel

 

Baujahr
1956–1957

 

Erneuerung
2021–2023

 

Schutzstatus
kommunal geschützt

Mit Unterstützung von energieschweiz und Wüest Partner sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»

Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»


Nr. 3/2020 «Immobilien und Energie: Strategien der Transformation»


Nr. 4/2021 «Immobilien und Energie: Mit Elektromobilität auf gemeinsamen Pfaden»

Nr. 5/2022 «Immobilien und Energie: Strategien des Eigengebrauchs»

 

Nr. 6/2023 «Immobilien und Energie: Wertschätzung für das Bestehende»


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