En­fi­la­de oder das Ge­heim­nis des Ge­wöhn­li­chen

Immeuble aux Boveresses, Lausanne (VD)

Kurzfassung des Artikels von Camille Claessens-Vallet für die Publikation «Baukultur: Qualität und Kritik».

Publikationsdatum
01-03-2022

Das Lausanner Stadtquartier Les Boveresses besteht fast nur aus Wohnbauten für wirtschaftlich schwache Mieterinnen und Mieter. Sobald ihr Einkommen steigt, müssen sie jedoch aus ihrer Wohnung ausziehen. Die in den 1960er-Jahren erstellten Sichtbetonbauten mit gestaffelten Fassaden rufen bei den meisten Betrachtern die als problematisch geltenden Grossüberbauungen französischer Banlieues in Erinnerung. Mit dem Ziel, die soziale Durchmischung im Quartier zu fördern, lancierte die Genossenschaft Logement Idéal 2016 einen Studienauftrag, der einen Neubau mit Kindertagesstätte, Ludothek und 60 mietzinskontrollierten 1.5- bis 6.5-­Zimmer-Wohnungen vorsah.
Das Siegerbüro Fruehauf, Henry & Viladoms (FHV) liess sich für sein Projekt von der Morphologie und Materialität der düsteren Nachbargebäude inspirieren. Das wirft die berechtigte Frage auf, ob es sinnvoll ist, dieses bauliche Erbe weiterzutragen.

Man darf sich jedoch nicht mit dem ersten Eindruck zufriedengeben. Denn es ist eine Sache, Ausnahmewerke zu zelebrieren, und eine ganz andere, Sozialwohnungen zu bauen, in die kaum jemand investieren möchte. Das gesamte Neubauprojekt in Les Boveresses kostete lediglich 25 Mio. Franken. Neben diesen wirtschaftlichen Vorteilen weist es bei genauerer Betrachtung auch grosse gestalterische und räum­liche Qualitäten auf.

Im Video erklärt Camille Claessens-Vallet, weshalb das Projekt in ihren Augen für hohe Baukultur steht.

Die Fassaden des Neubaus unterscheiden sich durch die vertikalen Proportionen und die vielfältige Staffelung von den tristen und repetitiven Grossüberbauungen in der Nachbarschaft. Um die Fassaden zu verstehen, muss man den – faszinierenden – ­orthogonalen Grundriss des Projekts lesen. Dieser entwickelt sich in der Nord-Süd-­Achse in einem strengen Raster von 3.60 m und in der Ost-West-Achse in einer freieren Folge zu einer Enfilade. Der kompakte und trotzdem grosszügige Grundriss verleiht auch den kleinsten Wohnungen einen Hauch von Prunk, der sich an den italienischen Villen des 16. Jahrhunderts orientiert.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Baukultur: Qualität und Kritik». Bestellen Sie jetzt!

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