Gott liegt in der Luft
Editorial von Tracés 11/2015
Das aufblasbare Gebilde, das am Pfingstwochenende auf der Place de la Riponne in Lausanne emporragte, war deswegen so anziehend, weil es auf den ersten Blick wie eine Verkörperung des Mythos vom Instant-Städtebau aussah dieser optimistischen und naiven städtebaulichen Herangehensweise von Archigram, Hans-Walter Müller und dem Kollektiv Aérolande, die davon ausgeht, dass so ein offenes, luftiges Gebilde zwangsläufig humanistisches, fortschrittliches Gedankengut transportiert.
Die Idealvorstellung einer Stadt, in der die Freude über das Beisammensein sofort hervorsprudelt und sich in luftig-leichten Bauten manifestiert, löste sich recht schnell buchstäblich in Luft auf, als ich feststellte, dass das fragliche Gebilde von einer Religionsgemeinschaft in Auftrag gegeben worden war.
Die grösste aufblasbare Kirche der Schweiz! Beim Näherkommen wurde man sofort von Missionaren überfallen, die einem die wahre Lehre predigten. Ein junger Mann verkündete nachdrücklich, dass man das jüdische Volk dringend in Israel zusammenführen müsse, damit das Ende der Welt nahen und der Messias zurückkehren könne. Als Beleg für seine bizarren Forderungen führte er eine wörtliche Interpretation der Heiligen Schrift ins Feld. Gleich darauf geisselte seine Kollegin, die die Selbstsicherheit einer von ihren Worten absolut überzeugten Grundschullehrerin versprühte, Abtreibungen und vorehelichen Geschlechtsverkehr. Und das Ganze war in eine unverdauliche Mischung aus Country und Rock zu Ehren von Jesus getaucht.
Ich brauchte einige Tage, um zu begreifen, was dieses merkwürdige Erlebnis mit mir gemacht hatte. Die Tatsache, dass ich miterlebt hatte, wie mein ganz persönliches Ideal, der Instant-Städtebau, buchstäblich und inhaltlich völlig sinnlos zum Werkzeug von Bekehrern geworden war, war eine Enttäuschung.
Die sozialen, offenen und aufgeklärten architektonischen Vorläufer der aufblasbaren Kirche waren nicht automatisch Garant für den intelligenten Gebrauch dieser luftgefüllten Gebilde, ganz im Gegenteil!
Ich habe versucht, in Erfahrung zu bringen, wie die Stadt Lausanne dazu steht. Ich wollte wissen, ob diese Struktur unter der Schirmherrschaft der Stadt stand und ob das, was man dort zu hören bekam, repräsentativ für die kommunale Politik in Sachen Gemeinsinn und Meinungsfreiheit war. Ich habe bis heute keine Antwort bekommen.