Geo­tech­nik: Nu­me­ri­sche Me­tho­den für ­Grenz­zu­stand der Trag­si­cher­heit

Die aktuelle Regelung für geotechnische Tragsicherheitsnachweise nach SIA 267 ist beschränkt praktikabel, wenn numerische Modelle zum Einsatz kommen. Die nächste Generation des EC 7 wird sich damit beschäftigen. Erste Einblicke von der Normenkommission SIA 267.

Publikationsdatum
20-09-2023

Die konventionelle Bemessung von geotechnischen Tragstrukturen erfolgt üblicherweise nach dem Konzept der Partialfaktoren, wie es im Eurocode 7 (EC 7) oder der Norm SIA 267 Geotechnik geregelt ist. Erfolgt die Bemessung für den Grenzzustand der Tragsicherheit über ein numerisches Modell, sind die Faktorisierungsansätze der SIA 267 beschränkt praktikabel. Aus diesem Grund wurden in der letzten Dekade diverse Studien mit Resultaten zu den Aus­wirkungen von unterschiedlichen Faktorisierungsmöglichkeiten in numerischen Modellen publiziert. Die spezifische Anwendung von Partialfaktoren in numerischen Modellen wird auch Gegenstand der zweiten Generation des EC 7 sein. Dieser Artikel gibt einen Ausblick auf die vorgesehene Umsetzung im kommenden EC 7.

Ausgangslage

Die wesentlichen Bestandteile des aktuell gültigen EC 7 und der SIA 267 sind in etwa zeitgleich vor rund 20 Jahren entstanden. Damals domi­nierten in der geotechnischen Bemessung von alltäglichen Aufgaben analytische Beziehungen und Grenzgleichgewichtsbetrachtungen. Die Anwendung der Partialfaktoren wurde daher in diesen beiden Normen auf die Verwendung solcher Modelle abgestimmt. In letzter Zeit kamen vermehrt numerische Modelle, beispielsweise die Finite-Elemente (FE)-Methode, für die Bemessung von geotechnischen Tragwerken in der alltäglichen Praxis zum Einsatz. Während für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (SLS) die Verwendung von numerischen Modellen schlüssig in den Rahmen der beiden Normen gebracht werden kann, ist dies für den Grenzzustand der Tragsicherheit (ULS) weniger klar vorgegeben. Das liegt daran, dass die Normen teilweise eine Beaufschlagung von Grössen mit Par­tialfak­toren verlangen, die in den Soft­wareprodukten für numerische Modellierung nur bedingt umsetzbar ist, da solche Grössen beispielsweise Gleichgewichtsbedingungen unterworfen sein können. Das hat dazu geführt, dass in der Fachliteratur mehrere Studien zur Verwendung von unterschiedlichen Nachweisformaten erschienen sind (vgl. Literaturhinweise).

Kommende Eurocodes der zweiten Generation

Eine grundlegende Anpassung der geotechnischen Normierung findet aktuell mit der Erarbeitung der ­Eurocodes der zweiten Generation auf europäischer Ebene statt. Die Schweiz ist im Bereich der Geotechnik über die Normenkommission SIA 267 ebenfalls in das Projekt involviert. Im Vergleich zur ersten Generation wird die zweite Generation des EC 7 stärkeren Einfluss auf die geotechnischen Belange in der Schweiz haben. Die aktuelle Entwurfsversion beinhaltet diverse Neuerungen, wovon einige auch die hier beschriebene Thematik betreffen. Die folgenden Erläuterungen basieren auf der Vernehmlassungsversion vom August 2022.

Faktorisierungs­ansätze für numerische Methoden nach EC 7

Auf Basis der aktuell weit vorangeschrittenen Entwurfsversion des neuen EC 7 folgt ein Überblick auf die kommende Faktorisierung im ULS. Die Abschnitte im neuen EC 7 bezüglich numerischer Methoden haben alle empfehlenden Charakter. Bei einer konventionellen Bemessung mittels Partialfaktoren erfolgt die Faktorisierung der repräsentativen Grössen weiterhin nach den Ansätzen MFA (Material Factoring Approach), RFA (Resistance Factoring Approach) und EFA (Effect-of-Action Factoring Approach).

Bei numerischen Ansätzen empfiehlt der EC 7 die Verwendung des MFA (in Bezug auf numerische Modelle spricht der EC 7 dann vom Input-Ansatz) und des EFA (Output-Ansatz), (vgl. auch Tabellen in der Galerie). Infolge der unterschiedlichen Implementierung der Partialfaktoren ist die Berechnung nach beiden Ansätzen auszuführen. Die Überprüfung eines dieser Ansätze kann entfallen, wenn offensichtlich ist, dass der andere Ansatz ungünstiger ist.

Der Input-Ansatz sieht die Faktorisierung der Eingabeparameter vor. Die geotechnischen Eigenschaften sind mit Beiwerten gemäss dem Partialfaktorenset für Material­eigenschaften M2 zu reduzieren. Die Einwirkungen werden mit den Faktoren des Verification Case 3 (VC3) kombiniert. Bei diesem Ansatz werden im EC 7 zwei Umsetzungsarten beschrieben:

  • Faktorisierung über eine Festigkeitsreduktionsprozedur: Dabei werden die Baugrundeigenschaften schrittweise reduziert, bis sie dem Bemessungswert der Eigenschaft entsprechen.
  • Faktorisierung zu Beginn der Berechnung: Die Berechnung erfolgt mittels faktorisierten geotechnischen Kenngrössen.

Beim Output-Ansatz wird die Auswirkung bzw. die im Modell berechnete Beanspruchung im Nachgang faktorisiert. Dabei werden die geotechnischen Eigenschaften mit dem Partialfaktorenset für Materialeigenschaften M1 beaufschlagt, wobei für alle Baugrundeigenschaften gMÊ= 1.0 gilt. Nach der Berechnung im FE-Modell werden aus den Beanspruchungen die Bemessungswerte unter Ansatz der Partial­faktoren gemäss VC4 abgeleitet. Demzufolge werden ungünstig wirkende Beanspruchungen mit gE ≈ 1.35 und günstig wirkende Auswirkungen mit gEÊ= 1.0 faktorisiert. Alternativ zum erwähnten Ansatz kann die numerisch basierte Überprüfung des Grenzzustands der Tragsicherheit auch über die Faktorisierung der Auswirkungen gE mit dem VC4 und der Faktorisierung des Widerstands gR erfolgen.

Schlussfolgerungen

Mit der aktuellen Vorgehensweise gemäss EC 7, die sich mit den heute bereits verwendeten Ansätzen in der Praxis teilweise deckt, liegt eine normative Empfehlung für die Implementierung der Partialfaktoren in numerischen Methoden vor. Damit können diverse Praxisfälle auf einer gemeinsamen Basis bearbeitet werden. Es sei aber erwähnt, dass insbesondere bei der Verwendung von komplexeren Stoffgesetzen Interpretation und Beurteilung durch Ingenieurinnen und Ingenieure weiterhin unerlässlich bleiben.

Literaturhinweise

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