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Was bringt der Standard - Wo hapert es?

28 Pilotprojekte wurden nach dem neuen Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) bewertet. Fünf Beispiele zeigen, wo seine Anwendung den Planern Vorteile bringt und wo die Entwickler nachbessern müssen.

Publikationsdatum
07-05-2014
Revision
14-04-2016

Bei der Lancierung des neuen Standards im Juni 2013 lud das Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz dazu ein, den Standard auszuprobieren und sich an der Pilotphase zu beteiligen. Das Interesse war gross, sodass aus den ursprünglich geplanten 10 bis 15 Pilotprojekten schliesslich 28 wurden. Bei deren Auswahl hat man darauf geachtet, ein möglichst breites Spektrum an Projekten abzudecken – Neubauten und Sanierungen aus der ganzen Schweiz mit verschiedenen Projektgrössen, Nutzungen und Bauherrschaften. Genau ein Jahr später, am 12. Juni 2014, wird die Pilotphase mit mit einer Veranstaltung abgeschlossen.

Sanierung: Geschäftshäuser - Mühlebachstrasse 9–17, Zürich

Text: Susana Elias, Nachhaltigkeitsberatung, Ernst Basler + Partner, Zürich

Die Gebäude des Planungs- und Beratungsunternehmens Ernst Basler + Partner (EBP) in Zürich wurden in drei Etappen saniert (1996, 2000, 2012; Architektur Romero & Schaefle und e2a; Gebäudetechnik, Bauingenieur: EBP). Aus der Pilotbewertung mit dem neuen Standard konnte EBP, das zusammen mit Wüest & Partner den Bereich Wirtschaft erarbeitet hat, selbst erfahren, wie er sich in der Anwendung bewährt. Insgesamt ist der Standard – nach einer leichten Überarbeitung – ein sehr gutes Instrument zur Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes bei überschaubarem Aufwand. Er berücksichtigt wichtige Kriterien wie Artenvielfalt und Zersiedlung, die durch andere Instrumente nicht abgedeckt werden. Vor allem ist er sowohl für Neubauten als auch für Bestandsgebäude nutzbar, was bisher noch kein Beurteilungssystem geboten hat. Für eine prüf- und nachvollziehbare Version in Form eines Labels ist aber noch ein grosser Schritt erforderlich.  

Neubau: Mehrfamilienhaus - Kirchrainweg 4a, Kriens

Text: Stefan Gassmann, Dipl. Arch. FH, aardeplan ag, Baar

Der Neubau wurde im April 2013 bezogen und entspricht dem Minergie-A-Eco-Standard (Architektur: aardeplan ag, Baar). Die Pilotbewertung mit dem SNBS hat gezeigt, dass er die ganze Breite des Nachhaltigen Bauens gut abdeckt. Die Genauigkeit ist bei vielen Kriterien (z. B. Schadstoffe im Innenraum, Mobilität) aber zu gross bzw. mit aufwendigen Messungen verbunden. Zudem gibt es Bereiche, die für kleinere Gebäude ein Nachteil sind: Beim Kriterium «Diversität – Wohnungsmix» gibt es nur den Fokus Gebäude. Der eher homogene Wohnungsmix in einem kleineren Gebäude ist aber möglicherweise die ideale Ergänzung für die Umgebung. Auch beim «Regionalökonomischen Potenzial» werden kleinere Gebäude schlechter bewertet, was nicht logisch ist. Der Aufwand für das Zusammenstellen der Unterlagen ist gegenüber Minergie-Eco markant höher und wird dadurch für Investoren und Architekten wohl zu wenig attraktiv sein, besonders bei kleineren Projekten. 

Sanierung: Tscharnergut, Bern

Text: Martin Balmer, MAS Nachhaltiges Bauen, Partner Gartenmann Engineering AG, Bern

Das Tscharnergut ist eine denkmalgeschützte Grossüberbauung in Bern, die zwischen 1958 und 1965 errichtet wurde. Ein Scheibenhaus (Waldmannstrasse 25) wird als Pilotprojekt für die gesamte Überbauung saniert und auch nach SNBS beurteilt (Architektur: Rolf Mühlethaler, Bern, und Matti Ragaz Hitz AG, Liebefeld).

Nachhaltigkeit wird heute oft mit den Anforderungen der Energielabels gleichgesetzt. Da kann (und will) die Sanierung Tscharnergut jedoch nicht viel bieten. Dafür treten gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen in den Vordergrund. Aus verschiedenen Gründen (Denkmalpflege, Mindestbreite Laubengänge, Bauphysik usw.) können die bestehenden Bauteile teilweise nur minimal gedämmt werden. Der Komfort im Bereich Schallschutz und Tageslicht entspricht auch nach der Sanierung im Wesentlichen dem Originalzustand von 1961 und schneidet in der SNBS-Bewertung entsprechend schlecht ab. Trotzdem punktet das Projekt durchaus bei einigen umweltrelevanten Themen wie Ressourcenschonung oder -Landschaftszersiedlung. Bei Letzterem wurde jedoch die höchste Punktzahl aufgrund der etwas zu tiefen Ausnutzungsziffer nicht erreicht. Ein Kritikpunkt des Tscharnergut-Projektteams ist, dass in diesem Punkt eine Sanierung schlechter abschneidet als ein Neubauprojekt mit optimalen Voraussetzungen (in geschlossener Siedlung, hohe Ausnutzungsziffer, optimierte Wohnfläche pro Person). 

Der Standard legt die Systemgrenze für die Beurteilung um ein Gebäude. Gerade im Einzelprojekt Waldmannstrasse 25 führte dies teilweise zu einer schwierigen Beurteilung, weil die Wohngebäude, das Restaurant, das Einkaufszentrum und die übrigen Einrichtungen als Ensemble funktionieren. Im Bereich der Diversität beispielsweise mussten aber Punkteabzüge hingenommen werden, da in der Waldmannstrasse 25 keine Mischnutzung vorhanden ist. Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich jedoch innerhalb des Tscharnerguts ein kleines Einkaufszentrum, das in diesem Punkt nicht in die Bewertung eingeflossen ist. Die nahen Einkaufsmöglichkeiten sind dafür z. B. in der Ortsanalyse und bei der Mobilität positiv bewertet worden. 

Grundsätzlich ist das SNBS-Tool eine sehr gute und umfassende Zusammenstellung der Themen der Nachhaltigkeit. Der Bearbeitungsaufwand geht zwar deutlich über die ersten Prognosen hinaus, trotzdem ist die Methode in keinem anderen Nachhaltigkeitslabel (DGNB, LEED usw.) ähnlich einfach aufgebaut. Ob diese Einfachheit in aller Konsequenz auch richtig ist und ein Gebäude damit umfassend beurteilt werden kann, gibt mit Sicherheit noch Anlass zu Diskussionen.

Viele Kriterien funktionieren gegenläufig. Dies ist gewollt und gut so, da die Nachhaltigkeit gesamtheitlich über alle Themen beurteilt wird. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich Themen gegenseitig neutralisieren, wenn die Fragen nicht gewichtet werden, und so am Schluss jedes Gebäude in der Schweiz als «nachhaltig» bewertet wird. In einigen Punkten wäre eine Differenzierung der Fragestellungen respektive ihrer Gewichtung für Sanierungen bzw. Neubauten sowie je nach Nutzungstyp wünschenswert. Die Auswertung der Pilotprojekte gibt darüber sicher Aufschluss, sodass die notwendigen Schritte abgeleitet werden können. Man darf gespannt sein! 

Gesamterneuerung: Höhere Fachschule Gesundheit und Soziales Aarau

Text: Giancarlo Serafin, Leiter Fachstelle Nachhaltiges Bauen und Bewirtschaften DFR, Immobilien Aargau, Aarau

Die Immobilien Aargau (IMAG) beteiligten sich mit dem Projekt Gesamterneuerung Höhere Fachschule Gesundheit und Soziales HFGS, Aarau/Suhr an der Pilotphase SNBS (Realisierung ab 2016). Das Projekt des Generalplanerteams Kim Strebel Architekten aus Aarau ging aus einem Wettbewerb als Sieger hervor. Den Projektverfassern gelang es, die aus verschiedenen Epochen stammende Bausubstanz durch Rückbau, Ersatzneubau und Instandsetzung volumetrisch und architektonisch in eine Einheit zu giessen, die auch das bestehende Hochhaus in die Gesamtform einbindet. Dabei war der Standard Minergie-Eco oder ein vergleichbarer Standard zu erreichen. Ein Teil des Gebäudes beherbergt Ausbildungsräume für die Theorie und Praxis von Pflegeberufen, ein anderer Teil Büros.

Mit der Beurteilung nach SNBS bot sich die Gelegenheit, das Projekt hinsichtlich des nachhaltigen Bauens einer gesamtheitlichen Prüfung zu unterziehen und die gewählte Strategie im Umgang mit dem Bestand zu hinterfragen. Die Beurteilung erfolgte durch die IMAG-interne Fachstelle Nachhaltiges Bauen und Bewirtschaften mit Unterstützung des Generalplanerteams. Dabei konnte grösstenteils auf die Daten der bestehenden Nachweise und Berechnungen wie Minergie-Eco oder Baukostenberechnungen zurückgegriffen werden. Weil das Projekt aus einem Wettbewerbsverfahren hervorging, erreichte es eine hohe Bewertung in den gesellschaftlichen Kriterien. Ansonsten waren jedoch einige Knackpunkte in der Anwendung zu lösen:

Der Standard existiert in der aktuellen Version nur für Verwaltungs- und Wohnbauten. Beim Projekt HFGS, das Räume für Verwaltung und Schule beinhaltet, stellte sich bei einigen Kriterien der Themen Gesellschaft die Frage nach der Abgrenzung oder nach einer Teilbewertung, damit das Resultat nicht aufgrund der nutzungsspezifischen Bewertungsskala verfälscht wird (z. B. bei den Themen Nutzung und Raumgestaltung, Planung und Zielgruppen). 

Ebenso musste festgestellt werden, dass einige Kriterien bei einer Anwendung auf ein Projekt der öffentlichen Hand an die Grenzen der Anwendbarkeit stossen, insbesondere wenn es um Fragen der Handelbarkeit, Vermietungssituation oder Mieterstruktur geht.

Ausserdem müssen einzelne Kriterien/Indikatoren/Bewertungsskalen überprüft werden, wie zum Beispiel die LzK-Berechnung nach IFMA, weil die Werte des Projekts weit über der in der Skala vorgesehenen Bandbreite lagen. Da die Kriterien innerhalb der Bereiche gleich gewichtet sind, ist aufgrund der Gesamtnote nicht ersichtlich, wo die Schwerpunkte des Projekts liegen. Die Gesamtnote muss deshalb zwingend im Kontext der einzelnen Themenbereiche betrachtet werden. Dazu kommt, dass die Maximalnote 6 gar nicht erreichbar ist. Das Schulnotensystem kann jedoch negative Emotionen wecken, insbesondere bei einer Note unter 4. 

Der Aufwand bei der Anwendung bleibt im Vergleich zu anderen Nachhaltigkeitsinstrumenten wie LEED oder DGNB in einem vertretbaren Rahmen. Trotzdem erlaubt es die Bewertungstiefe, das Projekt phasengerecht hinsichtlich Nachhaltigkeit zu optimieren. Es ist sicherlich zu begrüssen, wenn in Zukunft weitere Nutzungsarten im SNBS angeboten und letzten Endes Projekte mit einem Label zertifiziert werden können. 

Ersatzneubau: Stampfenbachstrasse 30, Zürich

Text: Paul Eggimann, Bauökologe, Hochbauamt Kanton Zürich

Der im Sommer 2013 bezogene Büroneubau an der Stampfenbachstrasse bietet Platz für 110 Arbeitsplätze der kantonalen Gesundheitsdirektion (Architektur: Voelki Partner Architekten, Zürich). Der Bau ist nach Minergie-P-Eco zertifiziert.

Bei der Bewertung nach SNBS umfassen die ersten drei Themen des Bereichs Gesellschaft hauptsächlich architektonische Aspekte. Da ein Projektwettbewerb durchgeführt wurde, der selbstverständlich in der Bauaufgabe auf die Umgebung Rücksicht bzw. Bezug nimmt, sowie dank der flexiblen Raumgestaltung und einem Angebot an Gemeinschaftsräumen erreicht das Gebäude hier durchgehend gute Bewertungen. 

Anspruchsvoller wurde es beim Thema Gesundheit und Wohlbefinden. Hier wurden die Vorgaben von Minergie-Eco angewendet. Schlechte Noten in den zusätzlichen Indikatoren «Ausblick» und «Nicht ionisierende Strahlung» drücken den Notenschnitt jedoch merklich. Insgesamt wurde aber eine gute Note erreicht. 

Der Bereich Wirtschaft analysiert das Objekt aus Sicht des Investors. Neben den Eigenheiten des Gebäudes wird auch dessen Lage berücksichtigt. Als voll erschlossener Bau direkt beim Hauptbahnhof in Zürich kann das Objekt hier punkten. Die Bewertung der Vermietungssituation passt jedoch für den Kanton als Investor nicht. So profitiert der Bau zwar von der vollständigen «Vermietung» von Beginn weg, erhält aber schlechte Noten, da nur ein einziger Mieter eingemietet ist. Da ein weiterer Bürobau in Zürich zudem keine regionalökonomischen Impulse auslöst, ruiniert die schlechte Note den Gesamtschnitt in diesem Bereich.

Der Einbezug der Investorensicht in eine gesamtheitliche Nachhaltigkeitsbetrachtung ist sicher unbedingt nötig. Ob ein Investor, der sich bis anhin bereits vertiefte Gedanken zur Rentabilität gemacht hat, seine Investitionsentscheide aber nun auf dieses Tool abstützt, darf bezweifelt werden. Die Auswertungen zeigen auch, dass ein Investor, der wie der Kanton Zürich seine Bauten langfristig hält, wohl andere Kriterien anwenden wird als Investoren, die primär die kurzfristige Rendite im Fokus haben. Ausserdem sind Renditeerwartungen stark abhängig von den Entwicklungsprognosen.

Grundstock der Bewertung im Bereich Umwelt sind die Vorgaben von Minergie. Zusätzlich wurden die graue Energie, der CO2-Ausstoss, die Mobilität und das Thema Natur und Landschaft aufgenommen. Die Anforderungen im Energiebereich sind sehr anspruchsvoll. Minergie-P reicht bei der Betriebsenergie nur für die Note 4! Der Einbezug der Mobilität ist relativ einfach gehalten und aussagekräftig. Das Thema Natur und Landschaft wäre gerade für städtische Gebiete ein sehr wichtiges Thema. Die Umsetzung vermag aber noch nicht zu überzeugen. Insgesamt ermöglicht das vorliegende Tool eine sehr gute Selbsteinschätzung für Bauherren. Der Weg zu einem Label ist aber noch sehr weit und wird noch grossen Aufwand erfordern.

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