«An der ETH ha­ben wir ge­lernt, wie man den Din­gen auf den Grund geht»

Studium an der ETH, Büro in Deutschland

In einer Serie präsentieren wir junge deutsche Architekturbüros mit Verbindung zur ETH Zürich. summacumfemmer beleben in ihren Projekten Utopien aus der Vergangenheit und verwandeln diese in Räume für die Zukunft.

Publikationsdatum
19-08-2020

Das Büro summacumfemmer wurde 2015 in Leipzig gegründet. Anne Femmer hat ihren Masterabschluss 2010 an der ETHZ erworben und hat an der Professur von Christian Kerez sowie Jan de Vylder als Assistentin gearbeitet. Florian Summa hat sein Diplom an der RWTH Aachen im Jahre 2011 abgeschlossen und an der Professur von Adam Caruso assistiert. Durch ihre Mitarbeit in Büros in verschiedenen Ländern haben sie sich ein breites Repertoire angeeignet. Ihre ersten Projekte zeigen Ideen und Grundlagen für aktuelle Fragen des Wohnens.

Privates Wohnen bei Dresden

«Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?» betitelte Richard Hamilton seine Collage für den Katalog der Ausstellung This is Tomorrow in London (1956). summacumfemmer stellen diese Frage im Jahr 2016 erneut und zeigen eine Antwort in Form eines Wohnhauses für eine private Bauherrschaft.

Das «Haus B» positioniert sich an der Nordgrenze eines grossen Gartengrundstücks in einem kleinen Ort bei Dresden. Das rechteckige Satteldach überdeckt Innen- und Aussenräume; der Baukörper unter dem Dach bildet eine klare Kante nach Norden und fächert sich zum Garten hin auf, sodass gedeckte Aussenräume entstehen.

Die Ausführung ist einfach und direkt: Während eine Stahl-Systembauhalle das Dach trägt, werden die Innenräume als Holzrahmenbau daruntergestellt. Der Rückgriff auf standardisierte Elemente ermöglichte es, kostengünstig zu bauen, den gedeckten Aussenraumbedarf der Bauherrschaft geschickt zu integrieren und somit eine komfortable Alternative zum Fertighaus zu schaffen.

Der dunkle Anstrich von Dachuntersicht und Fensterrahmen gibt den Standardelementen eine veredelte Anmutung. Die Kriterien popular, transcient, expandable, low cost, mass produced, young, witty, sexy, gimmicky, glamorous, big business, mit denen Hamilton die Alltagskultur charakterisierte, sollen für das zeitgenössische Bauen erneut fruchtbar gemacht werden.

Genossenschaftliches Wohnen in München

Der Entwurf für ein genossenschaftliches Wohnhaus soll an die Utopien des International Style anknüpfen – es handelt sich um das Ergebnis des ersten Wettbewerbs «San Riemo» der Genossenschaft Kooperative Grossstadt im Münchner Stadtteil Riem.

Das Projekt wird seit dem Wettbewerb zusammen mit der Architektin Juliane Greb aus Belgien bearbeitet und befindet sich derzeit im Bau. Das langgestreckte Haus gliedert sich im Grundriss in drei Schichten; Bäder, Treppen und Lifte liegen in der mittigen Schicht. Jedes Treppenhaus erschliesst zwei Nuclei, diese dienen als Eingangshallen und Wohnküchen und werden über die beiden äusseren Raumschichten belichtet, die die Wohn-, Schlaf- oder Arbeitsräume aufnehmen.

Die flexible Grundstruktur des Betonskeletts ermöglicht schaltbare Räume, die offen oder ausgefacht verschiedene Nutzungsszenarien zulassen. Wohnformen wie das Basiswohnen, das Filialwohnen und das Nukleuswohnen werden je nach Bedarf überall möglich.

In ihrem Essay «Hauntology», der 2018 in der Münchner Architekturzeitschrift «Planphase» publiziert wurde, thematisieren die Architekten die Möglichkeit der Wiederbelebung von Utopien aus der Vergangenheit. Sie beziehen sich dabei u.a. auf Jacques Derrida, der den Begriff Hauntology – im Sinn von Geistern der Vergangenheit, die die Gegenwart auf kritische Art und Weise heimsuchen – in den 1990er-Jahren prägte. In ihren Entwürfen entwickeln summacumfemmer eine Verbindung von allgemeingültigen und spezifischen Lösungen für die heutige Gesellschaft und das zeitgenössische Bauen.

TEC21: Was sehen Sie als grösste Chance in Ihrer Stadt, ihrer Region?

summacumfemmer: Für uns war es nie so wichtig, wo unser Büro eigentlich ist. Wir fühlen uns durch und durch als europäische Architekten. Schon vor der Selbstständigkeit haben wir in unterschiedlichen Städten gearbeitet – in Zürich, London, Gent. Zwei Jahre lang war unser Büro eigentlich im Zug zwischen Zürich und Leipzig. In Zürich hatten wir unsere ETH-Assistenzen, in Leipzig hatten wir begonnen, erste Projekte zu realisieren. Wir wollten beides gleichzeitig: Freiheit und Austausch. Das hat gut funktioniert. In Leipzig fühlen wir uns sehr frei, hier kann man gut Dinge anpacken und verändern. Und unsere ETH-Assistenzen haben gleichzeitig viel Input für den Kopf geliefert. 

TEC21: Wo ist der Bezug zur ETH Zürich und zur Schweiz in Ihrer Arbeit spürbar?

summacumfemmer: An der ETH haben wir gelernt, wie man den Dingen auf den Grund geht. Wie man von der Oberfläche zum Kern vordringt. Formal, aber auch strategisch. Das hat uns beide am meisten interessiert. Das Bauen in Deutschland funktioniert anders als in der Schweiz, klar. Und das Bauen in der Schweiz funktioniert auch anders als in Belgien oder Grossbritannien, wo wir ebenfalls an Projekten gearbeitet haben. Wir möchten herausfinden, was in Deutschland möglich ist. Bautechnisch, aber auch gesellschaftlich. Wir wissen es natürlich noch nicht. Die Schweiz ist dabei oft ein Vorbild. Aber die Strategien, Ideen und Bilder müssen transformiert werden, damit sie in Deutschland möglich sind. Diese Arbeit finden wir spannend, denn sie treibt uns an, die Dinge wirklich zu verstehen. 

TEC21: Was sind aktuelle Inspirationen Ihrer Arbeit?

summacumfemmer: Eine schwierige Frage – darüber könnten wir uns sicherlich einen ganzen Tag unterhalten! Bauen ist für uns eine sehr politische Angelegenheit. Architektur ist für uns nicht so autonom, wie sie oft beschrieben wird. Wer baut, setzt immer ein politisches Zeichen: So wird gewohnt, gearbeitet, gelebt. Wir werden automatisch aufgefordert, uns zu positionieren. Es macht uns Spass, dass unsere Disziplin so universell ist und zu vielen gesellschaftlichen Bereichen Aussagen abverlangt. Darin liegt wohl die Herausforderung.

In unserer Online-Serie «Debüt» präsentieren wir die Werke junger Architekturbüros. Dieser Beitrag  ist Teil einer Reihe, die den Schwerpunkt auf Architektinnen und Architekten mit Bezug zur Schweiz setzt, die ihr Büro in Deutschland gründeten.

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