Aus­sen­raum mit Iden­ti­tät

Um ein neues Zentrum zu kreieren, braucht es nicht nur flexi­blen, leistbaren Wohnraum. Der Ort muss durch Attraktivität, Infrastruktur und Identifikationspotenzial überzeugen. Zürich-Affoltern ­möchte mit einer Neugestaltung des Zentrumsplatzes dieses Ziel erreichen.

Publikationsdatum
08-06-2023

Arealentwicklung Zentrum, Zürich-Affoltern; einstufiger (nicht anonymer) Studienauftrag mit Präqualifikation

Die Wohnungslage in Zürich ist problematisch. Dies hat sich nicht erst im Rahmen der wieder steigenden Zinsen und dem damit verbundenen Attraktivitätsverlust des Erwerbs von Wohneigentum gezeigt. Weniger innerstädtische Gebiete wie Oerlikon, Altstetten und Zürich-Affoltern werden als Wohnorte immer attraktiver und ihre Umstrukturierung und Verdichtung zur Voraussetzung für einen möglichen Ausbau. Das bereits 2017 begonnene Verfahren um das Leitbild für die Neugestaltung des Zentrums von Zürich-Affoltern sieht verschiedene Leitsätze vor, die unter anderem folgende Aspekte anstreben:

  1. Zentrumsplatz mit (sozio-)kultureller Nutzung
  2. Bauliche Verdichtung mit inte­grier­tem historischem Ensemble
  3. Verstärkung der Quartiersverbindung zur Bahn
  4. Verbindung und Auffindbarkeit heterogen gestalteter Freiräume

Der Betrachtungsperimeter umfasst den trapezförmigen Bereich zwischen In Böden, Zehntenhaus-, Wehn­taler- und Jonas-Furrer-Stras­se. Acht in einem Präqualifikationsverfahren zugelassene Planerteams waren eingeladen, in einem einstufigen (nicht anonymen) Wettbewerb ihre Entwürfe einzureichen. Es galt, auf den 12 000 bis 12 500 m2 oberirdischer Geschossfläche 20 % Gewerbeanteil – und somit primär neuen Wohnraum im mittleren Preissegment (der Schwerpunkt liegt dabei auf 2.5- bis 3.5-Zimmer-Woh­nun­gen) anzubieten. Die Bebauung war mit grosser Sensibilität für die Schnittstellen zu den separat bearbeiteten Projekten für eine Tram­station, die Instandsetzung des inventarisierten Zehn­tenhauses und die Gestaltung des Zentrumsplatzes zu konzipieren. Grösse, Zugang und Position von Zehntenhausgarten und Zentrumsplatz waren ebenfalls Gegenstand dieses Wettbewerbs.

Es war den Büros freigestellt, sich mit einer heterogenen Zusammenstellung unterschiedlicher Volu­mina oder in Anlehnung an die Machbarkeitsstudie mit einer Hofbebauung auseinanderzusetzen. Ein Hochhaus mit «besonders sorgfältiger Gestaltung» und maximal 40 m Höhe wurde als Akzent gefordert.

Mit Lisa Ehrensperger holte man sich eine Vorsitzende in die Jury, deren Büro dafür bekannt ist, weniger stilistische Attitüden als konzeptionelle Haltungen zu fördern. Damit erfüllen die Migros-Pensionskasse und die Post Immobilien Management und Services als Grundeigentümerinnen die Voraussetzung, dass der Entscheid auf ein Projekt fällt, das neben der Bewältigung komplexer Anforderungen dem Wunsch nach einem hohen Identifikations­potenzial nicht durch formalistische Effekte entspricht, sondern für Nachhaltigkeit steht.

Städtebau vor Fassade

Die Jury kürt den Entwurf von Schwabe Suter Architekten mit Studio Vulkan Landschaftsarchitektur zum Sieger. Die Formulierung und Platzierung von drei Solitärbauten schaffen eine Situation, die selbstverständlich auf die notwendigen städtebaulichen Anforderungen eingeht und damit die wichtigste Aufgabe löst.

Der (fast) parallel zum Zehn­tenhaus stehende Baukörper im nord­östlichen Teil des Areals ist zwar höher als das historische Gebäude, erweist diesem aber durch gebührenden Abstand Respekt. Gleichzeitig kreiert er genug Freiraum für einen grosszügigen Garten. Durch die höhere Geschosszahl kann die Grundfläche verhältnismässig klein gehalten werden. Das wiederum ermöglicht die notwendige Ausdehnung des Zentrumsplatzes. Auch die Geländesprünge sind sinnvoll integriert.

Neben den lobenden Worten zum Städtebau stellt die Jury den architektonischen Ausdruck der Bauten infrage. Den geforderten «erhöhten gestalterischen Anforderungen» genügt die Ausarbeitung der Fassaden so kaum. Die vorgeschlagenen Grundrisse hingegen sind flexibel nutzbar und wohlpropor­tioniert. Sie überzeugen durch die weitgehende Bewältigung der Lärmschutzanforderungen und grosszügige private Aussenräume.

Weniger durchlässig

Der Entwurf der Büros von Ballmoos Partner Architekten und ­Neuland ArchitekturLandschaft verfügt über ein ähnliches aussenräumliches Konzept mit drei separaten Bauten. Diese stehen aber zulasten der Durchlässigkeit deutlich dichter bei­ei­­­­nander. Die Verwandtschaft der architektonisch heterogenen Volumina wird durch die gleiche Ausrichtung verstärkt. Dieser interessante Ansatz wird von der Jury gewürdigt. Problematisch ist die Höhe des zur Wehntaler­-stras­se gerichteten Riegels, dessen Massigkeit besonders in der Visualisierung anschaulich wird.

Unwirtschaftlich urban

Der in der letzten Runde ausgeschiedene Entwurf der ARGE HHF Architekten/Gus Wüstemann Architekten mit Sima | Breer Landschaftsarchitektur bringt einen besonders urban wirkenden Vorschlag, der das neue Zentrum identifiziert: Zwei Baukörper mit Ost-West-Ausrichtung flankieren eine die Topografie des Geländes aufnehmende Treppenanlage, die sowohl den Öffentlichkeitsgedanken unterstützt als auch eine fliessende Verbindung zwischen Zehntengarten und Zentrumsplatz schafft. Der zweigeschossige Sockelbereich trägt ebenfalls dazu bei und bietet zur Nutzung als Markthalle eine Alternative mit Gewerbeeinheiten.

Die unterdurchschnittliche Wirtschaftlichkeit (Flächeneffi­zienz) sowie erschwerte Erfüllung des Minergie-P-Eco Standards führen zum niedrigeren Rang.

Volumen neben Pavillon

Die ebenfalls in der letzten Runde ausgeschiedene ARGE Jan Kinsbergen Architekt / Bruther mit Studio Céline Baumann schlägt eine Variante mit zwei Grossvolumina und einem dreieckigen Pavillon vor. Der Aussenraum geht stufenlos vom Zehntenhausgarten in Ankunftszone und Zentrumsplatz über. Dies inspiriert eine vielfältige Nutzung und besticht durch die öffnende Geste des Pavillons. Nicht überzeugen kann das Projekt letztendlich wegen des mangelhaften Lärmschutzes, des hohen Glasanteils und Zweifeln an der Funktionsfähigkeit eigentlich schöner Entwurfsideen (z. B. Fassadenbegrünung).

Städtebau siegt

Bereits die Ausschreibung verlangte nach einer guten Lösung im städtebaulichen Bereich und setzte hier den Schwerpunkt. Das Siegerprojekt zeigt im Vergleich die über­­zeugend­s­te Lösung für eine nicht einfache Aufgabe. Kein anderes Projekt schafft es, Durchlässigkeit, Ge­bäudevolumen und Aufenthaltsqualität der Freiräume ähnlich sicher und selbstverständlich zu posi­tionieren und mit den Vorgaben von Baurecht und Wohnqualität zu verbinden. Dies wird der gewünschten Belebung des Zentrums zuträglich sein. Zudem ist die bestehende Identität des Orts nicht gefährdet, sondern wird verstärkt. Die neuen Baukörper wirken in ihrer Form und Grösse neben den Bestandsbauten nicht ortsfremd, sondern ergänzen diese zu einem zeitgemässen Ensemble.

Nach einer Neuüberlegung der altbacken wirkenden, an die 1960er- und 1970er-Jahre erinnernden Standardfassaden und Überarbeitung einiger Grundrisse (die direkt ins Wohnzimmer öffnenden WCs im Hochhaus sind fragwürdig) darf sich Affoltern auf ein neues, identitätsstiftendes Zentrum freuen.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 19/2023 «Besser baden in Bern».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Teilnehmende

Sieger: Schwabe Suter Architekten, Zürich; Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich

Gus Wüstemann Architekten, Zürich; HHF Architekten, Basel; SIMA | BREER Landschaftsarchitektur, Winterthur

Jan Kinsbergen Architekt, Zürich; Bruther, Zürich; Studio Céline Baumann, Basel

Von Ballmoos Partner Architekten, Zürich; Neuland ArchitekturLandschaft, Zürich

Demuth Hagenmüller & Lamprecht Architekten, Zürich; Mettler Landschafts­architektur, Gossau SG

Ernst Niklaus Fausch Partner, Zürich; vetschpartner Landschaftsarchitekten, Zürich

Futurafrosch ­­­– Architektur und Raumentwicklung, Zürich; Schmid Urbscheit Landschaftsarchitekten, Zürich

HLS Architekten, Zürich; asp Landschaftsarchitekten, Zürich

FachJury

Lisa Ehrensperger, Architektin, Zürich (Vorsitz); Gian-Marco Jenatsch, Amt für Städtebau, Stadt Zürich; Yvonne Rudolf, Architektin, Zürich; Daia Stutz, Landschafts­architekt, Zürich

SachJury

Nicolas Mumenthaler, Post Immobilien Management und Services; Willi Hohl, Migros-­Pensionskasse; Thomas Weilenmann, Migros-Pensionskasse (Vorsitz)

 

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