«Sinn­vol­les Bau­en ist ein mäch­ti­ges Werk­zeug»

Der Verein «Ingenieure ohne Grenzen»

Sie wollen Menschen in ihrem baulichen Vorhaben unterstützen und damit ihre Lebensbedingungen nachhaltig verbessern: Was die «Ingenieure ohne Grenzen» bewegt und was sie schon geschafft haben.

Publikationsdatum
01-06-2017
Revision
01-06-2017

Argentinien, im Juli 2013: Nach drei Tagen Fahrt durch die argentinische Pampa erreichte eine Truppe von 14 Studierenden am Abend des 21. Juli Colonia Dora, das in der Provinz San­tiago del Estero im Norden Argentiniens liegt. Die Bauingenieure, die Inge­nieurin Raumentwicklung und der Medizinstudent reisten an, um den rund 500 in der Umgebung lebenden Menschen zu einer besseren Trinkwasserversorgung zu verhelfen. Denn das Grundwasser kann aufgrund der natürlichen Verunreinigung durch Arsen nicht getrunken werden, und so muss Wasser mit Tankwagen herangekarrt werden. Da aber auf dem Zufahrtsweg eine Brücke eingestürzt war, erfolgte die Versorgung nur noch per Motorrad oder mit Eseln über eine behelfsmässige Fussgängerbrücke. Die Gruppe Bauingenieure, die sich aus dem Masterstudium kannte, plante, zwei Stahlbetonbrücken zu bauen, um die Versorgung wieder zu normalisieren und damit auch das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner.

Einwohner müssen mitziehen

Das Vorhaben gelang: Die Brücke wurde am 29. März 2014 offiziell eingeweiht. «Und wir haben viel dazugelernt», sagen Eric Carrera und Reto Weishaupt, die beim Bau in Argentinien dabei waren und sich heute im Vorstand von «Ingenieure ohne Grenzen» engagieren. Ihre wichtigsten Erkenntnisse: «Die betroffene Gemeinde muss für das Bauwerk Verantwortung übernehmen.» Und: «Sinnvolles Bauen ist ein mächtiges Werkzeug. Bauen kann das Leben von Menschen, die nicht gehört werden wie die Bewohner von Colonia Dora, deutlich lebenswerter machen», sagt Carrera.

Und so geht der Verein, der 2008 gegründet wurde, an die Projekte heran: «Wir wollen unterstützen, ihre Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern. Wichtig ist uns dabei der gegenseitige Wissens­transfer. Er gehört in erster Linie zu den Bedingungen für einen an­gemessenen Unterhalt und somit für den nachhaltigen Nutzen der ­realisierten Projekte. Nur wenn wir lokal bereits vorhandene Methoden und Techniken anwenden und optimieren, kann die Einbindung der Bevölkerung erreicht werden.» Die Motivation und der Einsatz der Einwohner ist Voraussetzung für den Projekterfolg, sind die beiden überzeugt. Und nur so macht das Vorhaben die Menschen nicht abhängig von der Hilfe aus der Schweiz.

Firmen werden gezielt angesprochen

Dass dafür vor Ort oft unkonventionelle Ansätze angewendet werden müssen, empfinden die beiden Bauingenieure als sehr bereichernd: «In der Schweiz kümmern wir uns oft um Luxusprojekte», sagt Eric Carrera, der heute Projektkoordinator im Vorstand von «Ingenieure ohne Grenzen» ist. «Mit Ingenieure ohne Grenzen können wir etwas ­bewirken, das nachhaltig Sinn ergibt», erklärt Weishaupt seine Motivation, einen ordentlichen Teil seiner Frei- und Ferienzeit für die Projekte von «Ingenieure ohne Grenzen» zu spenden.

«Die Projekte kommen zu uns», erklärt Weishaupt, der als Quästor im Vorstand amtet. Nach einer ausführlichen Abklärung und allenfalls Vorstudie entscheidet der Vorstand, ob das Projekt durch­geführt wird. Aktuell laufen rund vier Projekte. Und wie werden diese finanziert? «Wir sprechen gezielt ­Firmen aus der Baubranche für konkrete Projekte an. Oft Unternehmen, bei denen jemand arbeitet, den wir kennen», sagt Weishaupt. Dazu ­kommen Spenden und Mitgliederbeiträge – und die Arbeit des Vorstands, der ehrenamtlich tätig ist. «Wir machen keine reinen Finanzierungsprojekte», betonen beide. Auch die laufenden Vorhaben des Vereins könnten unterschiedlicher nicht sein: So soll in diesem Jahr ein Wohngemeinschaftshaus für Kriegswitwen in Bosnien entstehen. Hierfür haben sie nun zum ersten Mal mit Architekten zusammengearbeitet. Der Entwurf des Hauses stammt aus der Schweiz, und mit diesem reisen sie nun nach Bosnien.

Jeder kann sich im Fachpool registrieren

«Leider sind wir etwas Zürich-zentriert», bestätigen Weishaupt und Carrera. Darum haben sie an der ETH in Lausanne und in Luzern an der Fachhochschule Lunch-Seminare gehalten. Und noch lieber hätten sie mehr «gestandene Fachleute» in ihren Reihen, die mitten im Berufsleben stehen. Die meisten enga­gierten Mitglieder sind entweder Studierende oder junge Berufsleute. «Erfahrung interessiert uns», sagen beide. Darum wandten sie sich an die Berufsgruppe Ingenieure des SIA und haben den sogenannten Fachpool geschaffen, bei dem sich Interessenten eintragen können.

«Wir würden es begrüssen, wenn Arbeitgeber ihren Leuten für die Projektarbeit bei ‹Ingenieure ohne Grenzen› frei geben würden», finden die beiden Ingenieure – denn sie sind überzeugt, dass man bei ihren Projekten mehr lernt als in jedem Weiterbildungsseminar. Nämlich Flexibilität, technisches Wissen in der Praxis anwenden und vor allem Sozialkompetenz.


Ingenieure ohne Grenzen

Ingenieure ohne Grenzen Schweiz (IngOG+) ist eine Nonprofit-Organi­sation, die im Bereich der technischen Entwicklungszusammenarbeit tätig ist und rund 100 Mitglieder umfasst. Mehr dazu unter: http://ingog.ch

Wer sich gern engagieren möchte, kann sich direkt auf die Projekte melden, die online ausgeschrieben sind, oder sich für den Fachpool registrieren: http://ingog.ch/de/aktive-mitarbeit/registrierung-fachpool

Informationen zu den aktuellen Projekten findet man auch unter: www.facebook.com/ingogch/

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