Der Ar­chi­tekt mit den Hand­schu­hen

Wie man die Entwicklung eines ganzen Berufsstands über 5000 Jahre verfolgen kann, zeigt die gross angelegte Ausstellung «Der Archi­tekt – Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes» in der Pinakothek der Moderne in München. Sie ist auch eine Hommage des abtretenden Direktors Winfried Nerdinger an sein Wirkungsgebiet, das er in den letzten 30 Jahren entscheidend geprägt hat.

Data di pubblicazione
24-01-2013
Revision
25-10-2015

Die Aufgabe scheint keine leichte zu sein. Dennoch ist es Winfried Nerdinger gelungen, eine etwas didaktische, aber ansprechende Ausstellung aus den eigenen Beständen sowie aus Leihgaben befreundeter Häuser zusammenzustellen. Der Überblick ist auch für Architekten eine wahre Fundgrube.

Facetten eines Berufs

Gerade heute, da die Bedeutung des Architekten hinter Generalunternehmern oder Investoren immer mehr in den Hintergrund tritt, ist ein Rückblick interessant. Die Frage, wie sich das Berufsbild vom Dienstleister zum Künstler, Entwerfer, Ingenieur oder Organisator historisch in den verschiedenen Kulturen verschoben hat, zieht sich als Leitfaden durch die Schau. Neben dem Verhältnis zwischen Baumeister und Bauherrschaft geht es um die bildliche Darstellung und die Bezüge der Architektur zu anderen Künsten. Die Gliederung des Rundgangs – man kann ihm entweder chronologisch folgen oder zu Seitenthemen wie «Architektur und Musik» in einzelne Räumen abschwenken – hilft, durch die verschiedenen Zeiten und Darstellungsformen wie Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, Filme, Fotos oder Modelle zu navigieren. Die Zusammenarbeit des Komponisten Iannis Xenakis mit Le Corbusier beim Philips-Pavillon an der Weltausstellung in Brüssel 1958 wird in wunderbaren Zeichnungen beleuchtet; in der Sektion «Architektur und Film» sind Hans Poelzigs Skizzen eines expressionistischen Prager Ghettos für den Film «Der Golem» (Paul Wegener, Carl Boese, 1920) zu sehen. Zu den vielen Facetten des Berufs gehören auch die Darstellung des Baumeisters in Sagen und Mythen, der Architekt als Theoretiker oder Global Player sowie in einem separat angeordneten Teil der Ausstellung die Werkzeuge zur Materialisierung der Ideen.

Wertschätzung und Rezeption

Im alten Ägypten wurde der Architekt mit den Göttern gleichgesetzt, wie Imhotep, der den Bau der Stufenpyramide von Sakkara leitete. In der griechischen und römischen Antike rückte sein Ansehen in den Hintergrund – es wurde zwar viel gebaut, aber nur wenige Namen von Architekten sind überliefert. Dagegen sind Schriftstücke über Bauschäden und Kostenüberschreitungen erhalten geblieben. Im Mittelalter, der Ära der Bauhütten, galt der Architekt als Handwerker, der sich durch seine Handschuhe von den Arbeitern unterschied. Doch schon Mitte des 14. Jahrhunderts wurde Peter Parler mit einer Büste am Prager Dom als dessen Baumeister verewigt. In der Renaissance bestattete man Baukünstler wie Raffael oder Michelangelo dann wie Fürsten. Anhand Letzterer wird auch deutlich, dass es keine eigentlich Ausbildung zum Architekten gab. Alles Wissen wurde durch Lehrmeister tradiert, oder man eignete es sich durch Selbststudium an. Die ersten Architekturschulen entstanden erst Mitte des 19. Jahrhunderts, als auch die Trennung zwischen den als künstlerisch angesehenen Architekten und den technisch ausgerichteten Ingenieuren erfolgte. Diese Kluft besteht bis heute, auch wenn gerade der Einsatz des Computers eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Disziplinen immer notwendiger macht. Das Thema der computerbasierten und -generierten Architektur fehlt in der Ausstellung, die jüngsten Tendenzen machen bei der globalen Welteroberung der Architekten und damit auch der Stararchitektur halt.

Und heute 

Statistische Aussagen zur aktuellen Situation des Architektenstands erweisen sich als aufschlussreich, werden jedoch nicht hinterfragt. So weist Deutschland die grösste Architektendichte hinter Italien und Spanien auf – dass gerade in diesen Ländern die Arbeitslosigkeit in der Branche am höchsten ist und was das für die Baukultur heissen könnte, wird nicht diskutiert. Auch die immer schneller wachsenden asiatischen Städte, die vollkommen ohne Architekten erstellt werden, oder die Stellung der Generalunternehmer sind hier weniger ein Thema. Dabei ist es eine Ironie, dass die Ausstellung in dem erst zehn Jahre alten Gebäude der Pinakothek der Moderne stattfindet, das wegen Baumängeln – die bröckelnde Rotunde ist bereits ­gesperrt – im Februar geschlossen werden muss. Vielleicht war gerade dies der Anlass für die Ausstellung, die ein Bild von einer besseren Welt zeichnet.

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