Wenn, dann un­ter uns

Oft sind Asylbewerberunterkünfte am Stadtrand, an lärmigen Autobahneinfahrten, auf Brachen in Industriegebieten oder abgelegen auf dem Land untergebracht. Nicht so das Foyer Chemin du Chasseron in Lausanne: Es liegt mitten in einem Wohnquartier.

Data di pubblicazione
17-11-2021

Die Frage wie viele Asylsuchende aus welchen Krisenregionen ein Land aufnimmt ist virulent. Sie schwillt je nach politischem Geschehen an oder ab – wird aber kaum je verschwinden. Die Antwort hängt vom humanitären Standpunkt des Ankunftslandes und seiner geopolitischen und wirtschaftlichen Disposition ab.  

Selbstverständlich haben Asylbauten etwas mit Architektur zu tun. Wo liegen die Zentren? Welche Ausführung ist angemessen oder wie gross müssen die Zimmer sein, das sind nur einige der mit der Aufgabe verbundenen Fragen. Aber es gibt weitere, nicht so nahe liegende und komplexere Zusammenhänge zwischen dem Bauen und Asylsuchenden. Der Handel mit Metallen oder fossilen Rohstoffen, die daraus entstehenden Produkte der Bauindustrie einerseits und die Auslagerung von Umweltbelastung durch Produktionen im Ausland anderseits, spielen dabei eine Rolle. All das als Teil eines globalen Netzwerks ist auch mit der Flüchtlingsfrage verbunden. Die daraus produzierten Produkte sind eine Grundlage unseres Wohlstands.

Betrachtet man diese in der Architektur gerne ausgeblendeten Tatsachen mit, fällt ein anderes Licht auf das Thema: Viele Asylsuchende sind auch bei uns, weil die Misere in ihrem Land davon mitgesteuert wird. und sie betroffen sind. Der Geste der Aufnahme steht so über das Humanitäre hinaus, die Verantwortung für unser Handeln und dessen Konsequenzen gegenüber. Asylsuchende werden von Randständigen in einer Ausnahmesituation zu Menschen, denen eine alltägliche, selbstverständliche Normalität zusteht für ihre Suche nach einer neuen Lebensgrundlage. Dafür kommt nur ein Platz mitten in der Gesellschaft in Frage. 

Es gibt Alternativen

Eine dementsprechende Strategie zur Integration von Asylsuchenden verfolgt das Etablissement Vaudois d'Accueil des Migrants (EVAM). Ausschlaggebend für ihren Lausanner Neubau war die Gelegenheit, mitten in der Stadt ein Grundstück zu kaufen. «Solche Angebote sind selten», so Erich Dürst, Direktor der öffentlichen Körperschaft des Kanton Waadt, «die urbane Umgebung wurde von uns immer als Chance wahrgenommen. Wir setzen alles daran, dass sie zur Integration beiträgt».

Bemerkenswert ist dabei, dass der Entscheid für den Grundstückskauf im Jahre 2013 vor der Abstimmung über das neue Asylgesetz im Frühjahr 2016 erfolgte. Damals akzeptierte das Volk mit der Annahme an der Urne das Gesetz zur verkürzten Abwicklung der Asylanträge, was die Situation der Migranten zwar komprimiert, aber vor allem die Kosten tief halten und die Prozedere vereinfachen soll. Zur gleichen Zeit entstand aber auch in Fachkreisen und unter der Bevölkerung eine intensive Diskussion um die gesellschaftliche «Inklusion» von Asylbewerbern, was auch einen örtlichen Anschluss voraussetzt. 

Für Erich Dürst, der auch das Programm für den offenen Wettbewerb aus dem Jahre 2014 begleitet hat, war klar, dass man den Bau so anlegen wollte, dass seine temporären Bewohner in der Stadt Fuss fassen können, sich an die Schweizer Umgebung gewöhnen, unkompliziert Zugang zur städtischen Infrastruktur und zum Beispiel auch bei der Arbeits- und Wohnungssuche kurze Wege haben. Die Leute befinden sich in unterschiedlichen Situationen, darunter sind Asylbewerber, vorläufig Aufgenommene oder anerkannte Flüchtlinge.

Anknüpfungspunkte

Man spürt, dass das Leben erst langsam erwacht in dem kürzlich bezogenen und noch nicht voll belegten Neubau. Er wirkt wohl darum noch etwas karg, doch das wird sich bald ändern. Das Gewinnerprojekt von Isler Gysel Architekten, das aus dem Wettbewerb hervorging, verzichtete auf eine Container-Lösung, die oft bei dieser Bauaufgabe zur Anwendung kommt und in der Regel etwas Provisorisches ausstrahlt.

Natürlich gab es sachliche Forderungen an das Programm. Die Parzelle sollte möglichst dicht bebaut werden und das Gebäude robust und günstig sein. Vorgefertigte Holzmodule für die Obergeschosse waren in ein bis zwei Monaten über dem Sockel und um das Treppenhaus aus Beton aufgerichtet. Das Volumen mit der geknickten Dachform fügt sich formal unauffällig in die Bebauung in der Umgebung ein. Die leicht grünlich gefärbten Eternitfassade, wirkt dagegen eigenständig und modern.

Im Innern wollte die Bauherrschaft für die vorgesehenen 103 Plätze vor allem Zweierzimmer, für Frauen und Männer getrennt. Die Raumgrössen entsprechen mit 30 m3 oder etwa 12 m2 für zwei Personen dem gesetzlichen Minimum – grosszügig ist das nicht, aber es muss genügen. Unter dem Dach liegt eine Wohnung, die von einer grösseren Gruppe oder Familie belegt werden kann – zurzeit eine Mutter mit Kindern.

Es gibt auch einige Zimmer mit Küche und Bad für Familien oder Zimmer nur mit Bad, zum Beispiel für Personen mit einem bestimmtem Krankheitsbild. Die farblich voneinander abgehobenen Etagenküchen können alle nutzen und gegessen wird dann in den Zimmern, wo jede Person auch einen eigenen Kühlschrank hat.

Wenn auch auf den Etagen keine nach Geschlechtern getrennte Toiletten vorhanden sind, so bieten die Grundrissanordnung mit den unterschiedlichen Raumgruppen entsprechende Flexibilität um das Unterbringen von Gruppen und Einzelpersonen den Erfordernissen entsprechend zu arrangieren – ein grosser Vorteil des Baus.  

Transparenz gegen Innen...

Die Bedürfnisse der Bewohner nach Wohnlichkeit, sozialem Austausch und Privatsphäre, nach guter Belichtung und angemessener Materialisierung unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen der übrigen Quartierbewohner, so die Architekten. Dementsprechend wurde die Funktion des Gebäudes als Asylbewerberunterkunft weder speziell hervorgehoben noch kaschiert.

Dennoch sind Asylbewerber meist Menschen aus einem anderen Kulturkreis. Die relativ grossen Fenster in den Zimmern mögen für manche ungewohnt sein – Vorhänge werden dem noch entgegen wirken. Auch die grossen Glasfronten im Innenausbau sind mit Symbolzeichnungen beklebt, damit manche Leute, für die solche Transparenz ungewohnt ist, nicht gegen die Scheiben laufen. Einige Vorsichtsmassnahmen wie Wasserhähne, die nach einer gewissen Zeit automatisch abstellen, oder eine Zeitschaltuhr am Herd sorgen für einen sicheren Betrieb. Allgemein sind Massnahmen so gestaltet, dass sie nur wenn nötig zum Einsatz kommen und den Alltag der Bewohner so wenig wie möglich einschränken.

... und gegen Aussen

Der Austausch mit dem Quartier ist wichtig, auch mit Freiwilligen die sich für das Zentrum und die Bewohner einsetzen – gerade deshalb ist die Lage im städtischen Umfeld ideal. Im Erdgeschoss liegt gegen den Vorplatz zur Strasse ein Gemeinschaftsraum, der für ein Quartierfest oder auch für Geburtstage genutzt werden kann. Auf dem Spielplatz im Garten rutschen Kinder.

Anders als in einem Bundesasylzentrum gibt es keine Schleusen oder Kontrollen an den Eingängen, sondern die Leute haben einen Badge für den Zugang, der sie per Lift oder über die Treppe in die Etage ihres Zimmers führt, und sie dürfen Besucher empfangen. Dennoch sind am Tag Sozialarbeiter, administratives und technisches Personal sowie nachts und am Wochenende Wachleute anwesend.

Diese Lausanner Version eines Asylzentrums – in der Romandie weit freundlicher und weniger pragmatisch als bei uns «Foyer d'hébergement» genannt – macht Integration vorstellbar und konkret, weil sie eine der Situation der Asylsuchenden angemessene Normalität im Alltag ermöglicht. Sie können vom Angebot der Stadt profitieren, was ihnen wohl auch in einer engen Situation etwas Freiheit verschafft.

Und falls es eines Tages vielleicht keine Flüchtlinge mehr geben sollte, liesse sich das Foyer ohne grosse Anpassungen als Studenten- oder als Altersheim nutzen – auch das ein Zeichen für Architektur, die «keinen Sonderzug» fährt.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
EVAM, Etablissement Vaudois d’Accueil des Migrants


Architektur
Isler Gysel Architekten, Zürich


Bauleitung
a.planir, Echallens


Holzbau
Pirmin Jung, Ingenieure für Holzbau, Thun


Ingenieur Massivbau
Perret-Gentil + Rey & Associés, Yverdon-les-Bains


Bauphysik
PPLUS, Neuenburg


Landschaftsarchitektur
Bischoff Landschaftsarchitektur, Baden