Die Kir­chen von Jean­ne Bue­che

Jeanne Bueche (1912–2000) war die erste Schweizer Architektin, die Kirchen baute, und eine der ersten Architektinnen aus der Romandie, die an der ETH Zürich diplomierten. Mit ihren zahlreichen neuen, umgebauten oder renovierten Kirchen schuf sie einzigartige Gesamtkunstwerke aus Architektur, Glasmalerei und Bildhauerei.

Data di pubblicazione
12-07-2021

Der Jura besitzt ein reiches glasmalerisches Erbe aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, da in der Nachkriegszeit ein Bedürfnis nach neuen Sakralbauten aufkam. In ungewöhnlicher Dichte trifft man hier in kleinen, unspektakulären Dörfern auf Kirchenfenster, die von bekannten Künstlern wie Fernand Léger, Maurice Estève, André Bréchet, Alfred Manessier oder Coghuf gestaltet wurden, um nur einige zu nennen, mit denen Jeanne Bueche zusammengearbeitet hatte.

Für diese Entwicklung spielte Jeanne Bueche eine entscheidende Rolle. Denn während ihrer langjährigen beruflichen Tätigkeit von 1944 bis 1984 spezialisierte sie sich schnell auf den Kirchenbau: Sie konnte acht Kirchen – viele davon im Jura und zwei sogar in Afrika – erbauen und um die 30 restaurieren. Diese Gelegenheit nutzte sie, um auch jungen, noch unbekannten Künstlern Aufträge zu verschaffen und diese Maler und Bildhauer bekannt zu machen. Möglich wurde das dadurch, dass sie während fast zehn Jahren (1960–1968) Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission war. Den Bildhauer Remo Rossi zog sie praktisch bei allen Projekten bei; bezüglich der Glasfensterkunst war sie aber besonders experimentierfreudig.

Spiel mit der Durchlässigkeit

Doch es wäre ungerecht, die Kirchen von Jeanne Bueche nur unter diesem Blickpunkt zu würdigen. Denn ihre Architektur überzeugt durch ihre Schlichtheit und ihre klare, differenzierte Volumetrie. Das Hauptvolumen wird meist von einem kleineren Volumen durchbohrt, wie der Kirchenturm in Vellerat oder der Chorraum in Berlincourt, und aussen ablesbare Nebenvolumen heben sich vom Hauptkörper ab, wie die schwebende Galerie in Berlincourt.

Ferner ist die Eingangsfassade selten tragend, was eine grosse Plastizität dieser Schicht mit Vor- und Rücksprüngen ermöglicht. Auch die Lichtführung ist reiflich überlegt. Entweder strömt das Licht durch dem oberen Teil der Seitenfassaden in den Raum, oder es kommt vom Chor – direktes oder indirektes Licht.

Jeanne Bueche wurde mit ihrer ersten neuen Kirche in Montcroix (Delémont), erbaut 1950–1952, sehr schnell berühmt. In den darauffolgenden Jahren gingen stetig neue Kirchenaufträge ein. Die Kapuzinermönche, die in den Pfarreien des Jura unterwegs waren, haben für sie Werbung gemacht.

Kirche von Vellerat

Die Kapelle von Vellerat (Chapelle de la Sainte-Famille, 1960/61) ist in ihrer Erscheinung die modernste und gewagteste Kirche von Jeanne Bueche. Direkt an einer Geländekante stehend, am Rand des Weilers, zieht sie mit ihrem dreieckigen Turm aus Sichtbeton den Blick der Ankommenden sofort auf sich.

Das pyramidenförmige Volumen des Kirchturms durchdringt das Hauptvolumen mit Pultdach. Das quaderförmige Volumen der Sakristei markiert den Eingangsbereich. Der graue Sichtbeton des Turms und der Einfassungen der Glasfenster heben sich vom weissen Verputz der Fassaden ab.

Am Anfang sah Jeanne Bueche in dieser Kapelle keine Glasmalereien vor, sondern einfache, mit durchsichtigem Glas versehene Betongitter in der Tradition der Gebrüder Perret (wie in Raincy). Um den starken Lichteinfall zu mildern, entschied sie sich schliesslich, den Delsberger Künstler André Bréchet (1921–1983) für die Gestaltung von farbigen Glasfenstern beizuziehen. Auf Wunsch der Architektin arbeitete er mit hellen, pastellfarbenen Tönen.

Der Künstler entschied sich für eine nichtfigürliche Komposition, die mehr Freiraum im Umgang mit dem starren Muster des vorgegebenen Betongitters zuliess. Diese Glasfenster wurden aus dünnen Bleiverglasungen statt aus dickem Dallglas angefertigt, was eine provisorische Montage und allfällige Anpassungen ermöglichte.

Kapelle von Berlincourt

Die kleine Kapelle am Rand von Berlincourt (1958/59) wirkt auf den ersten Blick wie ein kleiner und unprätentiöser Tempel – jedoch entfaltet der Bau grosse Wirkung. Das weiss verputzte, auskragende Volumen der Galerie im Obergeschoss hebt sich wirkungsvoll von den übrigen natursteinverkleideten Fassaden ab. Die Monumentalität der Eingangsfassade steigert sich in einer eindrucksvollen Farbexplosion im Innenraum der Kirche. Die von Maurice Estève (1904–2001) gestalteten Fensterbänder aus Dallglas unterhalb des Dachs in kräftigen Rot-, Blau-, Violett-, Gelb-, Orange und Türkistönen versetzen die Besuchenden in einen magischen Rausch.

Kirche St-Germain-d’Auxerre, Courfaivre

Die Kirche von Courfaivre wurde Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut und sollte erweitert werden. Da dies aufgrund ihrer Lage auf einem Hügel nur seitlich möglich war, entschied sich die Architektin, die bestehenden Längsfassaden abzubrechen und zwei Seitenschiffe aus Beton anzubauen. Aus der einstigen einschiffigen Kirche wurde ein dreischiffiger Raum (1952–1954). Der Chor, das Dach und die Giebelwand sowie der Turm blieben erhalten.

Die in der Höhe abgesetzten Anbauten ermöglichten im oberen Bereich ein Fensterband über die ganze Länge. Dieses wurde in Dallglas ausgeführt, dessen Gitterstruktur in der Mitte durch ein Medaillon unterbrochen wird. Dieselben Gitterstrukturen prägen auch die Fenster der Seitenschiffe. Den Auftrag für die Glasfenster vergab Jeanne Bueche an den international bekannten Künstler Fernand Léger (1881–1955), der – obwohl erklärter Atheist – überraschenderweise zusagte. Schon 1950 hatte er einen Fensterfries für die Kirche von Audincourt gestaltet. Daher war der Gemeinderat einfach zu überzeugen, und Jeanne Bueche konnte sich mit Fernand Léger in Verbindung setzen.

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass Léger ursprünglich in Caen Architektur studiert hatte, was vielleicht seinen neuen, revolutionären Umgang mit Glasmalerei zu erklären hilft. Hier hatte Léger die Rollen des Trägers (Beton) und der Farbe vertauscht. Der Beton bildet einen regelmässigen Raster, der von den farbigen Formen überspielt wird. Zudem sind die einzelnen Farbflächen losgelöst von den gezeichneten Bildsujets. Als Thematik wurde das Glaubensbekenntnis gewählt, das in den zehn Medaillonfeldern illustriert ist. Daher wurden die Glasfenster daneben möglichst einfach gehalten. In dieser Kirche gibt es auch einen Tabernakel des Schweizer Plastikers Remo Rossi (1909–1982) und einen Wandteppich des französischen Malers und Keramikers Jean Lurçat (1892–1966).

Kapelle von Montcroix mit Erweiterung des Klosters und des Kreuzgangs, Delémont

Jeanne Bueche baute diese Kirche als dreischiffige Basilika für den Kapuzinerorden von Montcroix (1949–1951), angrenzend an das 1630 gegründete Kloster mit dem bestehendem viereckigen Glockenturm am Eingang. Das Gut von Montcroix hat ein Ortsbild von nationaler Bedeutung (ISOS), von hier aus geniesst man eine einzigartige Sicht auf die Stadt Delémont. Jeanne Bueche erweiterte zudem das Kloster mit einem neuen Zellenflügel, baute wichtige Räume um und errichtete einen neuen Kreuzgang als Vermittlungselement zwischen Kloster und Kirche.

Für diese Kirche liess sie sich durch die Stahlbetonkirche von Raincy (erbaut 1922/23) von Auguste Perret inspirieren. Die mit Waschbetonplatten ausgefachte Tragstruktur bleibt als Skelett überall erkennbar, und die Fugen zwischen den Platten sind ebenfalls sichtbar. Die in Rahmenelemente aufgelösten Glasfenster erscheinen wie perforierte Wandteile, dadurch tritt der raffinierte Betonraster gut in Erscheinung. Die Glasfenster stammen von André Bréchet, die Wandmalereien von Albert Schnyder und die Bronzearbeiten (Tabernakel) von Remo Rossi.

Obwohl Betonbau im Jura noch eine Seltenheit war, konnte Jeanne Bueche die Handwerker zu Höchstleistungen animieren. Überhaupt gehört es zu ihren Verdiensten, die Kompetenzen erfahrener Handwerkern bezüglich Material und guter Verarbeitung in der Ausführung in die Bauten zu integrieren. Wie hier: Die Kanten der kannelierten Säulen sind messerscharf ausgeführt! Das Zusammenspiel der verschiedenen Verarbeitungsarten von Beton – zum Beispiel gewaschen, gestockt und glatt – erzeugt eine einzigartige sakrale Stimmung. Auch die Lichtführung mit dem farbigen Oberlicht über dem Altar ist gekonnt umgesetzt und entführt den Besuchenden in eine entrückte Welt, ein eigentliches Ziel der sakralen Architektur.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Jahresexkursion der Arbeitsgruppe Berner Architektinnen und Planerinnen im Juni 2021. Die Autorin ist Verfasserin der Dissertation «Les premières femmes Architectes de Suisse» (EPFL, 1992), in der neben Jeanne Bueche auch Anne Torcapel, Elsa Burckhardt-Blum, Lux Guyer, Berta Rahm, Lisbeth Sachs und Flora Steiger-Crawford gewürdigt werden.

Das Archiv von Jeanne Bueche  befindet sich in den «Archives de la construction moderne» am Département d’architecture der EPFL.