«Wir wol­len mit un­se­ren Häu­sern fik­ti­ve Sehn­su­ch­tsor­te se­tzen»

Studium an der ETH, Büro in Deutschland

In einer kleinen Serie präsentieren wir junge deutsche Architekturbüros mit Verbindung zur ETH Zürich. Meier Unger Architekten aus Leipzig schaffen Projekte, die an vertraute Situationen und Orte erinnern sollen.

Data di pubblicazione
29-08-2020

Das Büro Meier Unger Architekten wurde im Jahre 2016 in Leipzig gegründet. Jan Meier hat sein Diplom 2007 an der Bauhaus-Universität Weimar abgeschlossen und im Anschluss bei Bearth & Deplazes Architekten gearbeitet sowie an der Professur von Andrea Deplazes an der ETH Zürich assistiert.

Lena Unger hat ihren Bachelor 2010 an der Bauhaus-Universität Weimar und ihren Master 2012 an der ETHZ erworben. Sie hat bei Conen Sigl Architekten in Zürich gearbeitet und war Assistentin an der Professur von Elli Mosayebi an der TU Darmstadt. Die ersten Projekte des Büros setzen sich mit Räumen für das Wohnen auseinander, bei denen der Umgang mit dem Material sowie der Detailierung und Ausführung eine wichtige Rolle zukommen.

Ein Stöckli und eine Hauserweiterung

Das Stöckli in Selzach/CH steht als Alterswohnsitz neben dem Bauernhaus der Familie. Das neue Ensemble ist umgeben von Feldern mit Blick auf die Hügelketten des Jurasüdfuss. Den Anspruch des Bauherrn, schadstofffrei zu bauen, beantworteten die Architekten mit einem Massivholzbau. Die einzelnen Holzplatten werden mit Buchendübeln statt mit Leim zusammengehalten; beim Boden handelt es sich um einen zwölf Zentimeter dicken Kalkboden.

Das Wohnhaus mit Flachdach bildet mit seinen lichten nach aussen orientierten Räumen ein Pendant zum introvertierten Bauernhaus mit steilem Walmdach. Eine Kolonnade aus Holzstützen umgibt das eingeschossige Volumen und spannt unterschiedlich breite, gedeckte Vorbereiche auf. Der zentrale Wohnraum wird flankiert von der Küche auf der einen und zwei Rückzugsräumen samt Bad auf der anderen Seite. Da der Bauherr vieles in Eigenarbeit ausführte, blieb Zeit für das Experiment auf der Baustelle.

Ein Einfamilienhaus in Leipzig aus dem Jahr 1930 wurde in Form eines Gartenhauses erweitert, das die Kubatur des ehemaligen Anbaus übernimmt. Die neue Wohnküche mit Kamin verbindet sich über verschiedenartige Öffnungen mit dem Aussenraum. Die Unterschiedlichkeit und Fügung der einzelnen Elemente prägen die Erscheinung: Auf den gemauerten Wänden liegt ein Ringanker aus Beton, auf diesem lagern dünne, hellgrün gestrichene Stahlträger. Diese überspannen den Innenraum und tragen das Satteldach mit seiner im Aussenbereich rot gestrichenen Dachuntersicht. Die aussen gedämmte, hinterlüftete Fassade ist mit einer grün-weissen Nut-Federschalung verkleidet. Materialien und Farben werden zum gestalterischen Element, heben die einzelnen Bauteile hervor und gliedern diese.

Genossenschaftshaus San Riemo

Der erste Wettbewerb der Kooperativen Grossstadt in München Riem war ein besonderer Wettbewerb für Deutschland, da er ganz ausdrücklich diverse Wohnformen forderte: Das sogenannte Basiswohnen, das Filialwohnen und das Nukleuswohnen. Diese Forderung machten sich Meier Unger in Zusammenarbeit mit Dorschner Kahl Architekten in ihrem Projekt «Downtown Abbey» zur Aufgabe und erhielten eine Anerkennung: Während bei der ersten Wohnform eine Eingangshalle das Zentrum jeder Wohnung besetzt, lebt die Zweite durch einen grossen Kaminraum um den sich mehrere Wohnungen gruppieren, die Dritte verbindet die innenliegenden Gemeinschaftsräume zu einer Promenade. Der Entwurf wird mit Bildern visualisiert, die den räumlichen Reichtum historischer Architekturen evozieren und verdeutlichen sollen, dass sich das Kollektiv Qualitäten leisten kann, die im herkömmlichen Wohnungsbau nicht entwickelt werden.

Der Begriff des Sehnsuchtsorts wird für die Architekten zum Ausgangspunkt eines jeden Projektes: Durch Ausformulierung, Umgang mit Material und Detail entsteht bei jedem Projekt eine eigene Identität.

TEC21: Was sehen Sie als grösste Chance in Ihrer Stadt, Ihrer Region?

Meier Unger Architekten: Leipzig bietet für uns eine Stadt, die noch nicht fertig und gesättigt ist. Hier gibt es viele (Bau-) Lücken, Brachen, leerstehende Häuser. Der finanzielle Druck ist geringer und ermöglicht uns mehr Freiräume und Zeit für unsere Arbeit. Als wir vor drei Jahren aus der Schweiz weggezogen sind, waren wir froh, Abstand zum dortigen intensiven architektonischen Diskurs und der hohen Baukultur zu gewinnen. Dadurch konnten wir uns ungehemmter auf unsere eigene Entwurfsfindungen und Arbeit konzentrieren.


TEC21: Wo ist der Bezug zur ETH oder zur Schweiz in Ihrer Arbeit spürbar?

Meier Unger Architekten: Wir beide haben relativ unterschiedliche Lehren und Prägungen hinter uns und deswegen können wir nicht klar eine Person oder Arbeitsweise nennen, die uns beeinflusst hat. Bei unseren Projekten haben wir viel Freude an der Ausdetaillierung und Materialisierung. Während der Ausführung versuchen wir die handwerklichen Grenzen, die uns die Region vorgibt, auszuloten. Das bedeutet für uns eine sehr intensive Suche nach Handwerkern und ein gemeinsames Experimentieren und viel Überzeugungsarbeit. Der Kalkboden im Stöckli in Selzach passt dafür als konkretes Beispiel gut. Diese Aspekte könnte man als Schweizer Prägung deuten.
 

TEC21: Was sind aktuelle Inspirationen Ihrer Arbeit?

Meier Unger Architekten: In unseren Entwürfen versuchen wir einen Ort zu imaginieren, der kontextunabhängig ist. Die Umgebungen unserer letzten Projekte waren dörfliche Strukturen in Ostdeutschland, in denen wir mit unseren Häusern fiktive «Sehnsuchtsorte» setzen wollen. Wir versuchen uns mit jedem Projekt, einer neuen Frage zu widmen. Die Findung nach der entsprechenden Antwort würden wir als eine Suche mit kritischer Neugier bezeichnen.